Schmauchspuren.
No. 11
Die Kolumne von Peter Hiess
Von der Psychiater-Couch in den Spurenleser-Rollstuhl - die Krimihelden von heute haben es gar nicht leicht. Da freut sich selbst Genre-Experte Peter Hiess über ganz normale Ermittler und Bösewichte.
Karin Slaughter kann sich nicht von ihren Figuren trennen. OK, das ist normal bei erfolgreichen Krimiserien; der Leser freut sich ja auch, wenn er die Protagonisten wiedererkennt. Nur sollte man den Helden zwischen den Romanen halt etwas Erholung gönnen ...
Doch die Hauptdarsteller und vor allem -innen von Slaughters "Grant County"-Reihe kommen nie zur Ruhe. Was in "Belladonna" blutrünstig und spannend begann, ist nun mit "Gottlos" beim fünften Band angelangt. Die Gerichtsmedizinerin und ihr Freund, der Sheriff, entdecken beim Waldspaziergang die Leiche eines lebendig begrabenen Mädchens, das Mitglied einer fundamentalistischen Sekte war. Wie sich herausstellt, hatte das Opfer noch Glück. Sämtliche Frauengestalten des Romans sind nämlich derart schwer traumatisiert (vergewaltigt, verlassen, lesbische Witwen, zur Abtreibung gezwungen), daß man ihnen am liebsten einen Scheck für den Psychiater schicken will, weil man soviel sinn- und fruchtlosen Jammer einfach nicht mehr aushält. Wer's weiter als bis Seite 200 schafft, gewinnt eine Therapiestunde.
Karin Slaughter:
Gottlos
Übersetzt von Sophie Zeitz
Wunderlich Verlag 2007,
511 S., € 19.90
Wir aber erheben uns von der Couch und nehmen uns den neuen "SIGMA Force"-Thriller von
James Rollins (der bereits eine ganze Reihe rasanter und höchst vergnüglicher High-Tech-Abenteuerromane verfaßt hat) vor. Grayson Pierce und die anderen Superagenten des Elite-Geheimdiensts stürzen sich Hals über Kopf und in einem geradezu unhei mlichen Tempo in jene Art Fälle, wie sie heute in viel zu vielen History-Verschwörungskrimis durchgekaut werden. Diesmal erwarten uns ein tödlicher Feuersturm bei der Mitternachtsmesse im Kölner Dom, die Jagd nach den Gebeinen der Heiligen Drei Könige, verschiedene konspirative Gruppen im Vatikan, verborgene Schätze, historische Schauplätze, Action, Action, Action. Das groovt und reißt mit; Motto: Dan Brown meets James Brown.
James Rollins:
Feuermönche/SIGMA Force
Übersetzt von Norbert Stöbe
Blanvalet Tb Verlag 2007,
540 S., € 8.95
Langsamer und im Reggae-Rhythmus läßt es
Ernest Tidyman im sechsten Roman um den Blaxploitation-Helden John Shaft angehen. Der schwarze Privatdetektiv aus Harlem (in den 70er Jahren hätte kein Mensch es gewagt, ihn als Afroamerikaner zu verunglimpfen) hat diesmal seine knallharte Heimat voller Pimps und Drogenhändler verlassen, um Urlaub auf Jamaika zu machen. Aber auch dort wird er natürlich dringend gebraucht: Shaft soll ein Attentat auf den Premierminister verhindern. Coole Dialoge, schöne Frauen und giftige Spinnen sorgen dafür, daß wir vom Speed wieder runterkommen und uns bei jamaikanischen Spezialitäten entspannen ...
Ernest Tidyman:
Shaft und der Karneval für Killer
Übersetzt von Emanuel Bergmann
Pendragon Verlag 2007,
184 S., € 9.90
Wer nun in genau der richtigen Stimmung für klassischen Noir ist, wird von Band 19 der geschätzten "Hard Case Crime"-Reihe enttäuscht sein. Autor
Seymour Shubin schuf 1953 mit seinem Debütroman
"Anyone's My Name" zwar ein Genre-Juwel, dürfte aber seither einiges verlernt haben. "Witness To Myself" erzählt die Geschichte eines Anwalts, der als 15jähriger einen Sexualmord begangen hat und seither von Schuldgefühlen geplagt wird. Als er die erste erfolgreiche Beziehung seines Lebens beginnt, will er sich endlich der Vergangenheit stellen. Doch Shubin, der beim Schreiben des Romans 85 (!) war, dürfte vergessen haben, wie das Leben in Krimis wirklich geht. Das Resultat ist spannungsfrei, vorhersehbar und unangenehm weltfremd.
"Bust" (Band 20) ist zwar ebenfalls keine Wiederveröffentlichung, aber immerhin eine gutgelaunte Kollaboration zweier aufstrebender Krimiatoren (Jason Starr und Ken Bruen), die sich liest wie eine der absurden Carl-Hiaasen-Genrekomödien, die man in den Big Apple verlegt hat. Die Geschichte vom unsympathischen New-Economy-Boß, der seine Frau ermorden lassen will, strotzt vor herrlich unfähigen, widerlichen Typen: dem psychopathischen Möchtegern-IRA-Killer, der strohdummen Sekretärin/Geliebten und anderem ausgewählten Abschaum, der alles nur verpatzen kann. Verbrechen lohnt sich für solche Leute garantiert nicht ...
Bestseller-Autor
Jeffery Deaver aber verdient ganz gut an kriminellen Schandtaten - auch wenn seine Romane um das Ermittler-Paar Lincoln Rhyme (ja, der im Rollstuhl) und Amelia Sachs (ja, Angelina Jolie) immer nach demselben Muster ablaufen: Hochintelligenter Übeltäter stellt sich dem Kombinationstalent des noch viel intelligenteren Spurensicherers, der wie weiland Nero Wolfe in seinem New Yorker Stadthaus selbst die kompliziertesten Fälle löst. Diesmal ist der Täter anscheinend ein Serienmörder namens "Uhrmacher"; dazu kommenn Korruption in höchsten Polizeikreisen, eine kalifornische Verhörspezialistin - und natürlich eine überraschende Wendung nach der anderen. Dabei begeht Deaver jedoch auch hier seinen lästigsten Fehler: Er weiß nicht, wann er mit den gewagten Plot-Twists aufhören soll. Und der Leser fühlt sich wieder einmal verarscht.
Jeffery Deaver:
Der gehetzte Uhrmacher
Übersetzt von Thomas Haufschild
Blanvalet Verlag 2007,
512 S., € 19.95