Schmauchspuren.
No. 12
Die Kolumne von Peter Hiess
Das Personal bleibt immer das gleiche: Berufsverbrecher, Anwälte, Privatdetektive und geisteskranke Killer. Da freut man sich als Krimi-Profi doch über einen existentalistischen Film-Cutter und Drogenschmuggler - meint Peter Hiess.
"The South's gonna rise again!" meinen unverbesserliche Fans der amerikanischen Südstaaten und ihrer glorreichen Vergangenheit.
Schaut schlecht aus, meinen wir Krimileser dazu. Wenn es sich im Süden der USA tatsächlich so abspielt wie in unserer Lieblingslektüre, wird der Wiederaufstieg der Konföderierten wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen. Dort scheinen nämlich nur zerstörte, neurotische Existenzen zu wohnen, die mit ihrer Familiengeschichte, Alkoholproblemen und vor allem der ewigen verdammten Hitze zu kämpfen haben.
Jackson Workman ("Work") Pickens, der Protagonist von John Harts Roman "Der König der Lügen", ist einer von ihnen. Als Kleinstadtanwalt in North Carolina lebt er vom Ruf seines Vaters Ezra, eines prominenten Rechtsverdrehers – aber der ist vor zwei Jahren verschwunden, nachdem er seine Frau die Stiegen hinuntergestoßen, seine Tochter in den Wahnsinn getrieben und seinen Sohn in ein unglückliches Leben gezwungen hat. Als Ezras Leiche gefunden wird, gerät Work unter Mordverdacht und muß seine gesamte Existenz, seine unglückliche Ehe und die ungesunde Familiengeschichte neu aufrollen.
Harts Werk ist einerseits ein (mäßig spannender) Krimi, andererseits aber auch ein neuer Beitrag zum "Southern Gothic"-Genre - und gerade hier gelingt es dem Autor, ein glaubhaftes und faszinierendes Lebensbild zu zeichnen, das weit über die Aufklärung des Mordes hinausgeht und damit auch im Mainstream-Kontext funktioniert.
John Hart
Der König der Lügen
Übersetzt von Rainer Schmidt
C. Bertelsmann Verlag 2007,
444 S., € 19.95
Mit literarischem Anspruch wollte Stephen King nie zu tun haben - schon gar nicht als Richard Bachman. Unter diesem Pseudonym schrieb er Anfang der 70er ein paar Thriller, die ihm schnelles Geld einbringen sollten, dann aber doch erst später unter seinem echten Namen erschienen. Einen davon hat King jetzt ausgegraben und fertiggeschrieben: "Qual" (im Original: "Blaze") erzählt die Geschichte eines riesenhaften, geistig langsamen jungen Mannes, der in seiner Kindheit Schreckliches erleben mußte (nicht schon wieder �) und sich als Gelegenheitsarbeiter und -verbrecher durchschlägt. Nachdem sein Komplice George - mit dem ihn eine Art "Asphalt Cowboy"-Beziehung verbindet - erstochen wurde, nimmt er den Freund nur noch als geisterhafte Stimme wahr. Und die redet ihm dummerweise ein, einen alten gemeinsamen Plan zu verwirklichen, indem er ein Millionärs-Baby kidnappt.
Kann nur schiefgehen, geht natürlich auch schief, ist flüssig geschrieben, aber nur in Maßen originell, bringt das nötige Maß Tragik mit, hinterläßt aber vor allem die Frage: Warum veröffentlicht King sowas? Braucht er das Geld? Will er zu Lebzeiten noch alles herausschießen, was er ja auf einen Zettel gekritzelt hat? Wir wissen es nicht und hoffen auf bessere Zeiten ...
Stephen King (als Richard Bachman)
Qual
Übersetzt von Jürgen Bürger
Heyne Verlag 2007,
383 S., € 19.95
King hätte "Blaze" ja gern bei "Hard Case Crime" - wo auch sein sinnloser Kurzroman "The Colorado Kid" erschien - veröffentlicht, hat sich dann jedoch gottlob dagegen entschieden. Dort kommt man sowieso ohne ihn zurecht, wie wir an Band 21 der Reihe, Madison Smartt Bells "Straight Cut", sehen. Der aus dem Jahre 1986 stammende Noir-Roman einer damaligen Hoffnung der jungen US-Literatur hat
auch heute noch nichts von seinem Biß verloren. Die existentialistische, mit Kierkegaard-Zitaten gespickte Odyssee eines Film-Cutters, der in Italien eine Dokumentation schneidet und dabei in Drogengeschäfte verwickelt wird, läßt einen wünschen, daß Bell wieder mehr solche Bücher statt akademischer Werke schreiben würde …
"Lemons Never Lie" wiederum ist einer der wunderbaren Grofield-Krimis aus dem Schaffen des großen Richard Stark (alias Donald Westlake), der über Berufsverbrecher schreiben kann wie kein anderer. Verpatzte Überfälle, verrückte Möchtegern-Gangster und verpaßte Chancen - Grofield ist zwar nicht so hart wie sein bekannterer Kollege Parker, aber man folgt ihm trotzdem gern durch seine schier endlose Pechsträhne.
Apropos Parker: Robert B. schreibt immer noch seine Krimis um den harten Privatdetektiv Spenser - und die erscheinen jetzt im engagierten Pendragon-Verlag auch wieder auf deutsch. Schade nur, daß Spenser in "Der stille Schüler" längst nicht mehr so hart und zynisch ist wie in seiner Anfangszeit.
Der vorliegende Roman aus dem Jahre 2005 nimmt sich des beliebten Themas der amerikanischen Schulmassaker an: Spenser soll die Unschuld eines der jugendlichen Täter nachweisen, stößt dabei aber auf die berühmte Mauer des Schweigens; anscheinend will jeder, daß der Bub im Gefängnis verrottet und der Fall zu den Akten gelegt wird. Auch Robert B. Parker dürfte der Fall nicht besonders interessiert haben: Spenser arbeitet routiniert eine "Private Eye"-Station nach der anderen ab und scheint sehr, sehr alt geworden zu sein. Und daß Hawk keinen einzigen Auftritt hat, ist geradezu unverzeihlich.
Robert B. Parker
Der stille Schüler
Übersetzt von Frank Böhmert
Pendragon Verlag 2007,
213 S., € 9.90