Schmauchspuren.
No. 18
Die Kolumne von Peter Hiess
Alle kommen sie wieder - die psychisch belasteten Polizeiinspektoren und Amateurdetektive, die heimlichen Pornographen, die toten Schriftsteller und natürlich die Serienmörder. Peter Hiess wartet schon auf sie.
Wer populäre Kultur mag, der mag auch Serien. Schließlich gibt es nichts Schöneres, als immer neue Abenteuer eines liebgewonnenen Protagonisten zu erleben - sei es nun im Fernsehen, in Comics oder in der Kriminalliteratur. Nur sollte der jeweilige Held von einer Folge zur anderen nicht zu viel Ballast mitschleppen …
Es kann schon verdammt störend sein, wenn so eine Hauptfigur eine Unmenge Sorgen und Traumata aus den vorangegangenen Werken auf dem Buckel trägt, an die der Leser immer wieder erinnert wird, ob er das nun will oder nicht. Krimihelden wie Sherlock Holmes und Mike Hammer haben vorgemacht, wie es richtig geht: Die grundlegenden Fakten zur Figur werden jedesmal kurz präsentiert, damit man in die Story reinkommt; frühere Ereignisse kommen nur dann zur Sprache, wenn sie für die aktuelle Handlung wichtig sind.
Bei seiner großartigen Serie um den Berufsverbrecher Wyatt hält sich der Australier Garry Disher an diese Regel. In Sachen Detective Inspector Hal Challis hingegen, der in der australischen Provinz meist Morde aufklärt, scheint er sie allerdings vergessen zu haben: In der neuen Episode "Schnappschuss" erfahren wir auf viel zu vielen Seiten schon wieder von der katastrophalen Exfrau des Polizisten, von seiner ehemaligen Affäre, von all dem Jammer, den er schon durchgemacht hat. Daneben verblaßt der aktuelle Fall um die Frau eines reichen Mannes, die vor den Augen ihrer kleinen Tochter erschossen wird. Und das ist schade. Die korrupte "bessere Gesellschaft" mit ihren Sexparties, der durch Drogen beschleunigte moralische Verfall des Proletariats, die anscheinend weltweit gleiche Beamtenmentalität - all das würde viel besser zur Geltung kommen, wenn wir uns nicht dauernd mit der angeschlagenen Seele des Detective Inspector herumschlagen müßten. Drum merke: Krimis sind keine Psychoanalyse. Und das ist gut so.
Garry Disher:
Schnappschuss
Übersetzt von Peter Torberg
Unionsverlag metro Tb 2008,
382 S. € 11.90 (D)
Was ein Krimi aber sehr wohl sein kann, ist eine gutgelaunte Literaturanalyse, wie sie der österreichische Autor und Verleger J. J. Preyer (der auch den alten Sherlock schon reaktivierte) in seinen "Ermittlungen im Falle Mutzenbacher" liefert. Darin forschen Detektiv Alexander Loos und sein Adoptivsohn Melzer im Auftrag des "tatverdächtigen" Priesters Hans Kirchsteiger nach dem Urheber des 1906 im Wiener Verlag erschienenen Pornoklassikers. War es wirklich Felix Salten? Oder Arthur Schnitzler? Oder gar Leopold Wölfling, der geborene Erzherzog, der wegen seiner Liebe zu einer Prostituierten vom Kaiserhaus verstoßen wurde? Dieser Frage geht auch eine seltsame Gruppe finsterer Mönche nach, die besagte Verdächtigte gleich kastrieren. Preyers Literaturkrimi mit seinen vielen Originalzitaten und Jahrhundertwende-Schauplätzen mutet zwar sehr wie Programmliteratur an (Konzept erstellen und dann mit Inhalt anfüllen �), liest sich aber auf jeden Fall interessanter als so mancher gehypete Wien-Krimi der Gegenwart mit all den aufgesetzten Skurrilitäten und Banalitäten, die diesem Lokalgenre mittlerweile leider eigen sind. Sollte man lesen.
J. J. Preyer:
Ermittlungen im Falle Mutzenbacher
Oerindur Verlag 2008,
176 S., € 14.40 (D)
So wie natürlich auch die Bände 32 und 33 der amerikanischen "Hard Case Crime"-Reihe, die hier - wie immer mit höchster Empfehlung - nur kurz erwähnt seien: George Axelrod (Drehbuchautor von Filmen wie "Frühstück bei Tiffany") schrieb seinen "Blackmailer" 1952 und ließ als Protagonisten einen Verleger auftreten, dem das letzte Manuskript eines legendären Autors à la Hemingway angeboten wird. Aber so einfach geht das natürlich nicht mit dem Bestseller-Erfolg, da sind vorher noch eine Menge mörderischer Intrigen um Hollywood-Starlets, Salonlöwen und recht üble Killer durchzustehen - ebenso amüsant wie schnell
erzählt.
"Songs of Innocence" von Richard Aleas, entstanden im Jahre des Herrn 2007, ist das genaue Gegenteil: Die Fortsetzung (siehe oben) des in derselben Reihe erschienenen "Little Girl Lost" zeigt den Ex-Privatdetektiv John Blake als Mitarbeiter einer universitären Schreibwerkstatt, der wieder in eine Frauengeschichte mit tödlichem Ausgang und Verbindungen zur Sexindustrie verwickelt wird. Er ist traurig, patschert und macht alles falsch - da verzeiht man dem Autor auch die depressive Langsamkeit seiner Story. Dieser Detektiv wird wohl nie wieder ermitteln �
Serienkiller-Rekorde brechen will. Natürlich verschlägt es das seltsame Paar nach New York, und natürlich läuft Angela wieder Max über den Weg, und alles endet in genial-blutigem Blödsinn. Eine brillante Satire auf Krimiklischees und den ungesunden
Und zum Schluß wieder einmal ein Serial-Thriller, der laut Verlagswerbung in bester Tradition von Thomas Harris (na ja) und Jeffrey Deaver (oje!) stehen soll: Grausame Mörderei aus der Vergangenheit scheint sich acht Jahre später zu wiederholen, der damalige Staatsanwalt ist jetzt als privater Rechtsverdreher sehr erfolgreich tätig und tief in die Sache verwickelt, die Mörderer sind schwer pervers und verrückt und rätselhaft und überhaupt, der KGB. War doch alles schon da, aber man liest es halt doch immer wieder gern, auch auf mehr als 500 Seiten. Und man greift sich an den Kopf dabei - ob er noch da ist.
David Ellis:
In Gottes Namen
Übersetzt von Alexander Wagner
Heyne Tb Verlag 2008,
543 S., € 9.95