Schmauchspuren.
No. 17
Die Kolumne von Peter Hiess
Für die Kriminummer der BUCHKULTUR reist unser fachkundiger Kolumnist nach Indien, Jamaika und L. A. - und wirft dabei den "Romantic Thriller" ins Flugzeugklo.
Ohne ihn gäbe es weder "The Shield" (übrigens eine der besten aktuellen TV-Serien) noch den modernen Polizistenkrimi: Joseph Wambaugh, der selbst 14 Jahre beim LAPD (Los Angeles Police Department, aber das wissen Sie sicher) tätig war, verarbeitete seine Erfahrungen literarisch und erklärte seine Kollegen zu New Centurions (auf deutsch hieß sein Debütroman Nachtstreife). Weitere (Tatsachen-)Romane wie Tod im Zwiebelfeld und Die Chorknaben beeinflussen das Genre des realistischen Polizeiromans bis heute - und schon deshalb ist es erfreulich, daß sich Wambaugh nach mehr als 20 Jahren wieder in die Stadt der Engel wagt.
Sein neuer Roman Hollywood Station spielt in ebendiesem Revier und beschreibt die Arbeit der Cops und Detectives, die durch politische Korrektheit, amtliche Schikanen und permanente Kontrolle nicht gerade einfacher geworden ist. Während Methamphetamin-Süchtige, Gangbanger und Verbrecher aus den ehemaligen Sowjetstaaten die Straßen von L. A. immer unsicherer und verrückter machen, müssen die Polizisten äußerst vorsichtig sein, um ja niemanden zu beleidigen oder diskriminieren. Der komplexe Fall im neuen Roman (irre Postkastenräuber auf Speed mischen sich in die Machenschaften geldgeiler Ostblock-Juwelendiebe ein) wird episodenhaft und aus verschiedenen Perspektiven - sowohl der Kriminellen als auch der Cops - erzählt, dazwischen webt Wambaugh skurrile und spannende Stories aus dem ganz abnormalen Alltag der Polizisten ein. Hollywood Station ist somit einer der besten Krimis der jüngsten Zeit, den man am liebsten gleich als Film oder Fernsehserie sehen möchte …
Joseph Wambaugh
Hollywood Station
Übersetzt von Michael Kubiak
Bastei Lübbe Tb. 2008.
431 S., € 7.95 (D)/ € 8.20 (Ö)
Auch nicht gerade einfach hat's der Ermittler Inspector Peabody, der seinen Dienst im Indien der Kolonialzeit verrichtet. Im Auftrag des Empire und seiner Königin Victoria arbeitet er nun schon seit Jahrzehnten für die Polizei, spricht die Sprache der Einheimischen, kennt Unmengen Informanten, Tricks und Abkürzungen, kommt trotz Übergewichts und Durchfalls mit der Hitze und den scharfen Speisen zurecht, ist bei den Briten im Lande nicht gerade angesehen, aber umso fähiger, wenn es darum geht, seine Fälle zu klären, weil ihm selbst nichts Menschliches fremd ist. Wie zum Beispiel - in Peabody geht in die Knie - den mit dem blaugefärbten Rumpf eines Toten, oder auch den mit der Ermordung eines britischen Eisenbahnbauers … Wieder einmal ein großartiger Roman, den Thomas Wörtche da in seiner "metro"-Reihe herausgebracht hat.
Patrick Boman
Peabody geht in die Knie
Übersetzt von Stefan Linster
Unionsverlag Tb. 2007,
139 S., € 8,90 (D)
Nur kurz und weil in der vorigen Folge die Begeisterung für Lee Child und seinen Helden Jack Reacher so groß war: Ungeduld ist kein guter Ratgeber. Wenn man den nächsten Band auf deutsch nicht abwarten will und The Hard Way daher im englischen Original liest, merkt man, daß der Abstand zwischen zwei Reachers ein paar Monate betragen muß. Ansonsten reagiert man nämlich etwas gereizt auf die ewigen Zufälle, die den Helden in seine Abenteuer verwickeln, auf dessen Superman-Eigenschaften und vor allem auf die Story (böser Chef einer Söldnerfirma beauftragt Reacher, die Kidnapper seiner Frau und Stieftochter zu finden), der man ihre Auflösung schon im ersten Drittel des Roman ansieht. Lieber abwarten.
Lee Child
The Hard Way
Bantam Books Tb. 2006,
515 S., £ 6.99 (D)
Andererseits: lieber jeden Reacher-Krimi noch einmal lesen, ob auf deutsch oder englisch, bevor man sich an Rachel Butlers Dokument der Unfähigkeit namens
Blutbild wagt. Der Roman dürfte der abscheulichen Untergruppe der "Romantic" oder "Erotic Thrillers" zuzuordnen sein, so genau weiß man das nicht und will es auch gar nicht wissen. Sofort stellt man jedoch fest, daß es sich dabei um unlesbaren Dreck handelt. Die verworrene, komplizierte Geschichte um Selena McCaffrey, begabte Malerin und begnadete Mörderin, wurde schon im Vorgängerband Töte oder stirb abgehandelt. Blutbild beginnt anscheinend wenige Minuten nach dessen Ende, setzt das Wissen um bisherige Ereignisse voraus und überschüttet den Leser mit einem Wust an Halbinformationen, Faktoiden und Gefühlsduseleien. Selena soll als Undercover-Agentin ein kriminelles Syndikat sprengen - doch wie das vor sich geht, das erfährt man nur, wenn man es über die ersten 60 Seiten hinaus schafft. Und soviel Durchhaltevermögen ist bei diesem schlecht geschriebenen, lieblos übersetzten und überhaupt nicht lektorierten Machwerk unwahrscheinlich …
Rachel Butler
Blutbild
Übersetzt von Andreas Kasprzak
Blanvalet Tb. 2008,
480 S. € 7,95 (D)
Wenden wir uns zum Abschluß Erfreulicherem zu: Band 31 der Pulp-Reihe Hard Case Crime ist ein vergessener Klassiker aus dem Jahre 1955, der damals schon alles an Erotik, traumatisierter Kindheit, Imperialismuskritik und Dritter-Welt-Schilderung vorwegnahm, woran sich mindere Autoren noch heute abmühen. In The Wounded and The Slain erzählt der Genre-Meister David Goodis von der Jamaika-Reise eines Paars aus New York, dessen Ehe von Frigidität und Alkoholismus zerrüttet ist und das sich ausgerechnet in der Hölle der Slums wieder findet. Unbedingt in den Sommerurlaub mitnehmen!
David Goodis
The Wounded and the Slain
Übersetzt von Charlotte Breuer & Norbert Möllemann
Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2007,
252 S., 6,99 US-$