Schmauchspuren.
No. 21
Die Kolumne von Peter Hiess
Kluge Krimis, noch klügere Bücher über Krimis, weniger kluge Übersetzungsfehler - und natürlich das geliebte Pulp-Programm: Peter Hiess präsentiert neue Spannungsliteratur.
Die Gattin eines Wirtschaftsprüfers erschießt ihren Mann und eine Nutte, als sie die beiden in flagranti in einem schäbigen Motelzimmer erwischt.
Klarer Fall - doch die Beamten der Chicagoer Mordkommission vermuten mehr dahinter. Höchst inoffiziell beauftragen sie die Privatdetektivin Ms. Tree (Aha, Mystery! Begriffen?) mit weiteren Ermittlungen. Die sexy Witwe und Expartnerin ihres gemeuchelten Mannes stürzt sich in "Deadly Beloved" mitten ins Geschehen, deckt dabei eine Verschwörung auf, hat heiße Affären und schreckt auch nicht davor zurück, Horden von Bösewichten abzuknallen.
Man merkt der Romanheldin des Spillane-Fans Max Allan Collins auf jeder Seite an, daß sie einer Comic-Serie entsprungen ist. Ms. Tree ist kurvenreich und eine Meisterin witziger Bemerkungen; ihre männlichen Bekanntschaften wiederum kommen durchwegs muskulös, hart und lakonisch daher. Collins, Tie-in-Vielschreiber und postmoderner Meister des Krimi-Pastiches, ist mit seinem dritten Originalbeitrag für die geniale Hard-Case-Pulp-Taschenbuchreihe ein unterhaltsamer, wenn auch nicht wahnsinnig origineller Roman gelungen, der zumindest Interesse an den Ms.-Tree-Comics weckt.
Auch Lawrence Block taucht nicht zum ersten Mal bei Hard Case auf. Aber welch umwerfendes Buch ist sein 1961 entstandenes "A Diet of Treacle"! Die Story von den Beatniks, die Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre als frühe Aussteiger die Cafés, Mietshäuser und Lofts von Greenwich Village bevölkern, strotzt nur so vor Authentizität, sprachlichem Einfühlungsvermögen und subtiler Spannung. Der frustrierte Koreaveteran, der psychopathische kleine Dealer und das anständige Mädchen aus Harlem, das in schlechte Gesellschaft gerät - sie sind die Besetzung eines Romans, der seinen Höhepunkt in einem Polizistenmord, der anschließenden Flucht und einem zutiefst moralischen Noir-Ende findet. Eine wunderbare Wiederentdeckung.
"Am Rand der Welt" ist ein Spätwerk des vielgerühmten Politthriller-Experten Ross Thomas (1926-1995). Das merkt man schon daran, daß er sich mit der
Handlung um den arbeitslosen Terrorismusexperten, der im Auftrag dunkler Geheimdienstkreise einem philippinischen Guerillaführer fünf Millionen Dollar Ruhestandsmotivation überbringen soll, recht viel Zeit läßt. Der Plot entwickelt sich zur Gauner- und Hochstaplergeschichte mit den Thomas-Figuren Artie Wu, Quincy Durant und "Otherguy" Overby und ist ein ganz amüsantes Intrigenspiel, das sich sehr stark an reale politischen Ereignisse anlehnt. Kühl und klar geschrieben, nur manchmal trockener als der typische Agenten-Martini.
Das Nachwort zum Thomas-Roman schrieb der deutsche Kriminalliteratur-Experte Thomas Wörtche, der mit "Das Mörderische neben dem Leben" ein Sachbuch (aus Kolumnen und Artikeln) zum Thema verfaßt hat. Da Wörtche als Herausgeber der Krimireihe metro im Unionsverlag gute Arbeit leistete, will man auch dieses Buch mögen, ganz ehrlich. Nur leider stecken in den Aufsätzen über Eric Ambler, Chester Himes, Georges Simenon zuviel Arroganz und hinter Fremdworten getarnte Überheblichkeit, zu viele Dünkel gegen das "Triviale", den dummen Leser da draußen. Und das macht es einem schwer, diese Sammlung bis zum Schluß durchzuhalten.
Ross Thomas:
Am Rand der Welt
Übersetzt von Jürgen Behrens
Alexander-Verlag 2008,
406 S., 14.90 €(D) |
Thomas Wörtche:
Das Mörderische neben dem Leben
Libelle Verlag 2008,
203 S., 19,90 €(D)
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Nur ein Wort an den Liebeskind-Verlag, dessen Arbeit wir hier lieben und schätzen - aber so geht's ja auch nicht: Nach "Driver" veröffentlicht ihr den mindestens ebenso großen Roman "Deine Augen hat der Tod" vom amerikanischen Krimi-Existentialisten James Sallis, eine an sich wunderbare Geschichte über einen ehemaligen Regierungs-Auftragskiller, der als Künstler seinen Ruhestand genießen will, aber doch noch einmal in ein tiefschwarzes und tödliches Spiel mit Exkollegen verwickelt wird. Sehr schön, nur darf man es sich da nicht erlauben, einen Übersetzer zu engagieren, der sich grobe Fehler leistet, z. B. "greasy spoon" ("billiges Schnellrestaurant", wie sogar das Internet weiß) tatsächlich mit "fettiger Löffel" zu übersetzen und nicht zu wissen, daß man ein Verfolgerauto nicht "verliert", sondern "abhängt". Schade drum.
James Sallis:
Deine Augen hat der Tod
Übersetzt von Bernd W. Holzrichter
Liebeskind Verlag 2008,
192 S., 16.90 €(D)
Zum Schluß noch ein Zugreisen-Thriller für alle, die pure Unterhaltung suchen: Mark T. Sullivans "Limit" geht von der durchaus sympathischen Idee aus, daß eine Gruppe idealistischer "Terroristen" einen Milliardärsclub überfällt, die reichen Piggies als Geiseln nimmt, Schauprozesse gegen sie im Internet überträgt und viel Geld sowie Weltverbesserung fordert. Doch ein "Die Hard"-mäßiger Sicherheitschef könnte den Widerständlern einen Strich durch die Rechnung machen � Daß die Terror-Story nur auf den ersten Blick eine ist, ahnt man übrigens schon auf den ersten Seiten - und kennt den wahren Bösen spätestens dann, wenn er das erste Mal durchs Bild geht. (Tip: der Name!) Fesselt trotzdem bis zur Endstation.
Mark T. Sullivan:
Limit
Übersetzt von Irmengard Gabler
Fischer Tb Verlag 2007,
444 S., .,95 €(D)