Schmauchspuren.
No. 25
Die Kolumne von Peter Hiess
"Surf's Up", selbst bei Stubenhockern wie dem gemeinen Krimileser. Doch ob in Florida oder in Berlin - Kinderschänder und Killer lauern überall. Peter Hiess berichtet ...
Beginnen wir gleich mit den Besten: Marcel Feige läßt seinen Berlin-Thrillern "Wut" und "Gier" einen weiteren Einwort-Titel folgen. "Trieb" stürzt den Leser auf fast 700 exzellent geschriebenen und hervorragend recherchierten Seiten in kriminelle Abgründe, die er lieber gar nicht kennengelernt hätte. Aber es muß sein: Die Geschichte um einen ermordeten Geschäftsmann im Nobelhotel, einen Ausreißer aus Albanien, mörderische Politintrigen und die Ermittlungen des aus den ersten beiden Bänden bekannten Kommissars Paul Kalkbrenner sowie des Sensationsreporter Harald Sackowitz entwickelt sich ganz anders, als man denkt. Und sie führt in die schmutzigen Abgründe von Pädophilenringen, von denen scheinbar (auch in der grausamen Realität!) viele wissen, gegen die aber keiner was tut. Kalkbrenner, frisch geschieden, steht genauso oft vor verschlossenen Türen wie Sackowitz, der hier sogar öfter in Lebensgefahr gerät und in diesem Buch der eigentliche Held ist. Eindeutig einer der Krimis des Jahres 2009.
Marcel Feige:
Trieb
Goldmann Verlag 2009,
671 S.,8.95 €(D), 9.20 €(Ö)
Ebenfalls einen Platz auf der Bestenliste - wenn auch weiter unten - hat Don Winslow verdient, dessen Roman "Pacific Private" in der ersten Staffel der neuen Kriminalreihe des Suhrkamp-Verlags (!) erscheint - und große Hoffnungen für das Projekt weckt. Winslows Held heißt Daniel Boone, ist Ex-Polizist und zeitweise Privatdetektiv, wenn das Geld knapp wird. Ansonsten widmet er sich im kalifornischen Pacific Beach mit seinen Freunden von der "Dawn Patrol" lieber exzessiv dem Surfen. Boone soll im Auftrag einer Anwältin nach einer verschwundenen Kronzeugin - einer Stripperin - suchen, rutscht dabei aber in eine üble Geschichte mit Verbrecherbanden und organisiertem Kinderhandel hinein, bei der ihm im Finale seine superlässig entspannten Surf-Kollegen helfen. Selbst wenn man an Beach Boys und Wassersport so gar kein Interesse hat, überzeugt Pacific Private durch Aufbau, Stimmung und Sprache. Damit hat er es verdient, mehr als der "Sommerkrimi" aus der Werbung zu sein.
Don Winslow:
Pacific Private
Übersetzt von Conny Lösch
Suhrkamp Verlag 2008 u. 2009,
395 S., 9.95 €(D)
Da der Sommer auch hier endlos lang war und viel Zeit zum Lesen bot, ist diesmal Platz für die nächsten drei Bände der Pulp-Reihe Hard Case Crime. Der heute zu Unrecht fast vergessene Steve Fisher schrieb 1958 "No House Limit" über Joe Martin, einen unabhängigen Casino-Betreiber in der Glücksspielstadt Las Vegas, der vom Mob böse bedrängt wird. Die Mafia schickt ihm einen Berufsspieler auf den Hals, der sein Haus beim Würfelspiel ruinieren soll. Knapp und lakonisch geschrieben, mit Femme fatale, mitreißend, lesenswert.
Das gilt auch für "Baby Moll" von John Farris (ebenfalls von 1958 - anscheinend ein gutes Jahr), die Story von Peter Mallory, einst ein Macher im organisierten Verbrechen von Florida, der von seinem alternden Boß für den berühmten "letzten Job" zurückgerufen wird:
eine Rettungsaktion, die sich gefährlich anläßt, klaustrophobisch weitergeht und schließlich blutig endet. Mehr kann man nicht erwarten.
Ken Bruen und Jason Starr lassen in "The Max" (2008) ihre absoluten Loser-Helden aus Bust und Slide, Max Fisher und Angela Petrakos, ein drittes Mal in der Welt skurriler, schwarzhumoriger Krimiklischees antreten. Diesmal sind beide im Gefängnis - der weltfremde "The Max" in Attica, Angela im griechischen Frauenknast, komplett mit "Women in Prison"-Subplot. Und dann? Irrsinn, Bandenkriege, Ausbruch, Herpes, Flucht. Schnell gelesen und ein Riesenspaß.
Steve Fisher:
No House Limit
Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2008,
224 S., 6.99 US-$
John Farris:
Baby Moll
Hard Case Crime/Rotbuch 2009,
217 S., 9.90 6.99 US-$
Ken Bruen & Jason Starr:
The Max
Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2008,
220 S., 6.99 US-$
Das mit dem Spaß kann man Reggie Nadelson nicht gerade vorwerfen, auch wenn manche Rezensenten seine New-York-Krimis um den Cop Artie Cohen über den grünen Klee loben.
Die Story von "Kalter Verrat" (Cohens mörderischer Neffe Billy kommt aus der Besserungsanstalt und erweist sich so gar nicht als braver Bub) ist alles andere als raffiniert, sondern im Gegenteil höchst berechenbar, der Erzählstil schwerfällig und bemüht, und die endlos aufgewärmten Klischees über russische Migranten und deren wodkagetränkte Melancholie kratzen heftig am Nervenkostüm.
Nur für Feuilletonleser mit dem bekannt engen Horizont.
Reggie Nadelson:
Kalter Verrat
Übersetzt von Claudia Feldmann
Piper Verlag 2009,
397 S., 12.00 €(D), 12,40 €(Ö)
Da kehren wir doch lieber zu den Besten zurück - in Form eines Buches, das an dieser Stelle im Original bereits besprochen wurde.
Jetzt ist der absurd-perverse und himmelschreiend lustige Gonzo-Thriller "Crooked Little Vei" von Warren Ellis auch auf deutsch erschienen:
"Gott schütze Amerika" hat ein abscheuliches Cover, ist aber kompetent übersetzt (obwohl niemand mit dem originalen Ellis-Englisch mithalten kann) und darf in keinem Haushalt fehlen.
Warren Ellis:
Gott schütze Amerika
Übersetzt von Conny Lösch
Heyne Verlag 2009,
303 S., 7.95 €(D), 8,20 €(Ö)