Schmauchspuren.
No. 26
Die Kolumne von Peter Hiess
Der "literarische Krimi" ist was für Literaten, und die ergehen sich bekanntlich gern in Langeweile. Peter Hiess greift auch in seiner neuen Kolumne lieber zu handlichen Genre-Schätzen
Man hätte gewarnt sein müssen. Wenn das bürgerliche Feuilleton jemanden so in den Literatenhimmel lobt wie den Briten David Peace, muß was faul sein. Ist es auch: Peaces neuer Roman, "Tokio im Jahre Null", ist in Wahrheit kein Krimi, sondern eine Ansammlung krankhafter Ticks. Die Geschichte vom japanischen Polizisten, der ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs in seinem traumatisierten Land nach einem Serienmörder sucht, erschöpft sich in endlosen, den Plot zerreißenden inneren Monologen voll nervender Manierismen. Sowas passiert eben, wenn einer "fiebrig" und "psychotisch" schreiben will: Da gibt sich der unverläßliche Erzähler (auch nix Neues) seinen Visionen und Erinnerungen hin, kratzt seine Lausbisse (kratz, kratz), hört den Regen tropfen (platsch, platsch), und alles endet so, wie man es schon aus "Shutter Island" kennt. Nur war's dort wesentlich besser. Also noch einmal bei null anfangen.
David Peace:
Tokio im Jahr Null
Übersetzt von Peter Torberg
Liebeskind Verlag 2009,
416 S., 22.11 €(D)
Da stürzen wir uns doch lieber auf handliche Taschenbücher, schnell zu lesen, gekonnt geschrieben und ohne Kunstkunst-Anspruch: Chris Mooneys "Missing" etwa, in dem ein ein kleines Mädchen in einem amerikanischen Kaff plötzlich beim Schlittenfahren verschwindet und nie mehr auftaucht, obwohl es einen Hauptverdächtigen - einen katholischen Geistlichen - gibt, dem aber nichts nachgewiesen werden kann. Als der Priester fünf Jahre später im Sterben liegt, versucht der Vater des Mädchens noch einmal, etwas über das Schicksal seiner Tochter zu erfahren. Spannend und rasant geschrieben, bis zur letzten Nebenfigur glaubwürdig und trotz der etwas abstrusen Auflösung lesenswert.
Tom Piccirillis Thriller "Schmerz" wiederum erscheint nicht umsonst bei Heyne Hardcore - da wird ordentlich geblutet, verstümmelt und gestorben. Die Horrorelemente stören aber ganz und gar nicht, in dieser Story vom Sozialarbeiter, der bei der Betreuung mißhandelter Kinder auf eine seltsame Familie stößt und plötzlich im Mittelpunkt einer Mordserie steht. Im Gegenteil: Man gruselt sich und will wissen, wie es ausgeht.
Chris Mooney:
Missing
Übersetzt von Michael Windgassen
rororo Rowohlt Verlag 2009,
383 S., 8.95 €(D)
Tom Piccirilli:
Schmerz
Übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner
Heyne Verlag Hardcore Tb 2009,
351 S., 8.95 €(D), € 9.20 (Ö)
Weiter im Taschenbuch, diesmal aber auf englisch und wieder aus der brillanten Pulp-Reihe Hard Case Crime, die mit zwei Neuerscheinungen aufwartet: Max Allan Collins erzählt in "The First Quarry" den ersten Auftrag seines Profikillers Quarry nach - der soll im Auftrag eines irren Millionärs einen College-Professor ermorden, weil der das reiche Töchterlein verführt hat. Dahinter aber verbergen sich naturgemäß allerlei andere Abscheulichkeiten �
Ex-Splatterpunk David J. Schow wiederum zeigt in "Gun Work" allen Möchtegern-Harten-Hunden, wie zeitgemäßer Noir wirklich geht. Barney, moderner Revolvermann und Experte für nicht ganz legale Aufträge, wird von einem alten Freund nach Mexiko gerufen, weil dessen Frau angeblich entführt wurde. Wie sich herausstellt, steckt dahinter eine üble Intrige, die ihn fast umbringt - und dann ist Rache angesagt, mit ein paar anderen Waffenprofis, maskierten mexikanischen Wrestlern und einer Femme, die mehr als fatal ist. Hart und schnell wie ein guter Punksong, Marke Endsiebziger. Ein Juwel.
Jan Costin Wagner macht's in Sandmann träumt kurz, wie es bei der Reihe Kaliber .64 Vorgabe ist, also halten wir uns auch nicht zu lang auf: Die Geschichte von einem modernen Professor Unrat, der sich in eine Schülerin verliebt, nimmt eine beunruhigende Entwicklung, findet ihren tragischen Höhepunkt auf einer Klassenfahrt und nähert sich dem Thema endlich einmal anders als auf die heute übliche, inquisitorische Ach-was-sind-wir-entsetzt-Art. Gelungen.
Jan Costin Wagner:
Sandmann träumt
Edition Nautilus Kaliber .64 2009,
61 S., 4.90 €(D)
Don Winslow wurde schon letztes Mal an dieser Stelle gelobt, dem sei nur mehr hinzugefügt: Man braucht natürlich auch seinen hervorragenden Roman
Frankie Machine, jetzt ebenfalls bei Suhrkamp erschienen: die Geschichte des pensionierten Mafiakillers Frank Machianno, der in Kalifornien eigentlich nur noch in Ruhe seinen Angelshop betreiben und Altherrensurfen will, als ihn die Machenschaften der "Familie" wieder einholen. Wer ihn beseitigen will und wie Mr. Machine damit fertigwird, das lesen Sie am besten selbst. Aber schnell.
Don Winslow:
Frankie Machine
Übersetzt von Chris Hirte
Suhrkamp Verlag 2009,
365 S., 8.95 €(D)
Dafür können Sie sich "Die Rache" ersparen - einen alten (1989, aus der Vor-Handy-Zeit), jetzt neu übersetzten Roman von John Katzenbach, dessen aktuelle Psychothriller durchaus gefallen, von dem man aber längst nicht alles haben muß. Schon gar nicht diesen Krimi über Ex-Revoluzzer, die von ihrer einstigen Komplizin in Bedrängnis gebracht werden. Die US-Kleinfamilie siegt,
of course, und nicht nur das wirkt hier mehr als antiquiert. Eindeutig kein Bestseller, trotz Cover-Aufkleber.
John Katzenbach:
Die Rache
Übersetzt von Anke & Eberhard Kreutzer
DromerKnaur Verlag 2009,
507 S., 9.95 €, 10,30 € (Ö)