Schmauchspuren.
No. 24
Die Kolumne von Peter Hiess
Leatherface in Schottland? Ein J-Horror-Plot im gemütlichen Wien? New Hollywood im Taschenbuch? Diesmal denkt unser Krimiexperte Peter Hiess beim Lesen dauernd an Filme. Schließlich hängt in der Welt der Populärkultur ohnehin alles zusammen
Der Titel verspricht nicht zuviel, im Gegenteil: In
Stuart MacBrides "Blut und Knochen" wird beides an besonders grauslichen Tatorten entdeckt, zusammen mit Menschenfleisch, das in die Nahrungskette gelangt. Detective Sergeant Logan McRae von der Polizei in Aberdeen vermutet zu Recht, dass nach jahrelanger Pause der "Fleischer" wieder aufgetaucht ist und seine Opfer brutal abschlachtet - um einiges weniger kultiviert als sein amerikanischer Kollege Hannibal Lecter. Auch die Polizei hat mit den US-Genrevertretern wenig gemeinsam. Statt high-tech-gestützt zu ermitteln, watet sie knöcheltief durch den Abschaum der Menschheit, betrinkt sich am Abend im Pub, schlägt sich mit cholerischen Chefs herum und ernährt sich von schädlichem Euro-Junkfood. "Blut und Knochen" verhält sich somit zum üblichen Hollywood-Serienmörderkrimi wie "Trainspotting" zu "Requiem for a Dream"; der Roman ist hart, realistisch und entdeckt auch im schlimmsten Blut-und-Beuschel-Massaker noch tiefschwarzen Humor. Absolute Empfehlung.
Stuart MacBride:
Blut und Knochen
Übersetzt von Andreas Jäger
Goldmann Verlag 2009,
539 S.,8.95 €(D)
Dasselbe gilt für den Roman "Die Engelsmühle"
des Österreichers und dreifachen deutschen Phantastikpreisträgers
Andreas Gruber, der in seinem zweiten Thriller um den Versicherungsdetektiv Peter Hogart ebenfalls nicht vor (literarischer) Gewalt zurückschreckt. Am Anfang steht der Mord an einem pensionierten Wiener Arzt, der in seiner Villa grausam ermordet wird. Und da Hogarts Bruder in den Fall verwickelt ist, nimmt sich der Ermittler der blutigen Affäre an.
Der Killer sucht nach einem Videoband, auf dem eine kurze Schwarzweißszene in einem Spital zu sehen ist; dabei mordet er sich durch die Stadt, dem Detektiv immer einen Schritt voraus. Die Auflösung des Falles ist spannend und hervorragend konstruiert, der Protagonist auf zerknautschte Art sympathisch, und der gruslige Krimi macht Lust auf mehr. Das führte dazu, daß der Autor dieser Zeilen den Vorgänger Schwarze Dame aus dem Regal holte und sich vom ersten Hogart-Roman ins winterliche Prag entführen ließ, wo sich aus einer Kunstbetrugsaffäre eine mindestens ebenso filmreife Mordserie entwickelt. Worauf wartet der ORF noch?
Andreas Gruber:
Die Engelsmühle & Schwarze Dame
Übersetzt von Bernd W. Holzrichter
Festa Verlag 2008 u. 2009,
jew. 272 S., jew. 13.95 €(D)
Man könnte sich diese Frage auch in Bezug auf deutsche TV-Sender stellen, die es bisher verabsäumt haben, die großartigen Romane um die Pfälzer Kriminalkommissarin Bettina Boll (an dieser Stelle bereits mehrfach gelobt) ins Hauptabendprogramm zu bringen. Der fünfte Teil der Reihe heißt "Die Herzen aller Mädchen" und führt die alleinerziehende (Adoptiv-)Mutter mit der scharfen Kombinationsgabe ins Milieu der Literaten, Büchersammler und nostalgischen Spionagegeschichten. Als Leser vermißt man hier zwar ein bißchen die Beschreibung der Provinzmentalität, die die Vorgänger so attraktiv machte - aber wer will sich schon wiederholen? Also: trotzdem wieder ein Treffer.
Monika Geier:
Die Herzen aller Mädchen
Ariadne/Argument Verlag 2009,
351 S., 11.00 €(D)
Härte aus Hollywood
Ein Gewinn für Kenner sind auch die Bände 43 und 44 der US-Pulp-Reihe Hard Case Crime, beides längst fällige Wiederentdeckungen.
Shepard Rifkins "The Murderer Vine" aus dem Jahre 1970 schickt einen New Yorker Privatdetektiv in die Südstaaten, wo er die Morde an Bürgerrechtlern (à la "Mississippi Burning") aufklären und mit den Tätern - gar nicht unsympathisch beschriebenen "good ole boys" - kurzen Prozeß machen soll. Trotz Vigilantengerechtigkeit und einer beginnenden großen Liebe verläuft das Ende des Romans alles andere als happy und erinnert damit an die New-Hollywood-Ära, wo man sich im Kino auch andere Wege zu beschreiten traute.
"Somebody Owes Me Money" (1969) von
Donald E. Westlake liefert hingegen bewährte, mit Miniröcken aufgepeppte Krimiware. Der Held ist ein junger New Yorker Taxler ohne große Ambitionen, aber mit einer ungesunden Begeisterung fürs Glücksspiel. Als er sich eines Tages einen hohen Pferdewettengewinn abholen will, findet er seinen Buchmacher ermordet vor und wird daraufhin in den Krieg zweier Verbrecherbanden verwickelt, die beide glauben, daß er mehr weiß, als er sagt. Westlake erzählt amüsant wie immer und kommt ohne Femme-fatale-Klischees aus. Erfrischend.
Ein kleiner, mieser Gauner, der sich und seine Cleverness permanent überschätzt, 1962 im kalifornischen Küstenort Oceanview als Junkie durchs Nachtleben streift, Polizeispitzel und Freundesverräter ist, stets nach dem großen Geld sucht und bei den Frauen längst nicht so gut ankommt, wie er vermutet: "Lockruf der Nacht" ist viel zu realistisch, um nette Krimiunterhaltung zu sein. Kein Wunder, stammt er doch vom amerikanischen Berufsverbrecher
Edward Bunker, der in den 70ern etwas literarische und Kino-Berühmtheit erlangte. An diesem einst verschollenen Debütroman kann's nicht liegen - der verspielt durch seinen Mangel an sympathischen Figuren selbst viel Sympathie �
Edward Bunker:
Lockruf der Nacht
Übersetzt von Jürgen Bürger
Liebeskind Verlag 2009,
220 S., 16.90 €(D)