Schmauchspuren.
No. 2
Die Kolumne von Peter Hiess
So viel zu killen, so wenig Zeit. Und mehr Krimis, als man lesen kann - oder sollte. Peter Hiess macht aus seinem Herzen keine Mördergrube.
Ja, die Amis haben das absolut drauf mit dem flott erzählten Serienkiller-Trash. Der erfüllt zwar auch in "Toxic" alle Klischees und ist typisch auf potentielles Hollywood-Script hingeschrieben, funktioniert aber dennoch sehr unterhaltsam. Seamus Moynihan, Detektiv der Mordkommission in San Diego (geschieden, traumatisches Kindheitserlebnis, schlechter Vater mit schlechtem Gewissen, lebt auf einer Yacht) jagt mit seinen illustren Kollegen - die perfekte Ethno-Mischung für die Leinwand - und seiner Schwester, natürlich einer Profilerin, einen Irren, der seine Opfer in bizarr-biblischen Sex-Tod-Folter-Ritualen mit Schlangen und deren Gift meuchelt. Nichts Neues zwar, aber mitreißend wie ein guter B-Film.
Mark T. Sullivan:
Toxic
Übersetzt von Sonja Schuhmacher & Thomas Wollermann
Fischer Taschenbuch Verlag, 2005,
462 S. € 8,95 (D)
Ähnliches gilt auch für "Totenstarre", den Thriller eines Ex-Nachrichtenreporters, in dem eines der ältesten Klischees der Gruselfilmgeschichte aufgewärmt wird: Ein Bildhauer findet im Töten die Inspiration für seine Werke. Nein, der berühmte Künstler, der einsam in der Wüste haust, gipst seine Opfer nicht in Statuen ein - sondern viel schlimmer. Weil er natürlich ein schwer kindheitstraumatisierter, sadistischer Serienmörder (hätten Sie's erraten?) ist, der von einer Kollegin zur Strecke gebracht wird. Atemberaubende Gore-Action. Und ja: So sind sie, die Künstler.
Mark Nykanen:
Totenstarre
Übersetzt von Übersetzt von Fred Kinzel
Limes Verlag, 2005,
415 S. € 19,90 (D)
So, wie der deutsche Theaterkritiker Michael Merschmeier sie in "Frölichs freier Fall" beschreibt, sind sie allerdings garantiert nicht. Da wird, unter kaum verschleiertem Dauer-Namedropping berühmter Persönlichkeiten, ein Maler ermordet, und der Berliner Kommissar Sebastian Frölich versucht den Fall wie eine alte Kultureule - weil ja alle bei der Polizei so sensibel und gebildet sind - zu klären. Er und seine Kollegen bzw. -innen sowie alle anderen Personen der Handlung reden so, wie kein Mensch redet, sondern nur Theaterkritiker denken. Und schwul ist er natürlich auch.
Es muß einmal gesagt werden: Schwulen- und Lesbenkrimis sind zu 99 Prozent todlangweilig. Aber dafür engagiert, politisch korrekt und stets schwer betroffen. Ungefähr so wie "Der Wald der toten Seelen" der britischen "Creative Writing"-Lehrerin (auch so ein Elend, dieses Kreativschreiben) Carla Banks, die auf der Spur einer ermordeten Historikerin durch eine Welt voller Immigranten, Weltkriegstraumatisierter und in Weißrußland ermordeter Naziopfer führt. Vergangenheitsbewältigung nach Vorschrift und à la "Spiegel-TV", nur viel zartfühlender. Das alles muß in Krimis wirklich nicht sein.
Michael Merschmeier:
Frölichs freier Fall
dtv premium 2005,
279 S., € 14,00 (D) |
Carla Banks:
Der Wald der toten Seelen
Übersetzt von Theda Krohm-Linke
rororo, 2006,
459 S., € 8,90 (D) |
Da geht man doch gern und flugs zu zwei weiteren Bänden der "Hard Case Crime"-Reihe (siehe vorige Ausgabe) weiter - weil flotte Private-Eye-Pulps viel mehr Freude machen als dieser psychologisierende Wir-sind-auch-irgendwie-Hochliteratur-Unsinn, der heute die Regale zumüllt. Mit "Top of the Heap" (Band 3) wurde ein Roman des "Perry Mason"-Autors Erle Stanley Gardner aus dem Jahre 1952 veröffentlicht, in dem wir endlich wieder einmal dem Detektiv-Duo Donald Lam und Bertha Cool begegnen. Worum es geht? Gangsterliebchen, Firmenschwindel, ein paar Morde, bankrotte Playboys, nette und böse Polizisten. So gehört sich das.
Band 4 der Serie hingegen stammt von Richard Aleas, heißt "Little Girl Lost" und versucht den klassischen Femme-fatale-Plot des Genres in die Gegenwart zu zerren, inklusive Handy, Internet und Silikontitten. Auch nicht übel, irgendwie - wüßte man als Leser nicht schon nach etwa 50 Seiten, wie die Story ausgehen wird.
In jedem Fall sind die "Hard Cases" jedoch pure Qualität gegen das, was sich eine gewisse Justine Wilson mit "Blood Angel" vorzulegen traut. Da geht es um Junkies, uralte Engel und Dämonen, alte Prophezeiungen, Wüstenfestivals à la "Burning Man" - und wenn man genauer hineinliest, eigentlich um gar nichts. Die Autorin schafft es kaum, ihre Geschichte stringent zu erzählen, geschweige denn Dramatik aufzubauen, sondern arbeitet einfach stur und uninteressiert "plot-points" ab, wobei sie manchmal versucht, wie Poppy Z. Brite in frühen Jahren zu schreiben (was sich nicht einmal mehr Poppy traut �). Und die ganze Wurschtelei wird von Knaur unter dem Reihennamen "Dunkle Spannung" verkauft, wobei dieser 400-Seiten-Ziegel statt dunkel nur schmierig und keinen Augenblick lang spannend ist. Sowas lesen bestenfalls die S/M-Grufties des neuen Jahrtausends, weil die ohne Gehirn durchs Leben schlurfen müssen. Geschieht ihnen recht.
Justine Wilson:
Blood Angel
Übersetzt von Michael Windgassen
Knaur Tb. Verlag 2005,
414 S., € 8.95
Wenn schon Schund, dann (das sollte längst klar sein) lieber professionell gemachten - wie etwa die guten alten "Jerry Cotton"-Heftln. Deren Highlights aus vergangenen Jahrzehnten bringt der Bastei-Verlag seit einigen Wochen als "Classic Ausgabe: Die Fälle der frühen Jahre" heraus. Und darüber wird sich nicht nur Harald Schmidt freuen.