KrimiKurier No.30 Sommer 2009 »So seltsam es scheint, immer sind es die intelligenten Menschen, die sich erwischen lassen.« Liebe Leser, Bekannte und Freunde, der KrimiKurier hat jetzt einen weiteren Herausgeber: Jörg von Bilavsky. Er arbeitet als Autor und Journalist in Berlin. Was ihn außer Kriminalromanen noch so umtreibt, verrät folgender Link: www.blockfrei.net Zu jedem entspannten Urlaub gehört ein spannender Krimi. Wenn der Roman noch in den Straßen und Landschaften des geliebten Ferienorts spielt, dann kann mit der Ferienlektüre nichts mehr schief gehen. Machen wir diesmal also ein paar Abstecher in jene Länder, die wir Deutschen oft und gern bereisen. Italien und Frankreich stehen schon seit Jahrzehnten hoch im Kurs. Und die eigene Heimat rangiert angesichts klammer Haushaltskassen ohnehin auf Platz 1 der beliebtesten Reiseziele. Aber auch der Rekordtiefstand des Britischen Pfund macht Großbritannien dieses Jahr zu eine der Top-Adresse für deutsche Touristen. Doch diese Länder haben nicht nur Sehenswürdigkeiten und Strände zu bieten. Sie sind auch die Heimat hervorragender Krimiautoren. Wie folgende Neuerscheinungen beweisen. Viel Spaß beim Lesen wünschen Gisela Lehmer-Kerkloh und Jörg von Bilavsky
Ein Blick auf "Die Befragungen", den Fragebogen für deutsche und internationale Krimiautoren lohnt immer: www.alligatorpapiere.de/befragungindex.html. Gisela Lehmer-Kerkloh und Jörg von Bilavsky
Loriano Macchiavelli: Die Mörder von Sanleonardo. München: Piper Verlag 2009. S. 218, 12.00 €. Echten Espresso gibt es nur in Italien, doch den einzig wahren weiß nur einer aufzubrühen: Kommissar Antonio Sarti aus der wunderschönen Universitätsstadt Bologna. Doch bevor der feierabendsüchtige Kriminalist seinen starken Schwarzen genießen darf, schickt ihn sein unbarmherziger Chef erst mal auf die Suche nach vier vermeintlichen Mördern. Vier Studenten sollen nämlich eine ehemalige Puffmutter im stolzen Alter von achtzig Jahren um ihr Leben und 850.000 Lire gebracht haben. Ganz auf die brutale Tour. Mit mehreren Hammerschlägen. Dass Sarti sie am Tatort gesehen hat und das mörderische Quartett danach spurlos verschwindet, ist natürlich höchstverdächtig. Extrem verdächtig machen sich im Verlauf der Ermittlungen aber noch ganz andere. Etwa der Schwiegersohn der Ermordeten, der womöglich auf ihr Erbe spekuliert hat. Aber auch Krimiautor Loriano Macchiavelli, der das ganze Geschehen erdacht hat und permanent kommentiert, stilisiert sein Alter ego zum Tatverdächtigen. Als Autor ist er ja bereits der Mörder im Geiste. In "Wahrheit" ist der Mörder aber vielleicht ein ganz anderer. Doch bis Sarti dank eines studentischen Tunichtguts und seines eigenen Scharfsinns den wahren Täter stellt, lernen wir die korrupte Bürokratie Bolognas ebenso hautnah kennen wie den Eros ihrer weiblichen Bewohner. Gründe genug also, um sich mit diesem skurrilen Krimi und ein paar echten Espressi in die Hauptstadt der Emilia Romagna versetzen zu lassen. JvB (Bestellen bei Missing Link) Gianrico Carofiglio: Die Vergangenheit ist ein gefährliches Land. Aus dem Italienischen von Julia Eisele München: Goldmann Verlag 2009. S. 286, 19.90 €. Was macht illegale Glücksspiele so verführerisch? Die Aussicht auf das scheinbar leicht verdiente Geld? Der Nervenkitzel erwischt zu werden oder etwa der Glaube, dem Zufall ein Schnippchen schlagen zu können? All das mag eine Rolle spielen. Für den ehrgeizigen und erfolgreichen Jurastudent Giorgio aus dem süditalienischen Bari bietet das Pokerspiel vor allem eine Möglichkeit dem Alltagstrott zu entfliehen und den vorgezeichneten Karriereweg einmal zu verlassen. Dabei weiß Giorgio zunächst gar nicht, wie im geschieht, als er sich auf den notorischen Falschspieler und Frauenheld Francesco einlässt. Gemeinsam zocken sie die schwülwarmen Nächte durch und erleichtern ihre wohlhabenden Mitspieler um Millionen von Lire. Zwischendurch vertreiben sie sich die Zeit mit Strandschönheiten und gelangweilten Unternehmergattinnen. Bis sie immer tiefer in den Sumpf von Gewalt und Betrug versinken und sich eine Katastrophe anbahnt. Gianrico Carofiglio erzählt die Höllenfahrt des jungen Mannes aus anständigem Hause nicht mit juristisch oder moralisch erhobenem Zeigefinger. Der Beststellerautor und Ex-Staatsanwalt erzählt ganz unvoreingenommen davon, wie leicht man sich selbst und andere betrügen kann, wie man dabei sein schlechtes Gewissen betäubt und wie schwer Schuld wiegen kann. Mit großem Einfühlungsvermögen und einem sicheren Gespür für anhaltende Spannung und beklemmende Szenen. JvB (Bestellen bei Missing Link)
Fred Vargas: Der verbotene Ort. Berlin: Aufbau Verlag 2009. Geb., S. 434, Euro 19.95 € Vampirgeschichten sind - um es gleich in französischer Manier zu sagen -"en vogue". Der Erfolg von Stephenie Meyers schaurigen Schundromanen liefert den besten Beweis für die wieder entflammte Attraktivität dieser Legenden. Wie man sich den geheimnisumwitterten Untoten literarisch eleganter und historisch tiefschürfender nähert, beweist Fred Vargas mit ihrem neuesten Krimi "Der verbotene Ort". Der unerschrockene Adamsberg erkundet diesen Flecken im tiefsten Serbien, um herauszufinden, wieso mitten in Paris ein Mann in "vierhundertsechzig Teile zerstückelt" worden ist. Überdies muss er sich den Kopf darüber zerbrechen, was "siebzehn aufgereihte Schuhe, in denen herrenlos gewordene Füße stecken" im fernen London damit zu tun haben. Des Rätsels Lösung birgt eine sagenhafte Vampirgestalt, dessen einstige Opfer die Nachgeborenen anscheinend zu rächen versuchen. Gilt es doch einen fürchterlichen Fluch zu bannen. Adamsberg stößt bei seiner Suche nach dem Täter nicht nur auf Aberglauben, Aggressionen und Amtsmissbrauch, sondern auch auf seine verdrängten Jugendsünden. So mysteriös wie dieser kurze Abriss anmutet, so geheimnisvoll stellt sich der ganze Roman dar. Nur wer ihn aufmerksam liest, wird diesem Geheimnis auf die Spur kommen. Aber das sollte angesichts des fesselnden Sujets und der poetischen Sprache kein Problem sein. JvB (Bestellen bei Missing Link) George Simenon: Maigret amüsiert sich. (Bd. 50 der neuen Maigret-Gesamtausgabe) Zürich: Diogenes Verlag 2009. Geb., S. 1924, Euro 9.00 € Wo verbringen gestresste Kommissare wohl ihren Sommerurlaub? Richtig! Sie bleiben zu Hause und suchen den Mörder vom heimischen Herd aus. So wie man es von einem Vollblutpolizisten erwarten darf. Und ein solcher ist der Pariser Kommissar Maigret ohne Zweifel. Ihn zieht es nicht zu seinen Verwandten ins gemütliche Elsaß oder an die belebten Badestrände des Atlantiks. Obwohl er eine Kur fern der französischen Hauptstadt bitter nötig hätte, bleibt er lieber in seiner Wohnung am Boulevard Richard-Lenoir und beobachtet vom Fenster aus das bunte Treiben auf den Straßen. Er nutzt die freie Zeit aber auch, um mit seiner Frau "in Stadtvierteln umherzuflanieren, wo sie sonst nie hinkommen" und wo die beiden "mittags und abends in kleinen, amüsanten Restaurants essen". Und wir dürfen Maigret dank Simenons präziser Ortsbeschreibungen und dem beigefügten Stadtplan nicht nur in die entlegensten Winkel von Paris folgen. Mit ihm werden wir auch Zeuge eines Mordes an einer jungen Frau, die man nackt im Wandschrank der Praxis ihres Gatten entdeckt. Aber alles, was wir über ihren potenziellen Liebhaber und die möglichen Tatmotive ihres Gatten oder ihrer Hausangestellten erfahren, entnehmen wir vorwiegend Zeitungsartikeln. So wie Maigret, der den Fall täglich in der Pariser Presse verfolgt und seine Schlüsse zieht, bis er den wahren Täter "erspürt". Er agier diesmal nur als Zuschauer und hilft seinem überforderten Stellvertreter im Hauptquartier der Kriminalpolizei lediglich durch anonyme Botschaften auf die Sprünge. Keine Frage, "Maigret amüsiert sich" als "Amateurdetektiv" in seinem 50. Fall ganz prächtig und der Leser tut es auch. JvB (Bestellen bei Missing Link)
Horst Eckert: Sprengkraft. Dormund: Grafit Verlag 2009. Geb., S. 410, 18.90 €. Kommissarin Anna Winkler und ihr Kollege Martin Zander sollen den Mord an Noureddini Diouri, einem jungen Dealer marokkanischer Herkunft, aufklären. Sie begeben sich mit ihrer Ermittlungsarbeit auf gefährliches Terrain. Denn Abderrafi Diourri, der kleine Bruder des Toten, hat sich dem radikalen Islamismus zugewandt. Gemeinsam mit zwei Komplizen will er eine Bombe hochgehen lassen und damit möglichst viele Ungläubige vernichten. Die gespannte Atmosphäre, bei einem Wohnhausbrand in Mainz sind türkische Kinder umgekommen und vielerorts treten Bürgerinitiativen gegen den Bau neuer Moscheen ein, nutzen konservative Kreise, um eine antiislamistische neue Partei zu etablieren. Sie bedienen sich hierzu der übergetretenen CDU-Bundestagsabgeordneten Carola Ott-Petersen und des erfahrenen Journalisten Moritz Lemke, der für sie eine PR-Maschine in Bewegung setzen soll. Auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz mischt in Person des undurchsichtigen Norbert Still mit. Eckert gelingt es in seinem Buch erneut, seine bekannten Stärken auszuspielen. Gekonnt vermischt er Facts und Fiction, so teilt z.B. die fiktive und attraktive Carola Ott-Petersen ihre Leidenschaft für schnelle Motorräder mit der Spitzenkandidatin der Freien Wähler bei den diesjährigen Europawahlen, Gabriele Pauli. Diese Mischung steigert die Spannung und garantiert die Glaubwürdigkeit der Story. Eckerts Fähigkeit, die tägliche Polizeiarbeit hautnah zu schildern, ist ebenfalls hinlänglich bekannt. Eine weitere Stärke sind seine facettenreichen Charaktere, zu denen er aber immer die notwendige Distanz behält. So gelingt ihm in Sprengkraft insbesondere die Schilderung der Wandlung des PR-Profis Moritz Lemke, der den Freiheitlichen zunächst sehr distanziert gegenübersteht, sich aber mehr und mehr durch die Aussicht auf Macht und Einfluss korrumpieren lässt. Bedauerlich ist lediglich, dass Eckert das Buch mit fünf Hauptpersonen ein wenig überfrachtet hat. So bleibt insbesondere die Figur der Kommissarin Anna Winkler (617 Grad Celsius) dieses Mal etwas blass. GLK (Bestellen bei Missing Link) Monika Geier Die Herzen aller Mädchen. Hamburg: Argument Verlag 2009, Kart., S. 347, 11.00 € Kriminalkommissarin Bettina Boll wird in Monika Geiers fünftem Krimi dank eines kleinen Täuschungsmanövers vorübergehend an das Bundeskriminalamt ausgeliehen. Es geht um die Sicherheit eines wertvollen Ovid-Manuskriptes, das sich in der Obhut des Literaturexperten Dr. Krampe in einer kostspieligen Privatbibliothek befindet. Bettina soll vor Ort Präsens zeigen und gleichzeitig einen Kontakt zu Dr. Krampe herstellen. Zwischen den beiden entwickelt sich schnell ein Liebesverhältnis, was Bettina allerdings beinahe zum Verhängnis wird. Auf Krampes Mutter wird ein Mordanschlag verübt, der ein neues Licht auf Krampe und das eigenwillige Leben von Krampes verstorbenem Vater wirft. Monika Geier schildert einfühlsam und unterhaltend wie Bettina Boll, eine moderne Frau zwischen hartem Polizeiberuf und dem Alltagsleben mit zwei kleinen Kindern ihr Leben managt und trotz aller Stolpersteine im Griff behält. Ein ausführliches Interview mit Monika Geier bei den Alligatorpapieren unter der Rubrik Befragungen: www.alligatorpapiere.de. GLK. (Bestellen bei Missing Link)
C. J. Sansom: Der Anwalt des Königs. Aus dem Englischen von Irmengard Gabler Frankfurt am Main: Fischer Tb Verlag 2009. Kart., S. 655, 9.95 € Heinrich VIII. brach mit dem Papst, der ihm die Scheidung von Katharina von Aragon verweigerte, gründete die englische Staatskirche und machte sich zu deren Oberhaupt. Er war sechsmal verheiratet und lies zwei seiner Frauen hinrichten. 1541 unternahm er mit Catherine Howards, seiner fünften Ehefrau, und großem Gefolge eine Reise in den Norden Englands. Diese als Great Progress bekannte gewordene Reise war die Antwort Heinrichs auf die Aufstände im Jahre 1536, die Pilgrimage of Grace, sowie auf die entdeckte Verschwörung einer Gruppe von Landadeligen fünf Jahre später. Einer der Begleiter des Trosses ist der buckelige Anwalt Matthew Shardlake und sein Gehilfe Barak. Shardlake und Barak sind Sansoms fiktive Protagonisten, schon bekannt aus "Pforte der Verdammnis" (Fischer Tb) und "Feuer der Vergeltung" (Fischer Tb). Im Auftrag von Erzbischof Cranmer soll Shardlake in York zu dem königlichen Tross stoßen. Offiziell um die Bittgesuche der Bürger zu beurteilen, inoffiziell um auf dem Rückweg einen der Rebellen sicher in den Tower nach London zu geleiten. Kaum in York angekommen, wird Shardlake Zeuge eines mysteriösen Todesfalles und gerät in den Besitz brisanter Dokumente, die den Thron von Heinrich VIII. erschüttern könnten. Das geheime Wissen um die Aufzeichnungen macht Shardlake zur Zielscheibe für Königstreue und Rebellen. Gut recherchierter historischer Krimi garniert mit Witz und Spannung. GLK (Bestellen bei Missing Link) Anthony Capella: Kaffee oder das Aroma der Liebe. Aus dem Englischen von Saskia Bontjes van Beek Zürich-Hamburg: Arche Literatur Verlag 2009, S. 512, 22.90 € Nach nicht bestandenen Prüfungen von der Universität Oxford verwiesen, treibt sich der Dandy Robert Wallis nun in London herum. Ihn bedrücken nur zwei Fragen: Warum erkennt niemand sein poetisches Genie und wovon soll er seine Schulden bezahlen. Im Cafe Royal trifft er auf Samuel Pinker, Kaffeeimporteur und -großhändler. Pinker beabsichtigt die wirtschaftlichen Vorteile von Konsistenz und Normung auch für den Kaffeehandel zu nutzen. Wallis' schriftstellerische Fähigkeiten sollen ihm helfen, die verschiedenen Kaffeesorten treffend zu beschreiben und somit ein Vokabular für den Kaffeehandel zu erstellen, ein Handbuch zur Verkostung von Kaffee, die Pinker-Wallis-Methode zur Bestimmung und Klassifizierung der verschiedenen Aromen des Kaffees. Bei der Arbeit am Handbuch trifft Wallis auf Pinkers drei burschikose Töchter. In der Hoffnung Emily, die Älteste, nach Fertigstellung des Handbuches heiraten zu können, gerät Wallis immer tiefer in die Schuldenfalle. Pinker ist über die Heiratspläne wenig erfreut und bietet Wallis an, erst einmal für vier Jahre nach Afrika zu gehen. Dort soll er in Pinkers Auftrag eine Kaffeeplantage anlegen und sein Glück machen. Widerwillig bricht Wallis nach Afrika auf, wo ihn Betrug, Tod, Sklaverei und verzehrende Leidenschaft erwarten. GLK (Bestellen bei Missing Link)
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Alfred Miersch
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