Peters Left Coast Crime Pie

MIT SPILLANE ENGLISCH LERNEN

Mickey Spillane, Erle Stanley Gardner und Dashiell Hammett hießen sie, ihre Namen riesig über dem Titel ihres jeweils neuen Romans, dessen leichtbekleidete Heldin oder Opfer die Herrlichkeiten ahnen ließ, die auf den jungen Leser warteten. Wenn er nur die fünfunddreißig Cents aufbrachte, um den Paperback zu kaufen und den Mut, ihn auf den Tresen zu legen. Denn der Kerl am Zeitschriftenstand schaute einen immer so böse an und fragte sogar, ob die Mutter wisse, was da gekauft wurde.

Ich erinnere mich an 1950. Wir wohnten in einer miesen Ecke West Hollywoods, ich war seit Weihnachten verstummt, weil meine neuen Sprachkenntnisse noch nicht für Freundschaften ausreichten, und die bunten Blondinen mit den kurzen, zerrissenen Hosen auf den covers von Mickey Spillane und Co. lockten an der Bretterbude auf dem Santa Monica Boulevard. So ein Neunjähriger hat durchaus Interesse. Also begann ich, im örtlichen Salvation Army Thrift Store gebrauchte Pulp Fiction zu kaufen, drei für einen Zehner, und den konnte ich meiner Mutter aus der Nase ziehen.

So lernte ich englisch. Von Mickey Spillane, Erle Stanley Gardner und Dashiell Hammett. Die hatten drauf, wie man in den schmuddligen Stadtvierteln Kaliforniens sprach, die kannten ihre Leserschaft genau. Heimgekehrte Soldaten und solche, die schon wieder im Einsatz waren. Säufer aus den Vorstädten, Hausfrauen, deren neue elektrische Haushaltshilfen die Arbeitszeit auf einen Bruchteil verkürzten, die in ihren neuen, über die Veteranenfinanzierung gekauften Reihenbungalows vereinsamten.

Im Radio konnte man sie hören, die Krimihelden aus den billigen Heftchen. Viertelstündige tägliche Fortsetzungen gab es. Die brauchte man nicht kaufen, sondern bekam sie umsonst, komplett mit der professionellen Aussprache schwieriger Worte wie Homicide, Horror und Homosexual. Das eine bedingte das andere, Täter waren oft im Kreise der verachteten "Anderen" zu suchen, und für die deutschgewohnte Zunge eines lesefreudigen Heranwachsenden waren die Radio Networks befreiend. Man konnte aussprechen, was man ständig las. Im Park, auf der Bank an der Bushaltestelle, unter der Tribüne auf dem Schulsportplatz. Nur nicht zuhause, denn Mutter achtete sehr auf die geistige und seelische Entwicklung ihres Ältesten, und diese Schweinerei kommt mir nicht ins Haus. Klar, Mama.

Sie blieben für mich Literatur, die herrlichen Hefte und dünnen Paperbacks, wegen der miesen Qualität ihres Papiers verächtlich Pulps genannt. Kleine Holzsplitter konnte man gelegentlich in ihren Seiten finden, worunter die Druckqualität litt, aber verständlich blieben die Geschichten trotzdem. Kurz, prägnant und to the point waren die Sätze, kamen zur Sache, ließen der Phantasie wenig Spielraum und schufen doch eine riesige Nebenwelt, eine furchterregende unbekannte Stadt innerhalb meiner Stadt, die von giftmischenden Chinesen, messertragenden Mexikanern, leichten Mädchen, deren Blusen aus unerfindlichen Gründen nie zugeknöpft waren und harten, trinkfesten Kerlen mit scharfer Bügelfalte und übers Auge gezogenem Hutrand bevölkert waren. Die sprachen nicht viel, die schlugen gleich zu. Als hard boiled galten sie, hartgekochte Eier, denen man zwar die Schale aufschlagen konnte, deren Inneres aber intakt und aufrecht blieb. Was sie gründlich von den Weicheiern unterschied, die wir später in der Englischklasse kennenlernten. Spiegelgucker Dorian Grey oder Jay Gatsby, den Zelda zeitlebens an den Eiern hat, waren nichts gegen einen Philip Marlowe, der Zelda eine gescheuert und die Juwelen wieder eingepackt hätte. Neunjährige schnallen sowas.

Sie waren nicht fein, die Helden des Pulp Fiction. Mit dem Anbruch des Fernsehzeitalters verschwanden sie, oder sie wurden familiengerecht und den Moralvorstellungen einer verklemmten, pseudo-religiösen Gesellschaft entsprechend umgeschrieben. Sam Spade, der auf Papier noch kräftig fluchte, brummte nur Unverständliches im Schwarzweißfernseher, Lew Archer, der wie sein Erfinder Ross Macdonald in der gehobenen Atmosphäre Santa Barbaras das Böse suchte, drückte sich im elektronischen Medium nur noch jugendfrei aus.

Daß sie wiederkamen, die harten Männer und leichten Frauen, das haben wir der Hirnatrophie des amerikanischen Fernsehzuschauers zu verdanken. Filmemacher Quentin Tarantino nannte seinen Kinohit nach dem Pfui-Teufel-Genre, Sammler bunter Titelbilder trauten sich an die Öffentlichkeit mit ihren grellen, sexistischen Schätzen und Verlage erinnerten sich an die noch immer ruhenden Rechte am Schmuddel. Pulp Fiction war plötzlich wieder in - nicht, weil die Mode es verlangte, sondern weil die Qualität der Werke überzeugte. Pulp, inzwischen auf Hochglanz gedruckt und von Menschen mit akademisch einwandfreiem Werdegang kommentiert, hat seinen Platz in der Kultur des beginnenden Einundzwanzigsten Jahrhunderts fest eingenommen.

Auch deshalb schreibe ich nun Pulp. Auf deutsch. Weil mein Enkel gerade fünf wurde, und wenn er mit acht oder neun eine Zweitsprache lernen will, schiebe ich ihm eines meiner Bücher unters Kopfkissen. Natürlich darf seine Mutter nichts davon wissen.



Peter J. Kraus
Santa Maria, California

www.peterjkraus.com

Peter J. Kraus
wurde im November 1941 in Wolfenbüttel geboren. Nach Meinung von Peter J. Kraus hätte es aber genausogut Iserlohn oder Wismar sein können. Im Dezember 1949 kam er in West Hollywood an "seither gelegentlich spontane Danksagung". Seine Schulzeit verbrachte er in Kalifornien und in Deutschland. Peter J. Kraus studierte Betriebswirtschaft und arbeitete im elterlichen Betrieb. Als die US Army an ihm verstärktes Interesse entwickelte, er aber dieses Interesse nicht erwiderte, malochte er lieber in Deutschland statt Viet Nam. In dieser Zeit traf er seine Liebe auf den ersten Blick. Heirat 1965, die Söhne Michael Thomas wurden 1967 und Patrick Oliver 1968 geboren, "danach Ebbe". Um 1979 herum kehrte er mit seiner Familie zurück nach Kalifornien, " Frau und Kinder glücklich, weil warm, Meer und sehr lockere Gesellschaft". Ab 1980 arbeitete Peter J. Kraus als Rundfunkmoderator (Rock und Pop), ab 1985 auch für deutsche Sender. Gelegentlich veröffentlichte er Musikkritiken, auf vielfachen Wunsch 1996 "Rock Highway" bei Ch. Link in Berlin, 1997 "Route 66", 1988 "Blues Highway". Seine Publikationen im Musikbereich brachten ihn auf den Geschmack – "Blut wurde geleckt".
Sein Debüt-Krimi "Geier" wurde für den "Friedrich-Glauser-Preis -Krimipreis der Autoren" 2004 in der Sparte "Debüt" nominiert.

Krimi:
2003, Geier. Knaur 62327


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