Ein Interview mit Frank Nowatzki, dem Verleger der "Pulp Master"-Reihe im Maas Verlag.
Gegründet wurde der Maas Verlag von Erich Maas, dem 2001 verstorbenen
Verleger. Wann und wie kamen Sie ins Spiel?
Nowatzki: Erich hatte Ende der achtziger eine illustre Schar deutscher
Autoren aus dem Boden gestampft (Funny van Dannen, Kapielski, Harry Hass,
Peter Wawerzinek, Baader Holst) und entschied, als er der Meinung war, hier
wäre keine Bewegung mehr drin, den Maas Verlag internationaler auszurichten
und nach neuen Trends zu suchen.
Er holte Buddy Giovinazzo, Kathy Acker und Iceberg
Slim ins Boot und hier lernten wir uns zum Erfahrungsaustausch kennen. Meine
Black Lizard Reihe (ca 1988-1991) mußte damals aus diversen Gründen
eingestellt werden (US Black Lizard wurde an Random House verkauft, die
Kalkulation ging nicht auf, u.a. zu hohe Lizenzvorschüsse.) 92/93 waren wir
beide ziemlich frustriert, weil selbst mit gutem Programm nichts zu reißen
war. Wir wollten unsere Kräfte bündeln und gemeinsam weitermachen.
Wenigstens zu zweit gegen die Wand laufen und nicht immer alleine.
So ist Pulp Master entstanden. Erich hat dann das Design kreiert und den
Maler 4000 für die Cover angeschleppt, ich brachte den Content. Wir wollten
da ansetzen, wo Black Lizard aufgehört hat (mit Derek Raymond - Ich war Dora
Suarez), aber gleichzeitig auch mehr auf Autoren setzen, die mit dem Genre
experimentieren.
Erichs Tod war eine einzige Katastrophe. Ich wollte nicht wieder alleine vor
dieser Wand stehen, aber die Zeit heilt letztendlich alle Wunden, und
außerdem gab und gibt es ein Team, dass eine Menge Aufbauarbeit investiert
hatte.
".. alleine vor dieser Wand stehen." Wer stellt diese Wand dar - die
Medienwelt, Publikumsgeschmack, uninspirierter Handel?
Nowatzki: Eine neue Reihe zu starten, mit ein paar tausend Märkern wie in
unserem Fall, ist meines Erachtens heutzutage schier unmöglich. Die großen
Buchhandlungen wollen keine kleinen Verlage mehr: zu wenig output, zu viel
Handlingsaufwand.
Selbst die Vertreter, insofern man welche hat, werden gar nicht
mehr reingelassen. Das führt dann dazu, dass in manchen Krimiregalen
bestenfalls vier, fünf Verlage präsentiert werden. Ein verzerrtes Bild. Ohne
ambitionierte, spezialisierte kleine Buchläden sähe es wohl in Zukunft
überall so aus, wenn man die Unternehmensberater erstmal ins Haus läßt.
Trotz sehr guter regelmäßiger Pressepräsenz treten wir also auf der Stelle,
jede Ausgabe schmerzt, jede einzelne Briefmarke, um eine Vorschau
abzuschicken. Das wird in unserer Größenordnung wohl überall so sein.
Der Argument Verlag sagte in einem Interview, daß sich in den letzten Jahren das Kaufverhalten völlig gedreht hätte: früher wäre der Großteil des Verkaufs über die Buchhandlungen gelaufen, inzwischen mache der Direktvertrieb an Privatkunden mehr als zwei Drittel des Absatzes aus. Geht es Ihrem Verlag ähnlich und ist das die Alternative oder die letzte Chance? Oder sehen Sie andere Möglichkeiten, um auch an Zufallsleser zu kommen?
Nowatzki: Bei uns läuft der Großteil nach entsprechender Presse über die
Barsortimente, (also über Nachfrage im Buchladen und Bestellung für den
Kunden) und über einige wenige Buchläden, die unsere Bücher den Kunden
wärmstens empfehlen. Der Ausbau des Direktverkaufs über unsere WebSite ist
nach Erichs Ableben ein wenig ins Stocken geraten. Da sehe ich noch
Nachholbedarf.
Anderseits will ich auch niemanden etwas aufdrängen. Das ist nicht mein
Stil. Die Geschmäcker sind gerade im Krimigenre sehr verschieden und
vielfältig und die Noir-Gemeinde bildet wahrscheinlich die kleinste Einheit.
Jeder Leser hat mit ein bisschen Engagement die Möglichkeit, für sich das
entsprechende zu finden. Wer sich das Krimiregal mit vier Anbietern bei den
Ketten gefallen läßt und dann dort irgendwas kauft, weil eben nichts anderes
angeboten wird, ist selbst schuld.
Wie kamen Sie zur Kriminalliteratur und was macht für Sie die sogenannte
Noir-Literatur aus?
Nowatzki: Mit 15 war ich begeisterter Bukowski Leser. Dann Burroughs und die
ganzen Beatniks. Dann kam Punkrock mit der Message, sich besser immer eine
eigene Meinung zu bilden, die mit der Sichtweise der Gesellschaft, des
Staates, der Medien oder der Konzerne niemals konform gehen kann.
Dann drückte mir jemand Anfang der Achtziger in San Francisco den ersten
Willeford in die Hand und seitdem habe ich ein gewisses Glitzern in den
Augen. Willeford war ein Meister im Demaskieren. Ich las mich damals durch
das gesamte US Black Lizard Programm, Jim Thompson, Paul Cain, Peter Rabe.
Fast jedes Buch eine
kleine Offenbarung.
Und als die Musikindustrie es dann letztendlich schaffte, alle Independent
Labels unter Kontrolle zu bringen und aus Punk eine verwertbare
Angelegenheit zu machen, hatte ich bereits ein neues Steckenpferd und
entdeckte ständig neue Autoren. Wie kürzlich bespielsweise Gerald Kersh, der
Gedanken über verschwendete Nächte in Clubs formulierte, welchen
Versuchungen man ausgesetzt ist und wie schnell das Leben an einem
vorbeizieht.
Auch ich habe immer so empfunden, hätte sie aber nie so formulieren können.
Eins haben alle diese Autoren gemeinsam: Es fällt mir schwer sie als Krimi
zu bezeichnen.
Wie entdecken Sie solche Autoren? Lesen Sie die amerikanischen Originalausgaben, geben Ihnen Ihre Autoren Tipps, erhalten Sie Manuskripte?
Nowatzki: Fanzines, Magazine, Internet, Literaturagenten, Manuskriptangebote, Tipps
etc.
Die Schwierigkeit bei älteren Stoffen ist nicht das Auffinden, denn gute
längst vergessene Bücher gibt es haufenweise, sondern es hapert eher daran,
dass sich tote Autoren schlechter durchsetzen lassen und nicht trendgemäß
erscheinen.
Eine gute interessante Hintergrundstory verbirgt sich dafür in
den meisten Fällen. Gerade im Pulp Bereich gab es viele Autoren, die nach
starkem Debüt wieder in der Versenkung verschwunden sind, (man muß eben
damals wie heute zum Bekanntwerden an der richtigen Stelle zur richtigen
Zeit sein), weil eben aus unterschiedlichsten Gründen kein kontinuierlicher
Aufbau des Namen stattgefunden hat.
Selbst bei einem Disher, der wahrlich kein Selbstläufer war (GIER hatte 67 Vormerker, bevor es den Krimipreis bekam), dauerte das eben so seine Zeit.
Der deutsche Krimipreis ist also nicht nur eine Anerkennung, sondern
tatsächlich gute Werbung, die Autor und Verlag bekannter macht und
auflagensteigernd wirkt?
Ja, ich denke schon. In Garry Dishers Fall hat es sich auf jeden Fall
positiv ausgewirkt. Seine Agenten haben ihn seinerzeit wie Sauerbier allen
Krimiverlagen angeboten, keiner wollte ihn haben. Zwei, drei Jahre später
hab ich ihn mir angesehen und einen Dumpingpreis geboten, weil nicht
abzusehen war, wie man hierzulande auf einen australischen Crime Fiction
Autor reagieren würde.
Anfangs lief dann auch alles sehr verhalten, aber nach dem Krimipreis, mußte
ich nicht mehr bangen. Bei den großen Taschenbuchverlagen beschleunigt der
Button "Krimipreis" auf dem Cover den Abverkauf um ein Vielfaches. Ich
allerdings würde die Cover von 4000 damit nicht verunstalten.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Garry Disher und wieso ist der Drachenmann
nicht bei Ihnen erschienen?
Nowatzki: Durch ein Review in Crime Time (No Exit Press) wurde ich auf
Disher aufmerksam. Den Umsatz des ersten Wyatt investierte ich sofort für
die Lizenzen Wyatt II + III. Dann wurde es aufgrund des gestiegenen
Interesses schon eng.
Die Agentur witterte Morgenluft und hat angefangen den Drachenmann
rumzuschicken. Ich wurde dann offiziell zwar noch gefragt, konnte aber nicht
mitbieten. Durch diverse Lizenzvergaben konnte ich wenigstens noch die
komplette Wyatt Reihe sichern.
Ich bin aber über diese Entwicklung nicht weiter traurig, denn Thomas
Wörtche macht mit Metro gute Arbeit und hat Disher weiter aufgewertet.
Außerdem konnte ich so Garry mal persönlich kennenlernen. Ich hätte ihn
nicht nach Deutschland holen können und er ist zu gut, um in einem kleinen
Verlag zu versauern.
Er lebt schließlich vom Schreiben und irgendwann muß der Rubel halt mal ins
Rollen kommen. Und er wußte meine Pionierarbeit für die Landung hier sehr zu
schätzen.
Mit Marcus Starck und seinem Buch "SexDotCom" scheint sich ja ein
erfolgversprechender Titel für den Mai anzukündigen. Wirbel in Australien,
jetzt schon ein großer Bericht in "Euro Am Sonntag", eine Geschichte, die,
durch reiches Spezialwissen hinterlegt, für Schlagzeilen sorgen müsste. Wo,
bitte schön, haben Sie das Manuskipt aufgetrieben? Und überlegt man als
Verleger , ob man bei so früh beginnendem, sicher noch zu schürendem
Medieninteresse den Titel früher bringen sollte?
Nowatzki: Der ganze Rummel kommt in der Tat viel zu früh, ließ sich aber
nicht mehr verhindern, als sich in diversen Boards herumgesprochen hatte,
bei welchem Verlag es erscheinen wird. Inzwischen fängt das Ganze schon an
zu nerven, denn die im Artikel angegebene Website des Verlages wurde Opfer
eines DoS (Denial of Service) Angriffes und war für eineinhalb Tage nicht
erreichbar. Unsere Emailadressen wurde geflamed und mit Schrott zugemüllt.
Bei Amazon.de wurde das Buch ganz plötzlich falsch einsortiert und
als �Erscheint nicht mehr� geführt. Alle existierenden Vorbesteller
erhielten ein Email mit folgendem Inhalt: Nach Auskunft des Verlags bzw.
Herstellers wird der folgende Titel leider nicht mehr aufgelegt: Marcus
Starck "SexDotCom. Pulp Master Bd. 17." Dieser Artikel musste aus Ihrer
Bestellung gestrichen werden. Dabei hatten weder wir als Verlag noch unsere
Auslieferung diese Änderung veranlasst.
Dabei sehe ich das Buch weder als Enthüllungsroman noch als Börsenthriller,
ich sehe es vielmehr als die Weiterentwicklung der Old-School-Gangsterromane
wie die Wyatt-Reihe, bei denen sich die Probleme in der bargeldlosen,
modernen Welt ja schon andeuten, hin zu den heutigen Computer-Abzockern mit
den Weltbörsen als Dreh- und Angelpunkt. Die Köpfe schlagen sich bei
"SexDotCom" nach wie vor die Old-School-Gangster ein.
Marcus Starck hatte das Buch übrigens über eine renomierte Literaturagentur
allen üblichen Verdächtigen angeboten, bekam aber nur Absagen. Angeblich zu
gewalttätig und zu pornographisch. Ein Manuskript mit solchen Absagen als
Referenz landet bei mir automatisch ganz oben auf dem Stapel. Rohdiamanten
schleifen macht eben verdammt viel Arbeit, dazu haben die wenigsten heute
noch Zeit und Lust.
Der Agent hat übrigens heute angerufen, weil er einen
anonymen Brief samt weißem Pulver und der Nachricht "Stop SexDotCom - And now see a doctor!" bekommen hat.
Irgendwann hatte Marcus Starck Disher & Giovinazzo für sich entdeckt und
wollte nirgends woanders mehr hin und hat einfach angerufen. War ein
lustiges Telefonat aus Australien mit Hall und verzögerten Antworten. Man
durfte nicht zu schnell hintereinander sprechen. Seitdem verkehren wir per
email und Messenger. Bis vor kurzem sind wir noch gemeinsam den Plot
durchgegangen, jetzt geht das Buch in aller Ruhe ins Lektorat, alles andere
interessiert mich nur peripher.
Aber das ausgerechnet ein Pulp Master Buch den Kurs einer Aktie beeinflussen
soll, ist schon äußerst amüsant.
Gab es bei Ihnen ernsthaftes Konkurrenzdenken, bzw. eine Art Neid, als
Martin Compart in einem betuchteren Verlag die Reihe "Dumont Noir"
entwickelte? Und wie wirkte auf Sie der Verlauf des Geschehens dort bis zur
Einstellung?
Nowatzki: Ich habe Martin damals einen Brief geschickt und ihm Glück
gewünscht, er hatte ja immerhin bei Ullstein und Bastei Lübbe eine Menge
bewegt und Autoren rangeschafft, die auch meinen Geschmack über die Jahre
hinweg geprägt und verfeinert haben.
Dass er die "Verdeckten Dateien" von Derek Raymond als Noir 1 gebracht hat,
da mußte ich ihm einfach in Form einer fetten Rezension in der "Welt"
Respekt zollen. Aber gleichzeitig kannte ich auch die Verkaufszahlen der
meisten Noir-Autoren und sah das ganze irgendwie als Kamikazeprojekt an. Das
ist eben der Nachteil, wenn man für einen betuchteren Verlag in den Dienst
tritt: Man ist zum Erfolg verdammt, muß sich an Quoten halten, Kompromisse
machen, ab und an was gefälliges einbauen, um die Stammleser nicht zu
verschrecken. Der eigene Geschmack muß zwangsläufig in den Hintergrund
treten. Diese Symbiose hat bei Dumont Noir wahrscheinlich nicht
funktioniert.
Bin gespannt was Martin Compart jetzt noch alles bei STRANGE auf die Beine
stellt. Ted Lewis wieder zugänglich zu machen, ist ja schon mal nicht
schlecht.
Welchen verlegerischen Traum würden Sie sich erfüllen, wenn Sie das nötige
Geld dazu hätten?
Nowatzki: Ich würde versuchen, alle vergriffenen Meilensteine des Noir
wieder lieferbar zu machen.
Welches Buch eines anderen Verlages hätten Sie gern gemacht?
Nowatzki: Scott Phillips - Alles in einer Nacht. Von dem wird man noch viel
hören.
Kommen Sie noch dazu, die Literatur ausserhalb der Kriminalliteratur zu
verfolgen, bzw. zu lesen? Wenn ja welche Bücher wären das und welche Autoren
konnten Sie dort begeistern?
Nowatzki: Spontan fällt mir wirklich nichts ein. Frantzen? Langweilig.
Walser? Die Besprechung vom Kollegen Bittermann in der Jungen Welt hat mir
schon gereicht, die zitierten kryptischen Schachtelsätze muß ich mir nun
wirklich nicht geben. Die Bohlen-Biographie? Den hätte ich damals als
Türsteher nicht mal reingelassen. Meißners Hiobs Buch? Kommt zehn Jahre zu
spät. Läßt sich alles ingesamt pr-mäßig gut vermarkten und bestimmt noch
besser verkaufen, aber muß ich sowas lesen?
Der Geist des Punk schwebt immer noch über mir, und der sagt mir, laß dich
nicht verarschen. Ich werde auch nicht in PUMA-Trainingsanzug und -Schuhen
rumlaufen, nur weil PUMA jetzt Guerilla-Marketing betreibt und coole
angesagte Underdogs damit ausstattet, und morgen alles wieder wegschmeißen,
weil der Konkurrenz eine bessere Strategie eingefallen ist.
Aber zurück zur Literatur: David Foster Wallace werde ich mir besorgen. Das
klingt vielversprechend und ich bin gespannt wie es mit Thor Kunkel
weitergehen wird.
Boxen Sie noch? Derzeitiges Kampfgewicht?
Nowatzki:
Nach wie vor ist Boxen eine meiner Leidenschaften. Allerdings
mußte ich einen der beiden wöchentlichen Trainingstage dem Kinderturnen mit
meinem Sohn opfern und seit der Geburt meiner Tochter wird die Zeit nur noch
knapper. Dafür lege ich an Kampfgewicht zu. Derzeit sind's ca. 92 kg.
Leider setzt mich der Trainer nur noch zum Aufbau der Jungsporne als so eine
Art wandelnder Sandsack ein. Beim Sparring mit geschlossener Doppeldeckung
wie sie Rocky einst praktiziert hat, kann aber nicht viel passieren. Wenn
mir das Tempo zu hoch wird, fahre ich es mit einem Leberhaken wieder runter.
Wie entspannen Sie sich von den Mühen des Alltags?
Nowatzki: Wenn es Wetter und Zeit zulassen, verbringe ich jede freie Minute
mit meiner Familie auf unserer Datscha im Umland von Berlin, pflanze Blumen
und lausche dabei den American Recordings I-IV von Johnny Cash. Ich liebe
den Garten und meine Familie und tanke hier die Kraft für die eingangs
erwähnte Wand, die mir inzwischen doch schon etwas porös erscheint, und
irgendwann werde ich sie einreißen. Ich habe immer noch Erichs allerletzte
Email auf dem Rechner und werde ihm dann endlich antworten, dass wir es
geschafft haben.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Frank Nowatzki wurde 1964 in Berlin geboren, ist gelernter Verlagskaufmann
und war von 1988 bis 1992 Herausgeber der Black Lizard Bücher. Seit 1995 ist
er der verantwortliche Herausgeber der Reihe Pulp Master im Maas Verlag. Er
ist außerdem passionierter Amateurboxer und war Gitarrist bei BETON COMBO
(einer der ersten Berliner Punk Bands) und den CLIT COPS.