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Krakauer Schwarze Post.
No. 5
Die Kolumne von Markus Schnabel





Marek Krajewskis Breslauzyklus



Kein Autor trug in den letzten Jahren für die Entwicklung des polnischen Krimis soviel bei wie Marek Krajewski. Krajewski, 1966 geboren, studierte an der Universität Poznan Altphilologie und unterrichtete später als Dozent Latein an der Universität Wroclaw. Im Jahr 2007 stellte er die Lehrtätigkeit ein und widmet sich seither ganz der (Krimi-)Literatur.

krajewski-Smierc-w-Breslau.jpg Sein Romandebüt, der erste Teil der Krimireihe rund um den im Breslau der Zwischenkriegszeit ermittelnden Kriminalpolizisten Eberhard Mock, feierte Krajewski im Jahr 1999 mit SMIERC W BRESLAU (dt. TOD IN BRESLAU). Krajewski verweist auf das letzte große Hochwasser der Oder im Sommer 1997, welches ihm bei der Entstehung dieses Romans "behilflich" war:
Am ersten Teil schrieb ich am längsten. Ein halbes Jahr. Obwohl ich den Abriss der Handlung schon lange in mir trug, spielte der Zufall eine wichtige Rolle. Während des großen Hochwassers 1997 stellte mir ein Bekannter sein, ausserhalb von Wroclaw gelegenens, Wochenendhaus zur Verfügung. In aller Eile packte ich meine Sachen... und erst vor Ort stellte sich heraus, dass ich sämtliche Unterlagen für die Dissertation vergessen hatte... Also dachte ich mir: vielleicht ist das ein Wink des Schicksals, denn jetzt kann ich endlich das schreiben, was ich immer schon wollte. In drei Wochen hatte ich etwa ein Drittel des Romans. Danach wartete ich etwa eineinhalb Jahre auf die Entscheidung des Verlags. Schlussendlich erschien "Smierc...", ich erhielt 1.500 zl und war sehr stolz. (Polityka 3/2006 Übers. M. Schnabel)
Wie aus der Summe des damaligen Honorars - derzeit werden etwa 10.000 zl für einen Kriminalroman bezahlt - ersichtlich ist, waren die finanziellen Rahmenbedingungen 1999 für Krimiautoren nicht sehr verlockend. Die Zeit für den polnischen Krimi war einfach noch nicht reif. Dies bestätigt auch Irek Grin: Als ich 1999 "Smierc w Breslau" in Händen hielt, dachte ich mir: "Also nein, so etwas kann sich einfach nicht verkaufen!". Wie sich herausstellte, war ich naiv. (Gazeta Wyborcza 16.11.2007, Übers. M. Schnabel)
krajewski-Koniec-swiata-w-Breslau.jpgEs mussten vier Jahre vergehen bis im Jahr 2003 der zweite Roman KONIEC SWIATA W BRESLAU (dt. DER KALENDERBLATTMÖRDER) erschien. Der zwischenzeitliche Verlagswechsel von "Wydawnicto Dolnoslaskie" zu W.A.B. - einem Verlag, der sich zuvor schon mit Henning Mankells Kriminalromanen eine starke Marktposition in Polen sichern konnte - sorgte für einen erheblichen Popularitätsanstieg, der sich nicht nur in Absatzsteigerungen manifestierte. Noch im selben Jahr wurde diesem zweiten Roman der Titel des erstmals vergebenen Preises für den besten polnischen Kriminalroman Wielki Kaliber zugesprochen. Damit wurde auch vor allem Krajewskis Pionierarbeit entsprechend gewürdigt. Der polnische Krimifan musste sich nicht mehr mit Übersetzungen aus dem Englischen begnügen, sondern konnte auf spannende Kriminalromane heimischer Produktion zurückgreifen.


krajewski-Widma-w-miescie-Breslau.jpgNach dem Motivationsschub durch Auszeichnung und hohe Absatzzahlen, erschien 2005 Krajewskis dritter Roman WIDMA W MIESCIE BRESLAU (dt. GESPENSTER IN BRESLAU). Im gleichen Jahr wurde Krajewski mit dem Zuspruch des prestigeträchtigen Literaturpreises Paszport des Wochenmagazins "Polityka" endgültig durch die polnische Literaturkritik anerkannt. Begründet wurde die Entscheidung der prominent besetzten Jury mit den Worten: ...für den Romanzyklus um Eberhard Mock in Breslau und den Beweis, das auch polnische Autoren in der Lage sind Krimis auf hohem Niveau zu schreiben. 1 (Übers. M. Schnabel).
Der Werbeeffekt dieses Literaturpreises machte aus Krajewskis Romanen nun endgültig Verkaufs- und Exportschlager.
Krajewski-Festung-Breslau.jpg Wenig später schockte der Autor seine rapide angewachsene Fangemeinde, indem er vor Veröffentlichung des vierten Teils - dem 2006 erschienenen Roman FESTUNG BRESLAU (dt. FESTUNG BRESLAU) - ankündigte, der Mock-Zyklus wäre damit abgeschlossen. Man kann spekulieren, ob es sich Krajewski-Dzuma-w-Breslau.jpgbei dieser Ankündigung um einen Marketingtrick oder die damals felsenfeste Überzeugung des Autors handelte?
Schon im Jahr 2007 konnten sich Fans jedoch über einen weiterer Fall von Eberhard Mock im - inzwischen fünften - Roman DZUMA W BRESLAU (PEST IN BRESLAU - noch nicht auf dt. erschienen) - freuen. Seit dem Zeitpunkt gibt sich der Autor nun zur Frage nach weiteren Fortsetzungen bedeckt.
Die Reihenfolge der Veröffentlichung hat bei Krajewski nichts mit der Chronologie der Erzählung des Gesamtzyklus gemein. Während bei SMIERC W BRESLAU die Handlung in den Jahren 1933-1934 angesiedelt ist, ermittelt Mock im zweiten Teil KONIEC SWIATA W BRESLAU im Jahr 1927. WIDMA W MIESCIE BRESLAU erzählt von Mordfällen aus dem Jahr 1919, FESTUNG BRESLAU schildert das Kriegsende 1945. Der bislang letzte Roman DZUMA W BRESLAU lässt den Leser wiederum ins Breslau der Jahre 1923-1925 eintauchen.
Der sich ergebende Zeitrahmen von 26 Jahren - 1919 bis 1945 - mit der bisher erzählten Zeit verglichen, lässt Raum für Fortsetzungen. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob Autor und Leser gewillt sind den Kriminalrat Eberhard Mock - auf dessen Tod im Jahr 1960 ja bereits schon im zweiten Teil vorgegriffen wird - im düsteren Breslau ermitteln zu lassen. Szenenews prophezeien die Veröffentlichung eines sechsten Teils im Jahr 2009.
Krajewskis Breslau-Romane stehen ganz im Zeichen von Chandlers Marlowe-Krimis, weisen jedoch auch Elemente des Thrillers - vor allem der hard-boiled-novel - auf. Getragen werden sie einerseits durch die Hauptfigur des Eberhard Mock. Als ebenbürtige Hauptfigur kann man jedoch auch das "deutsche" Breslau ansehen, welches bisher in solcher Form nicht in der Literatur dargestellt worden war: gibt der aufkeimende Faschismus in Breslau nicht nur Raum für politische Machtspiele, sondern auch hervorragende Bedingungen für Gauner, Schmuggler und Zuhälter ab. In der düsteren Atmosphäre der wirtschaftskrisengeschüttelten Zwischenkriegszeit sind Erpressungen, Prostitution, Alkoholgelage und Drogenhandel - als Anzeichen eines Sittenverfalls der neuen Gesellschaft. Die von Krajewski geschilderten, vorrangig spektakulären, Mordfälle sind daher nicht mehr als die unausweichliche Konsequenz dieser düsteren Atmosphäre.
Übersetzungen gibt es bisher ins Deutsche, Englische, Französische, Italienische, Niederländische, Russische, Ukrainische und Litauische.

1) URL: http://www.polityka.pl [13.01.2008]

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Krakauer Schwarze Post. Von Markus Schnabel
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August 2008


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schnabel-markus.jpg Markus Schnabel
Markus Schnabel wurde 1978 in Amstetten / Österreich geboren. Nach einigen Jahren in der Privatwirtschaft Studium der Slawistik mit Hauptfach Polnisch an den Universitäten Wien und Krakau. Abschlussarbeit über aktuelle Krimiliteratur in Polen. Arbeitet und lebt derzeit als Übersetzer in Krakau.


Das Foto zur Kolumne stammt von Jan Ronald Crans und heißt "Krakau Photo Wawel Castle 2". Es stammt aus seiner Krakau-Sammlung bei Flickr