A   L   L   I   G   A   T   O   R   P   A   P   I   E   R   E
Ernest Tidyman
Shaft und das Drogenkartell


Die Alligatorpapiere. "Der Orangensaft war eiskalt und schmeckte nach Schale. Der Hotdog war heiß und schmeckte nach Knoblauch, mit dem der etwas dubiose Geschmack des Fleisches kaschiert werden sollte. Er musste nach Harlem. Lust hatte er kein. Bis Persons ihn auf so scharfsinnige Weise auf seine schwarze Identität hingewiesen hatte, hatte er die beiden Seiten der Medaille nie richtig betrachtet. Shaft war schwarz, hatte Persons gesagt, aber auch weiß. Stimmte das? Er war in beiden Welten zu Hause. er fragte sich, wie weit er sich verändert hatte, um sich anzupassen, und warum Persons dies mit solcher Leichtigkeit wahrgenommen hatte."

Shaft, der schwarze Privatdetektiv, lebte nicht mehr in Harlem. Seine Wohnung war im Village und er hatte sein Büro am Times Square: "Die Straßenblocks nördlich des Broadwas waren zu einem Teil von ihm geworden, sie schienen ihn zu erwarten ... Wieder dieses Gefühl. Wieder spürte er das leise Warnsignal, jene Veränderung in der Atmosphäre, die er bereits ein paar Straßenblocks zuvor wahrgenommen hatte."
Shaft ist Privatdetektiv in New York und er hat all das hinter sich, was Privatdetektive in den Kriminalromanen der 70er Jahre hinter sich haben, um desillusioniert und verhärtet zu sein: Vietnam.
Aber das ist nicht die einzige Erklärung, warum Shaft so hart und vor allem so wütend sein kann. Shaft ist schwarz und er lebt in den eskalierenden Jahren der Bürgerrechtsbewegung, des Widerstandes, der sexuellen Befreiung, der Rassenunruhen und der Auseinandersetzung innerhalb der schwarzen Bewegung: Martin Luther King, Malcolm X, Black Muslim.
Shaft ist so frei, wie man als schwarzer Privatdetektiv sein kann. Er hat Harlem hinter sich gelassen und arbeitet in der schwarzen und in der weißen Welt. Er ist zornig und er sieht klar den Rassissmus der Gesellschaft, aber er ist kein Ideologe und bleibt skeptisch gegenüber verschiedenen Bewegungen des schwarzen Aufruhrs, er versucht seinen eigenen Weg mit, gegen und zwischen allen Fronten zu gehen.

Shaft will sich nicht vereinnahmen lassen, aber plötzlich gerät er mitten in die Eskalation. Lieutenant Anderozzi, der aussieht "wie ein Messer, schnittbereit", hält ihn an diesem Morgen, nach der Nacht mit der Frau, auf: "Wir wissen nicht was. Aber irgendwas ist am Brodeln. Schwarze Cops, weiße Cops, die Kollegen da unten und die hier. Sie haben was läuten hören. Alles Mögliche: Die Mafia, die Moslems, die Militanten. Die alte Clique. Einfach alles. Noch nie haben so viele Cops so viel gehört. Und noch nie hatten sie soviel Angst. Du solltest es eigentlich wissen. Einige Leute aus Uptown suchen dich so dringend, dass sie es überall herumerzählen."
shaftkrimis Uptown ist Harlem und gesucht wird Shaft von Knock Persons: "gewaltiger Körperbau, glitzernde Autos, funkelnde Brillanten, Wettenmacher, Dealer, Zuhälter." Er war das Sinnbild von Korruption und Verrat. Er war der King von Harlem. Und er hatte eine weiche Stelle, die ihn fertig machte: seine Tochter. "Mit sechzehn war sie in jeder Bar bekannt, die Knock Persons gehörte, und in vielen, die ihm nicht gehörten. Mit siebzehn kannte sie jeden Dealer, der in seinen Diensten stand. Im Alter von achtzehn hatte sie zwei Abtreibungen hinter sich und vier Entziehungskuren. Jetzt war sie neunzehn." Und sie war verschwunden.
Es war besser, sich nicht mit Persons einzulassen. Doch "Shaft wußte: In seinem Geschäft ging es um die knallharte Wirklichkeit." Und Shaft wollte Geld. Genug Geld, um es bündelweise auszugeben. Und die Macht Persons konnte auch zum Teil Shafts Macht werden, "die ihm nützen konnte in Harlem, jenem Teil der Stadt, aus dem er sich innerlich verabschiedet hatte." Deshalb wollte Knock ihn: "Sie sind klug genug, zwischen schwarz und weiß hin und herzupendeln. Das ist es, worum ich Sie bitte. Ich will, daß Sie um meinetwillen an dieses Mädchen denken und zwischen Schwarz und Weiß hin und her gehen. Bitte finden Sie sie." Die Idee faszinierte ihn, sie hatte etwas Verführerisches.
Shaft versucht, über Buford, den Anführer des schwarzen Widerstandes Informationen aus jener Welt zu bekommen, die ihm inzwischen verschlossen war, weil er sie verlassen hatte. Und er findet Buford in Uptown in seinem Versteck, das ihn an seine Vergangenheit erinnerte: "In solchen Häusern hatte er sein ganzes Leben verbracht. Er hatte in solchen Häusern gelebt, geschlafen, er hatte sich in ihnen versteckt, war durch sie geflohen und hatte bei Straßenschlachten von ihren Brüstungen Geschosse fallen lassen. Er kannte sie gut. Shaft hatte nie Sehnsucht gehabt, jedenfalls nicht nach seiner Kindheit und Jugend." (Eine liebe, wohlmeinende Frau vom Sozialamt hatte ihn mal gefragt, was er denn mal sein möchte, wenn er groß ist. "Lebendig", hatte seine Antwort gelautet.)
Unwissentlich lockt Shaft Verfolger in das Versteck des Schwarzenführers und entfesselt ein Inferno, aus dem er ihn nur mit Glück und List retten kann, doch fünf von Bufords Leuten sterben. Shaft bringt Buford zu seinem Auftraggeber Knock Persons und erfährt, was er während des Überfalls geahnt hatte: Persons Tochter war entführt worden und sowohl Buford, als auch Person wußte, wer die Entführer waren und warum sie entführt worden war: die Mafia hatte den Drogenhandel in Spanish Harlem aufgegeben und ihn den Latinos überlassen, doch Person hatte den Markt übernommen. Das gefiel der Mafia nicht und so entführte sie Persons Tochter. Und Buford wußte davon und es war ihm recht, weil er Person verabscheute, der das Elend unter den Schwarzen mit seinen Drogengeschäften noch verstärkte, anstatt dagegen zu kämpfen.
Shaft spürt das Mädchen auf , aber ihm unterläuft ein grausamer Fehler, der ihm lebensgefährliche Verletzungen einbringt und das Mädchen weiterhin in der Gewalt der Entführer hält. Erst jetzt gelingt es ihm Person und Buford zur Zusammenarbeit zu bewegen, die beiden Konkurrenten um die Macht in Harlem. In einem furiosen Finale nimmt dieses seltsame Trio den Kampf gegen die Mafia auf ...

Im Bielefelder Pendragon wird die Reihe um Shaft, den schwarzen Privatdetektiven in neuer und ungekürzter Übersetzung wieder aufgelegt.
Tidyman So bringt die Neuauflage endlich wieder einen Klassiker auf den Markt und bietet zugleich einen Blick auf einen eigenwilligen Helden. Shaft repräsentiert alles, was Privatdetektive immer auszeichnete: Unabhängigkeit, Freiheit, Stolz. Und jene klare Sicht auf die Verhältnisse, die die Arbeit in den Schattenwelten der Gesellschaft und der Niedergang der Moral mit sich bringt. Die Sensation war aber, daß der weiße Autor Ernest Tidyman diese Tugenden einer schwarzen Figur auf den Leib schrieb, mit der sich auch Schwarze identifizieren konnten. Was eine interessante Konsequenz hatte: hier gelangt der Blick auf einen Helden, der nicht den Brechungen unterworfen sein durfte, die viele seiner weißen Kollegen belastete (Mickey Spillane und James Bond einmal ausgenommen): der weiße Autor Tideyman konnte natürlich keinen schwächelnden schwarzen Helden nach dem Muster entwerfen, der sich gerade aus der Geschichte der "weißen" Kriminalliteratur entwickelte, nachdenkliche, auch gebrochene Gestalten, die eine korrupte Gesellschaft entdecken.
Illusionen über die Struktur der Gesellschaft machten sich die wenigsten Schwarzen und die Zeit des Aufbruchs und des Widerstands, der freien Sexualität forderte einen selbstbewußten, aktiven und harten Akteur. Allerdings repräsentiert Shaft auch nicht den aufgeklärten liberalen Freigeist, der den Kampf für die Unterdrückten und Minderheiten jener Zeit auf seine Fahnen geschrieben hat. Frauen, Schwule und Juden gehören bei ihm nicht unbedingt zur schützenswerten Art. Man muß das nicht mögen, aber man sollte so etwas auch nicht erwarten. Tidyman schrieb keine Erbauungsliteratur, sondern harte, direkte Krimis, bei denen eher überrascht, was in manchen Nebensätzen versteckt ist. Shaft ist näher an Pulpliteratur, als an Meistern der Privatdetektivliteratur wie Marlowe und Hammett, denen er literarisch nicht nahekommen kann.
Hier wird nicht immer sorgfältig an der Handlungsstruktur gearbeitet und manchmal geht es recht plötzlich sehr schnell. So schreibt man, wenn man seine Kunden im Bahnhofsbuchhandel und im Supermarkt sucht und interessiert daran ist, das auch gekauft wird. Wer von der Neuauflage des Pendragon Verlages erwartet, einen unterschätzten literarischen Kriminalschriftsteller zu entdecken, der hat sich in der Etage verirrt. Shaft ist straffer, tougher und berechnender Zeitgeistkrimi und nicht hohe Kunst.
Das hat zudem den manchmal irritierenden Tonfall einer dreißig Jahre zurückliegenden Epoche und spart wirklich nicht mit Klischees, aber es hat denn doch mehr Substanz und Eigenständigkeit, als seinerzeit gesehen wurde und ist nicht nur wegen der dadurch losgetretenen Blaxploitation-Welle ein Klassiker der rauhen Kriminalliteratur, jener Abteilung, in der auch Mickey Spillane zu finden ist.

Ernest Tidyman: Shaft und das Drogenkartell. (Shaft, 1970).
Deutsch von Emanuel Bergmann.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2002, 192 S., 9,90 EUR Links:

Shaft beim Pendragon Verlag
Thomas Wörtche: Er ging zu Boden
Bio-/Bibliographie bei Krimi-Couch
Blaxploitation bei Splatting Image
Blaxploitation.com (engl.)


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Eine Rezension von Stefan Lichtblau
Ein Service der Alligatorpapiere
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Eine Buchbesprechung von Stefan Lichtblau




Ernest Tidyman
Ernest Tidyman wurde am 31. Dezember 1928 als Sohn einer ungarischen Mutter und eines Vaters mit britischen Wurzeln in Cleveland geboren. Der Name Tidyman stammt aus der Arbeiterklasse in der Gegend um Blackpool, England.
Von 1945-1946 leistete er Dienst in der U.S. Army.
1954 folgte er dann seinem Vater Ben Tidyman in dessen journalistische Fußstapfen und wurde Reporter bei der Zeitung The Cleveland News.
Er starb am 14. Juli 1984 an Nierenversagen. Oder, wie es sein Sohn Nathaniel Rayle treffend beschrieben hat: �Die offizielle Todesursache war Nierenversagen, obwohl dies nur ein �knapper� Sieg des ersten lebenswichtigen Organs war, das versagte. Er rauchte und trank sein ganzes Leben.�
Tidyman war ein Journalist, der seinen Beruf von der Pike auf erlernt hatte. Er war Gerichtsreporter für The Cleveland News und arbeitete ab 1957 für The New York Post und später für The New York Times. Bei der New York Times war er von 1960 an als Redakteur tätig, bis er diesen Job aufgab, um sich ganz dem Schreiben von Romanen und Drehbüchern zu widmen.
Ab Mitte der 60er Jahre arbeitete er auch als freier Redakteur für verschiedene Magazine, darunter für das New York Time Magazine.



Stefan Lichtblau
ist Gründungsmitglied der "Alligatorpapiere" und träumt immer noch davon, schriftstellerisch schreiben zu können. Bis dahin betätigt er sich als Rezensent von Spannungsliteratur, und als Suchmaschine für die Nachrichtenseite der Alligatorpapiere


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