Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
8/2010
Als "Liebeserklärung an Leute, die in diesem Leben wohl nicht mehr auf einen grünen Zweig kommen werden", wurden mal die Kryszinski-Krimis von Jörg Juretzka (Jahrgang 1955) beschrieben. Nur dass die Leute sich durchaus zu helfen wissen, wenn's drauf ankommt. Jedenfalls trifft das auf Krystof Kryszinski und seine Rockergang "Stormfuckers" zu, die sich mit Hilfe von Willy sogar eine vornehme Adresse zugelegt haben. Willy ist Millionenerbe und residiert zusammen mit seinen trink- und hiebfesten Freunden in einer geräumigen Villa.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Wir befinden uns mitten in Mülheim/Ruhr, und Idylle ist hier ein Fremdwort. Kryszinski ist ein schlecht bezahlter Privatdetektiv und verdient seine Brötchen unter anderem damit, drogenabhängige höhere Töchter vom Amsterdamer Strich wegzuholen. Dann bekommt er manchmal "die Fresse ordentlich voll" und trudelt mit dem letzten Tropfen Sprit im "Fuckers' Place" ein. Umso wichtiger ist da der neue Job: Ein Imbisskettenbesitzer hofft, dass Kryszinski seinen Neubau vor militanten Fastfoodhassern schützen kann. Ganz schön stressig, die viele Arbeit, und dann haben die Stormfuckers auch noch Zoff mit üblen Nazi-Bikern. Noch mehr Stress kommt auf, als man eines Morgens feststellt, dass der Willy verschwunden ist. Gekidnappt, wie sich herausstellt: Die Entführer verlangen eine Million ... "Der Willy ist weg" ist der dritte Band aus der wunderbaren Krystof-Kryszinski-Serie, dessen erster ("Prickel") 1999 den Deutschen Krimi-Preis erhielt. 2001 erstmals erschienen, jetzt im Unionsverlag (Zürich 2010, 311 Seiten, 9,90 Euro) neu aufgelegt und um ein Interview mit dem "Ruhrpott-Chandler" ergänzt, hat der Roman alles, was Juretzka-Fans schätzen: schräge, gut gezeichnete Typen, eine Menge Situationskomik und schwarzen Humor, eine schnodderige, aber immer treffsichere Sprache � und eine ganz feine Pointe am Schluss.
Ein anderer deutschsprachiger Autor sollte ebenfalls in keiner gut sortierten Krimibibliothek fehlen: Hansjörg Schneider (Jahrgang 1938) hat mit "Hunkeler und die Augen des Ödipus" (Diogenes, Zürich 2010, 232 Seiten, 19,90 Euro) gerade den achten Roman mit seinem sympathischen Baseler Kommissär vorgelegt. Den beschäftigt diesmal die Tatsache, dass er in wenigen Tagen in den Ruhestand treten muss: "Die Freiheit des Alters, was war denn das? Die Freiheit, zu verblöden bis zur endgültigen Senilität? Er spürte ein Grauen in sich aufsteigen." Willkommene Ablenkung bietet da der Fall eines verschwundenen Theaterdirektors, dessen verlassenes Hausboot am Rheinwehr angetrieben wurde.
Die Suche verläuft lange ergebnislos, die Boulevardpresse ergeht sich in wildesten Spekulationen, und dass der Autokrat in der Theaterwelt viele Feinde hatte, erleichtert die Ermittlungen auch nicht. Enttäuschte, Gescheiterte, Verschmähte gibt es obendrein nicht nur auf und hinter der Bühne, auch im rauen Milieu des Baseler Rheinhafens weinen viele dem arroganten Karrieristen keine Träne nach, der sich dort oft in Kneipen und Kaschemmen herumtrieb. Doch reicht das schon als Mordmotiv? Hunkeler ("Es war stets dasselbe, er brachte es beim besten Willen nicht fertig, sich zu ändern. Er war und blieb einer, der das Gespräch suchte und Anteil nahm. Auch wenn das überhaupt nicht mehr zeitgemäß war.") findet's heraus, eine tragische Liebesgeschichte wird enthüllt, und am Ende kann der in Pension geschickte Kriminaler sich wieder in Ruhe der Frage widmen, wie er sein Alter angehen will. Ein feiner Roman, den der Schweizer uns da aufs Lesetischchen gelegt hat. Voll kluger Bemerkungen zum Theater, gespickt mit feinsinnigen Beobachtungen und zugespitzten Dialogen, getragen von Liebe zu seinem Personal und tiefem Verständnis für alles Menschliche und nicht nur darin an Simenon erinnernd. Bleibt nur zu hoffen, dass Hunkeler uns auch als Pensionär erhalten bleibt.
Genrewechsel: Auf dem Gebiet des Spionagethrillers gibt es derzeit kaum Besseres als die Romane von Jenny Siler (Jahrgang 1971), die in den USA unter dem Pseudonym Alex Carr veröffentlicht. Soeben erschien "Verschärftes Verhör" (Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2010, 311 Seiten, 8,95 Euro, Original: "The Prince of Bagram Prison", 2008). Kein dicker Wälzer, sondern ein kompaktes, souverän auf den Punkt geschriebenes Buch, das zentrale Konflikte unserer Zeit thematisiert: der Krieg in Afghanistan, das Elend in den Armenvierteln Nordafrikas, die Situation afrikanischer Immigranten in Europa, der Zynismus der Geheimdienste und das schmutzige Treiben der "Spezialeinsatzkräfte" rund um den Globus. Ein Buch, das allen Le-Carr& #233;-Fans empfohlen sei. Gleiches galt übrigens auch schon für Silers 2008 erschienene "Portugiesische Eröffnung".
Zum Schluss noch ein Tipp für die Comic-Freunde: "Coronado" (Schreiber & Leser, München 2010, 94 Seiten, 16,80 Euro) von Loustal (Jahrgang 1956) ist die kongeniale Umsetzung des gleichnamigen Bühnenstücks von "Shutter Island"-Autor Dennis Lehane (Jahrgang 1966). Der Franzose, der auch Werke von Jerome Charyn und Léo Malet verarbeitete, verfügt über eine scheinbar einfache, dabei aber bewusst aufs Wesentliche reduzierte und immens ausdrucksstarke Bildsprache, die der düsteren Lakonie von Lehanes Noir-Stoff aufs Beste gerecht wird. Allerdings muss man sich einlassen auf Loustals Ästhetik, deren inhaltliche Dimension sich nicht bei flüchtigem Durchblättern erschließt. "Coronado", ein Sehnsuchtsort und eine in Bildern erzählte Vater-Sohn-Geschichte, so kalt, so schön, so traurig � ein Meisterwerk.
Jörg Juretzka:
Der Willy ist weg.
Zürich, Unionsverlag, 2010
311 Seiten, 9.90 Euro
Hansjörg Schneider:
Hunkeler und die Augen des Ödipus.
Zürich, Diogenes, 2010,
232 Seiten, 19.90 Euro
Jenny Siler:
Verschärftes Verhör.
Frankfurt, Fischer Taschenbuch, 2010,
311 Seiten, 8.95 Euro
Loustal / Dennis Lehane
Coronado
München , Schreiber & Leser Verlag, 2010,
94 Seiten, 16.80 Euro
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