Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
3/2010
Afrika in der Kriminalliteratur, zweiter Teil. Besonders gehypt werden derzeit Romane, in denen es möglichst blutig zugeht. Der schwarze Kontinent als Brutstätte alptraumhafter Brutalität, dunkel, animalisch, gefährlich � Hauptsache, das Klischee bleibt gewahrt. Allerdings gibt es auch Krimis, die ein differenzierteres Bild zeichnen und dennoch spannend unterhalten. D.B. Blettenbergs "Land der guten Hoffnung" (Pendragon, Bielefeld 2010, 287 Seiten, 10,95 Euro) etwa, das wir im letzten Krimitipp vorstellten. Das Gleiche gilt für Bernhard Jaumanns "Die Stunde des Schakals" (Kindler, Reinbek 2010, 320 Seiten, 19,95 Euro). Der Roman nimmt historische Fakten zum Anlass für eine fiktive Geschichte, die ein weiteres Mal die Frage nach Recht und Gerechtigkeit aufwirft. Es geht um die Mörder des weißen SWAPO-Aktivisten Anton Lubowski, der im September 1989 wohl im Auftrag des südafrikanischen Geheimdienstes umgebracht wurde. Eine Tat, die nie strafrechtlich geahndet wurde � die mutmaßlichen Täter, weiße Rassisten und Parteigänger des Apartheidsregimes, laufen auch 20 Jahre nach der Befreiung Namibias noch frei herum. Doch nun werden sie gejagt: Ein Killer spürt die weit verstreut lebenden Männer auf und bringt einen nach dem anderen um � und die junge schwarze Kriminalinspektorin Clemencia Garises soll den Rachefeldzug stoppen. Nur, dass ihre Ermittlungen scheinbar immer wieder behindert werden � genau wie vor 20 Jahren, als die Lubowski-Mörder ungestraft entkamen ... "Keine Lügen mehr, keine Geschichten! Nur die Wahrheit zählt, und die Wahrheit ist der Tod", lauten die ersten Sätze dieses Politthrillers. Und es spricht für seine Qualität, dass es am Ende mit der Wahrheit nicht ganz so einfach ist, wie manch einer das gerne hätte. Dass dem 1957 in Augsburg geborenen und derzeit in Windhuk lebenden Autor mit seiner Heldin � und ihrer Familie! � obendrein schnell ans Herz gewachsene Figuren gelungen sind, erhöht nur die Vorfreude auf den nächsten Garises-Roman.
Eine sympathische Heldin mit dem Herzen auf dem rechten Fleck ist auch Lindsay "Flash" Gordon � und wie ihre Schöpferin Val McDermid (Jahrgang 1955) Schottin, Journalistin und Lesbe. Lindsay, die mit ihren Recherchen wie ein "Blitz" in dunkle Machenschaften einschlägt, ist die Hauptfigur einer zwischen 1987 und 2003 erschienenen sechsbändigen Serie, die bei Argument in der Krimireihe ariadne vorliegt. Gerade neu aufgelegt wurde "Der Aufsteiger" (Hamburg 2010, 252 Seiten, 12,90 Euro, Originaltitel: "Union Jack", 1993), der vierte Lindsay-Gordon-Roman. "Der Aufsteiger" ist ein Gewerkschaftsboss, der die Leichen in den Kellern der anderen kaltblütig für eigene Interessen zu nutzen versteht. Dass so etwas nicht endlos lange gut geht, wissen erfahrene Krimileser. Den Karrieristen ereilt denn auch beim Jahreskongress der britischen Mediengewerkschaft ein hässliches Missgeschick: Er stürzt aus dem zehnten Stock eines Wohnheims, in dem Delegierte untergebracht waren. Dumm nur, dass es ausgerechnet Lindsays Zimmer ist, durch dessen Fenster der homophobe Widerling seinen Abgang wählt, während die sich beim schottischen Traditionsabend die Kante gibt � "Der Aufsteiger" ist nicht Val McDermids spannendster Roman. Doch dafür bietet er einen authentischen Einblick ins einst mächtige Gewerkschaftsmilieu der Insel � und eine zartbesaitet-raubeinige Heldin, die unerschrocken ihren Weg geht. Wir lieben so was.
Beim Stichwort Neuauflagen wollen wir Karin Alvtegens (Jahrgang 1965) "Schuld" nicht vergessen, das jetzt als Taschenbuch bei DuMont (Köln 2010, 238 Seiten, 8,95 Euro, Originaltitel: "Skuld", 1998) wieder vorliegt. Einen, um es gleich zu sagen, raffiniert konstruierten Thriller mit zahlreichen Höhepunkten und ausgesprochen fein gezeichneten Charakteren, mit dem die Schwedin 2001 auf dem deutschen Buchmarkt debütierte. Die Handlung beginnt in einem Stockholmer Café: Eine geheimnisvolle Frau bittet den abgebrannten Per Brolin, ihrem Ehemann ein Päckchen zu überbringen. Doch der Adressat des Päckchens ist in Wirklichkeit verwitwet, und der Inhalt des Päckchens ist ein abgetrennter Zeh. Olof Lundberg, erfolgsverwöhnter Chef einer Werbeagentur, wird zwar schon seit längerem von einer Unbekannten mit Ekelpräsenten verfolgt, aber jetzt zeigt der Mann doch Nerven. Brolin, ein Verlierertyp mit psychischen und finanziellen Problemen, lässt sich darauf ein, die "Dämonin" zu suchen und ihrem immer unheimlicheren Treiben ein Ende zu machen. Im Gegenzug verspricht Lundberg, Brolins immense Bankschulden zu begleichen ... "Schuld" ist Spannung ohne Splatter � Alvtegen, auch als Drehbuchautorin im schwedischen Filmbusiness erfolgreich, versteht ihr Handwerk.
Ein US-Comicmythos ist zurück: Jonah Hex, Rächer der Enterbten und Schrecken der Schurken. Seine Markenzeichen sind das von einem Apachen-Tomahawk versehrte Gesicht und die abgerissene Konföderierten-Uniform, vor allem aber der schnelle Revolver. Rechtzeitig vor der für dieses Jahr angekündigten Filmpremiere mit Josh Brolin und John Malkovich reitet der Kopfgeldjäger wieder durch die kolorierte Bilderwelt eingefleischter Westernfans. "Jonah Hex � Zeit zu sterben" (Nettetal 2010, 144 Seiten, 16,95 Euro) ist der erste neue Panini-Sammelband um den brutalen Zyniker, dessen Verbitterung ihn nicht davor schützt, immer wieder aufs Neue der Gerechtigkeit Geltung zu verschaffen.
Ein letzter Hinweis noch für Genre-Aficionados: Die "Alligatorpapiere" gibt es jetzt nicht nur online, sondern auch als Printedition. No. 1 (Nordpark, Wuppertal 2010, 76 Seiten, 6,50 Euro) enthält Aufsätze etwa zu Frank Göhre, Stuart Kaminsky und Robert B. Parker, Interviews (Bruno Morchio, Guillermo Martínez) und Thomas Przybilkas Infos zur Sekundärliteratur. Eine Fundgrube für alle, die vom Krimi mehr erwarten als die Mimi.
Bernhard Jaumann:
Die Stunde des Schakals.
Reinbek, Kindler Verlag, 2010,
320 Seiten, 19.95 Euro
Val McDermid:
Der Aufsteiger.
Hamburg, Haymon ArgumentVerlag, Krimireihe ariadne, 2010
252 Seiten, 12.90 Euro
Karin Alvtegen:
Schuld.
Köln, DuMont Verlag, 2010,
238 Seiten, 8.95 Euro
Jonah Hex � Zeit zu sterben:
Nettetal, Panini, 2010,
144 Seiten, 16.95 Euro
Alligatorpapiere Print No.1:
Wuppertal, NordPark Verlag, 2010,
76 Seiten, 6.50 Euro
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