– da denkt man an weiß-blaue Idyllen, bajuwarische Gemütlichkeit und bierselige Oktoberfeste. Doch wo die Kirche noch im Dorf steht, muss die Welt deshalb nicht in Ordnung sein. Dies zeigt uns Andrea Maria Schenkel in ihrem furiosen Erstlingsroman »Tannöd« (Nautilus, Hamburg 2006, 125 Seiten, 12,90 Euro). Einem Debüt, das nicht nur monatelang auf Platz eins der KrimiWelt-Bestenliste (arte.tv/krimiwelt) stand, sondern jetzt auch mit dem renommierten Deutschen Krimi-Preis (deutscher-krimipreis.de) ausgezeichnet wurde. Die Regensburgerin erzählt darin von einem Verbrechen, dem in einer einzigen Nacht eine ganze Familie zum Opfer gefallen ist. Eines Verbrechens übrigens, das sich auf einem fränkischen Einödhof in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wirklich zugetragen hat, aber nie aufgeklärt wurde. Schenkel verlegt die Mordtat in das Jahr 1954 und erfindet für sie eine fiktive Geschichte. Eine Mutter mit zwei Kindern, ihre Eltern und eine Magd wurden mit der Spitzhacke erschlagen. Eine Beziehungstat offenbar, denn das Geld der Bauersfamilie hat der Mörder nicht angerührt. Brillant umkreist die Autorin das unfassbare Geschehen, wechselt die Erzählperspektiven und lässt den Leser mal in die Haut des (unbekannten) Täters schlüpfen, um dann wieder die Dorfbewohner und sogar die Opfer selbst zu Wort kommen zu lassen. Eine Icherzählerin, die in das »Morddorf« zurückkehrt, tritt nur ganz zu Beginn des Romans auf: »Die, die ich dort traf, wollten mir von dem Verbrechen erzählen. Reden mit einem Fremden und doch Vertrauten. Einem, der nicht blieb, der zuhören und wieder gehen würde.« So entsteht, lange bevor am Schluss der Mörder entlarvt wird, das luzide Bild eines dörflichen Mikrokosmos, in dem nichts so ist, wie es eigentlich sein sollte. Ein Heimatroman, wie wir ihn lieben: intelligent, realistisch und tiefschwarz.
Wie nahe die geordnete Welt unseres geregelten Alltags dem Unvorstellbaren eines scheußlichen Verbrechens sein kann, führt uns auch John Harveys »Schrei nicht so laut« (dtv, München 2007, 446 Seiten, 9,90 Euro) vor Augen. Hauptfigur des zuerst 2004 unter dem Titel »Flesh and Blood« in England erschienenen und mit dem begehrten britischen Silver Dagger ausgezeichneten Thrillers ist Frank Elder, der die Polizeiarbeit an den Nagel gehängt hat und in Cornwall wieder zu sich selbst finden will. Doch die Dämonen der Vergangenheit lassen Elder nicht in Frieden. Vor allem der Fall einer 15 Jahre zuvor verschwundenen Frau geht dem pensionierten Detective nicht aus dem Kopf. Als ein einschlägig vorbestrafter Vergewaltiger und Mörder aus dem Gefängnis freikommt und die geschundene Leiche einer jungen Frau gefunden wird, rollt Elder den Fall neu auf ... Harvey, Jahrgang 1938, Jazzfan und Autor von mehr als 90 Romanen, hat die nicht alltägliche Gabe, den Leser sogar Mitgefühl für einen Serienkiller empfinden zu lassen. Sein neuer Roman, erster Band einer Trilogie, ist ein Glücksfall für jeden Liebhaber authentischer Kriminalliteratur – glaubwürdig, logisch, und fernab aller Schwarz-Weiß-Malerei mit ganz normalen Menschen bevölkert, denen man jedes Wort abnimmt. Ein Buch, dem wir ganz viele Leser wünschen.
Die Bundesliga-Rückrunde hat begonnen, die am Ende natürlich von einer grün-weißen Meisterschaftsfeier gekrönt werden sollte. Und für alle, die regelmäßig ins Weserstadion fahren, haben wir einen ganz besonderen Tipp parat: Gabriella Wollenhaupts »Rote Karte für Grappa« (Grafit, Dortmund 2006, 254 Seiten, 8,95 Euro) ist ein Fußballkrimi, dessen Geschichte sich bei einem jener Ruhrpottvereine abspielt, die eher durch finanzielle Skandale als durch sportliche Erfolge von sich reden machen. Bei dem wirtschaftlich angeschlagenen »Bierstädter Traditionsverein Schwarz-Gelb 09« wird nämlich erst die Tochter des Vereinspräsidenten vergewaltigt, dann der brasilianische Starkicker des Klubs entführt, und schließlich bekommt die investigative Reporterin Maria Grappa, die sich eigentlich überhaupt nicht für Fußball interessiert, ein Paket zugeschickt, in dem ein abgehackter Fuß liegt. Klar, dass die rothaarige Journalistin jetzt die Männerwelt des Fußballs aufmischt ... Gabriella Wollenhaupt, 54 Jahre alt und im Brotberuf Fernsehredakteurin beim WDR, schickt ihre frech-sympathische Serienfigur nun schon zum 16. Mal in ein aufregendes Rechercheabenteuer. Was dabei herauskommt, ist leichte, amüsante und spannende Lektüre – geeignet nicht nur für Fußballfans.
Für den Klassikertipp erinnern wir uns dieses Mal des Begründers der Hard-boiled-Tradition des amerikanischen Kriminalromans: Dashiell Hammett (1894 – 1961) hinterließ nicht nur Romane wie »Rote Ernte« und »Der Malteser Falke«, beide übrigens grandios verfilmt mit dem unvergleichlichen Humphrey Bogart. Hammett, der mit seinem desillusionierten, distanzierten und unsentimentalen Stil Giganten des Noirgenres wie Raymond Chandler und Cornell Woolrich den Weg wies, schrieb vor allem auch zahlreiche Kurzgeschichten, die zunächst in Pulpmagazinen wie »Black Mask« und erst später in Anthologien wie »The Big Knockover« und »The Continental Op« veröffentlicht wurden. Drei dieser Geschichten hat Diogenes in dem Band »Das Haus in der Turk Street« (Zürich 2000, 133 Seiten, 6,90 Euro) zugänglich gemacht. Wie sagte Chandler? »Hammett gab den Mord den Leuten zurück, die Grund haben zu morden, und nicht nur da sind, um eine Leiche zu liefern.«
Andrea Maria Schenkel:
Tannöd
Hamburg, Nautilus Verlag 2006,
125 Seiten, 12.90 Euro
John Harvey:
Schrei nicht so laut.
München, dtv
2007,
446 Seiten, 9.90 Euro
Gabriella Wollenhaupt:
Rote Karte für Grappa.
Dortmund, Grafit Verlag 2006.
254 Seiten, 8.95 Euro
Dashiell Hammett:
Das Haus in der Turk Street.
Zürich, Diogenes 2000.
133 Seiten, 6.90 Euro
Ulrich Kroegers Krimitipp
Eine Kolumne
Ein Service der Alligatorpapiere
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