Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
1/2010
Robert B. Parker ist tot. Der in englischsprachiger Literatur promovierte Autor (Jahrgang 1932) starb am 18. Januar in seinem Haus in Cambridge (Massachusetts). Parker gehörte zu den großen Kriminalschriftstellern Amerikas, die die Tradition Dashiell Hammetts, Raymond Chandlers und Ross MacDonalds nicht nur fortsetzten, sondern auch weiterentwickelten. Dennoch wären seine Romane wie die vieler seiner Kollegen � man denke nur an Loren D. Estleman � längst vom deutschen Buchmarkt verschwunden, gäbe es nicht den Bielefelder Pendragon-Verlag. Dort erschien gerade "Hundert Dollar Baby" (206 Seiten, 9,90 Euro, Original: "Hundred-Dollar Baby", New York 2006) aus der Serie um den Bostoner Privatdetektiv Spenser. Good bye, Mr. Parker, and thank you.
Die Gewinner des Deutschen Krimipreises 2010 (www.deutscher-krimipreis.de) stehen fest. National belegt Ulrich Ritzel ("Beifang") den ersten Platz, international David Peace mit "Tokio im Jahr Null" � beide Romane stellten wir im Krimitipp 11/2009 vor. Auf Platz drei der Kategorie "National" wählte die Jury Jörg Juretzkas "Alles total groovy hier" (Rotbuch, Berlin 2009, 221 Seiten, 16,90 Euro). Eine Ehrung, die für den 1955 in Mühlheim/Ruhr geborenen Autor nicht neu ist: Schon 1999 ("Prickel") und 2001 ("Der Willy ist weg") erhielten Romane aus der inzwischen neunbändigen Kristof-Kryszinski-Serie die prestigeträchtige Auszeichnung. Kryszinski ist ein Typ, der von seinem Detektivsjob eher schlecht als recht leben kann, dafür aber einer sturmerprobten Rockergang ("Stormfuckers") angehört. Ein Ruhrpottgewächs wie aus dem Bilderbuch, den es diesmal zusammen mit Bikerkumpel Scuzzi ausgerechnet in eine Hippiekommune an der Costa de la Luz verschlägt. Blanker Horror für einen, dem "jegliche Zusammenballung von Aussteigern seit jeher suspekt" war und der sich lieber von Pils ernährt, als Tüten, Pilze und Pillen zu konsumieren. Allerdings ist Krüschels Kumpel Schisser hier mit 180.000 Euro verschwunden � von dem Geld sollte ein Feriendomizil der Stormfuckers gekauft werden. Und das vermeintliche Paradies, schon jetzt eine Hölle für die im Elend lebenden Zigeuner, birgt noch schrecklichere Geheimnisse ... Was in diesem Roman zunächst nur schrill, schräg und komisch zu sein scheint, wird unversehens sehr ernst und sehr böse. Und Juretzkas sarkastischer Stil sucht wirklich seinesgleichen. Hut ab!
Noch weniger für zartbesaitete Gemüter geeignet ist der jüngste Band von Pulp Master, Deutschlands härtestem Krimilabel. "Nazi Paradise" (Berlin 2010, 128 Seiten, 12,80 Euro) porträtiert einen jungen neapolitanischen Naziskin. Der liebt nicht nur die planmäßig ausgeführte Stadionrandale und schiebt einen gepflegten Hass auf "Bullenschweine". Zu seinen bevorzugten Freizeitbeschäftigungen zählt auch das Beleidigen von "Judenfotzen" und das Zusammenschlagen von "Scheißniggern". Das Perfide an Angelo Petrellas 2007 erschienenem Romandebüt: Der 1978 in Neapel geborene Autor erzählt das ebenso armselige wie gewalttätige Leben seiner namenlosen Hauptfigur aus der Ich-Perspektive. Ehe sich der Leser versieht, verwandelt sich die Glatze aus einem dumpfbackigen Blödmonster in einen Loser, dem trotz seiner brutalen Aggressivität Mitgefühl zuwächst. Ein armes Schwein ist der Amateurhacker auch deshalb, weil ihn korrupte Polizisten erpressen und zu einem illegalen Coup zwingen: Er soll auf eine Schickimickiparty ("Scheiß Kommunistenpack!") gehen und den Computer des Hausherrn knacken. Das klappt natürlich nicht wie geplant � Wer Italien-Folklore sucht, sollte dieses Buch meiden. Wem aber an einem unverstellten Blick auf psychosoziale Realitäten liegt, für den ist "Nazi Paradise" ein heißer Tipp.
Sprachlich auf einem völlig anderen Level kommt ein Roman daher, dessen Lektüre in diesen schneeversunkenen Tagen auf ganz besondere Weise nachwirkt. Immerhin rezitiert der Held von Gerard Donovans "Winter in Maine" (Luchterhand, München 2009, 208 Seiten, 17,95 Euro, Original: �Julius Winsome�, New York 2006) gern Shakespeare-Verse, wenn er nicht gerade zu seiner Uralt-Flinte greift und Jagd auf Jäger macht. Einer von denen hat nämlich seinen Pitbullterrier "Hobbes" erschossen, ein Geschenk einer längst wieder entschwundenen Sommerliebe. Nun ergreift den Einsiedler Julius Winsome die Einsamkeit mit existenzieller Wucht, und was zunächst nur Trauer um den Hausgenossen war, gerinnt unaufhaltsam zu kalter, mörderischer Wut ... Auch Donovan (Jahrgang 1959) benutzt die Ich-Perspektive, um den Leser zur Identifikation mit seinem Protagonisten zu zwingen. Was ihm auf beklemmende Art und Weise auch gelingt: Der Mörder, dem in seiner einsam gelegenen Blockhütte nur die 3282 vom Vater geerbten Bücher Gesellschaft leisten, das sind plötzlich wir. �Eine kalte Eisschicht stahl sich in mein Herz.�
Am Freitag, 5. Februar, las Olen Steinhauer um im Speicherstadtmuseum aus seinem neuen Spionagethriller "Der Tourist" (Heyne, München 2010, 544 Seiten, 19,95 Euro, Original: "The Tourist", New York 2009) � die deutschen Textpassagen las der Schauspieler Hans-Werner Meyer. Sowohl sprachlich, als auch was die Plotkonstruktion betrifft, kann der 39-jährige Amerikaner den Großmeistern des Genres zwar noch lange nicht das Wasser reichen. Interessant ist das Buch � George Clooneys Produktionsfirma hat die Filmrechte erworben � aber dennoch, weil es auf die psychischen Beschädigungen fokussiert, denen Agenten im Jeder-gegen-jeden-und-traue-niemand-Gewerbe unterliegen. Ach ja, als "Touristen" werden operative CIA-Agenten bezeichnet.
Robert B. Parker:
Hundert-Dollar Baby.
Bielefeld, Pendragon Verlag, 2009,
206 Seiten, 9.90 Euro
Jörg Juretzka:
Alles total groovy hier.
Berlin , Rotbuch Verlag, 2009
221 Seiten, 16.90 Euro
Angelo Petrella:
Nazi Paradise.
Berlin, Pulp Master, 2010,
128 Seiten, 12.80 Euro
Gerard Donovan:
Winter in Maine
München , Luchterhand Literaturverlag, 2009,
208 Seiten, 17.95 Euro
Olen Steinhauer:
Der Tourist.
München, Heyne Verlag, 2010,
544 Seiten, 19.95 Euro
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