Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
11/2009
In zwei Wochen ist Weihnachten. Das ist nicht zu ändern. Also machen Sie das Beste draus: Verschenken Sie Bücher! Diesen wunderbaren Bildband zum Beispiel, der nicht nur Maigret-Fans in helles Entzücken versetzen wird: "Simenon � Sein Leben in Bildern" (Herausgegeben von Daniel Kampa, Regina Kaeser, Anna von Planta, Margaux de Weck, Diogenes, Zürich 2009, 335 Seiten, 49 Euro) ist das vielleicht schönste Präsent, das Sie einem Krimifan in diesem Jahr unter den Tannenbaum legen können. Das großformatige Werk ist nicht nur opulent mit Farb- und (mehr noch) Schwarz-Weiß-Fotografien illustriert � viele davon bislang unveröffentlicht. Es bringt auch mit klugen Texten, Briefauszügen und Zitaten den Menschen Georges Simenon (1903 � 1989) nahe. Einen manischen Schreiber, Liebhaber, Lebemann, Familienmenschen, Fotografen, Journalisten, Weltreisenden. Vor allem aber: einen Autor, dessen schaffensreiches Werk (etwa 200 Romane und autobiografische Arbeiten) sich stets um das drehte, "was bei allen Menschen gleich ist".
Einen wie besessen schreibenden Textarbeiter können Sie auch in
Jörg Fauser (1944 � 1987) kennen lernen. Der kleine Berliner Alexander Verlag hat sich das nicht hoch genug zu würdigende Verdienst erworben, Fausers umfangreiche Produktion in Sachen Literaturkritik, Essay und Reportage wieder zugänglich zu machen. "Der Strand der Städte � Gesammelte journalistische Arbeiten 1959 � 1987. Jörg-Fauser-Edition VIII" (Berlin 2009, 1593 Seiten, 49,90 Euro), herausgegeben von Alexander Wewerka, droht zunächst, den Leser mit seiner schieren Fülle zu erschlagen. Doch egal, an welcher Stelle man das Buch aufschlägt, man liest sich fest. Fausers Stil, seine Kunst, sich einfach und kunstvoll, aber nicht gekünstelt auszudrücken, sein ums Leben kämpfender Furor, der alles Anmaßende und Unwahrhaftige gnadenlos decouvriert � das reißt uns mit wie ein guter Rocksong, kraftvoll, klarsichtig, technisch brillant und doch voller Herz. Ein Buch, das Freunde guter (Kriminal-) Literatur immer wieder aufschlagen werden. Ein ganzes Leben lang.
Zwei herausragende Romane gibt es auch noch zu vermelden. Nichts falsch machen können Sie mit Ulrich Ritzels "Beifang" (btb, München 2009, 462 Seiten, 19,95 Euro). Ritzel, Jahrgang 1940 und ehemaliger Gerichtsreporter, ist bekannt dafür, auf souveräne Weise deutsche Vergangenheit mit bundesrepublikanischer Gegenwart verknüpfen und in eine spannende Kriminalhandlung einweben zu können. Dieses Mal soll Hans Berndorf, Ex-Kripomann, jetzt Ruheständler und Privatdetektiv, für den Anwalt eines im Kosovo eingesetzten Bundeswehrsoldaten recherchieren, der angeklagt ist, während eines Heimaturlaubs seine Frau erschlagen zu haben. Berndorfs Auftraggeber kommt selbst auch ums Leben � sind Leute aus Politik und Justiz involviert? Und dann ist da noch dieser Ring aus dem Besitz der Toten. Das Schmuckstück wirft Fragen auf, die mitten hinein in die Geschichte der deutschen Judenverfolgung führen ... "Beifang" ist sauber geplottet, locker geschrieben und mit philosophischem Tiefgang � kann Ritzel noch besser werden?
Was meinen Krimi des Jahres betrifft � zuletzt stand noch Tana Frenchs �Totengleich� oben auf der Liste � ist meine Entscheidung nach der Lektüre von David Peace� "Tokio im Jahr Null" (Liebeskind, München 2009, 408 Seiten, 22 Euro) gefallen. Der im Original 2007 in London erschienene Roman ("Tokyo Year Zero") des 42-jährigen, seit 1994 in Japan lebenden Briten ist die formal wie inhaltlich wohl größte Herausforderung � und definitiv kein Präsent für Agatha-Christie-Fans. Denn "Tokio im Jahr Null", das ist die japanische Hauptstadt in den Jahren 1945/46: eine Ruinenlandschaft, versehrt wie die Menschen, die zwischen den Trümmern dahinvegetieren. Hass, Hunger, Hässlichkeit bestimmen das Leben. Zustände, die Inspektor Minami zusehends in den Wahnsinn treiben. Zumal er diesen Serienkiller nicht zu fassen bekommt, der es auf die jungen Frauen abgesehen hat, die sich manchmal schon für eine Scheibe Brot herzugeben bereit sind. So sehr dieser Roman � wie auch Peace� ebenfalls hier schon besprochene "Red Riding Quartett"-Romane � es nicht an Drastik fehlen lässt, so anspruchsvoll ist seine formale Gestaltung: Eine ganz eng geführte Ich-Perspektive, die den Leser in Minamis Bewusstsein hineinzieht, eine Montagetechnik, die dem sich aufspaltenden Denken Minmis entspricht, und repetitive, rhythmisierende Elemente, die den gehetzten Pulsschlag des im Chaos versinkenden Individuums spüren lassen � hier ist ein Autor am Werk, dessen Experimentierfreude Funken schlägt. Spannender kann Kriminalliteratur nicht sein.
Zum Schluss noch kurz ein Tipp für die Freunde des längst zum Graphic Novel geadelten, in Deutschland jedoch traditionell sträflich unterschätzten Comics. Elemente des klassischen Hard-boiled-Detektivromans, des Fantasy- und des Horrorgenres mixt
Jim Butchers (Jahrgang 1971) jetzt auch in Deutschland erscheinende "Dresden Files"-Reihe. Band eins trägt den Titel "Willkommen im Dschungel" (Panini, Nettetal 2009, 148 Seiten, 16,95 Euro), im Original 2008 ("The Dresden Files: Welcome to the Jungle") in New York erschienen. Magier Harry Blackfield Copperstone Dresden muss mal wieder der Polizei von Chicago helfen: Im Zoo wurde ein Wachmann auf bestialische Weise umgebracht ...
Daniel Kampa u.a. (Hrsg.):
Simenon � Sein Leben in Bildern.
Zürich, Diogenes Verlag, 2009,
335 Seiten, 49.00 Euro
Jörg Fauser:
Der Strand der Städte.
Gesammelte journalistische Arbeiten 1959 � 1987.
Jörg-Fauser-Edition VIII
Berlin, Alexander Verlag, 2009
1593 Seiten, 49.90 Euro
Ulrich Ritzel:
Beifang.
München, btb Verlag, 2009,
btb Seiten, 19.95 Euro
David Peace:
Tokio im Jahr Null.
München, Liebeskind Verlag, 2009,
408 Seiten, 22.00 Euro
Jim Butcher:
Willkommen im Dschungel.
Nettetal, Panini Verlag, 2009,
148 Seiten, 16.95 Euro
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