Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
5/2009
Gut, dass vom Boom des Hörbuchs das Hörspiel profitiert. So bleiben Produktionen verfügbar oder werden wieder zugänglich gemacht, die sonst dem Vergessen anheimgefallen wären. Das gilt auch für Nikolai von Michalewskys (1931 � 2000) Kriminalhörspiele "Bei Bildausfall Mord" (1985), "Abschiedswalzer" (1991) und "Ich oder Du?" (1989). Die WDR-Aufnahmen wurden jetzt in einer preiswerten CD-Box ("Abschiedswalzer", steinbachs sprechende bücher, 3 CDs, 153 Minuten, 17,99 Euro) neu veröffentlicht. Den Hörer erwartet solide konstruiertes und perfekt ausgeführtes Handwerk, das ohne Anspruchsüberfrachtung Spannung erzeugt. Wird es etwa dem Starpianisten Gregor Thor gelingen, dem von ihm selbst gedungenen Auftragsmörder zu entkommen ("Abschiedswalzer")? Nachdem ihm sein Arzt die Furcht vor einer unheilbaren Krankheit genommen hat, ist auch seine Todessehnsucht geschwunden. Die Identität des Killers kennt er jedoch nicht, und tot ist zumindest schon mal der zur Kontaktaufnahme benutzte Telefonanschluss �
Erinnern Sie sich noch an Hauptkommissar Paul Trimmel, der in 14 Romanen und elf ARD-"Tatort"-Folgen zwischen 1970 und 1982 ermittelte? Mit "Trimmels letzter Fall" (Pendragon, Bielefeld 2009, 227 Seiten, 9,90 Euro) kommt nun das ultimative Finale: Rückblick, Bilanz und augenzwinkernder Abschied zugleich. Friedhelm Werremeier (Jahrgang 1930) schickt seinen erholungsbedürftigen Serienhelden mit dessen langjähriger Freundin Gaby Montag zur Kur nach Bad Salzuflen. Dort lauert ihnen nachts ein Mörder aus Trimmels Vergangenheit auf � Gaby stirbt in Trimmels Armen. Daraufhin hat der Chef der Hamburger Mordkommission genug und quittiert seinen Job, nur um erneut in den Ring zu steigen, als ein mutmaßlicher Serienmörder den Kopf einer Mädchenleiche ausgerechnet in Trimmels Keller versteckt. Was folgt, ist eine kriminalistische Tour de force mit Bezügen zu alten Trimmel-Fällen � nur dass das Ganze nicht mehr den Gesetzen von Plausibilität und Stringenz gehorcht. Soll es wohl auch nicht: �Trimmels letzter Fall� ist eher ein Spiel als ein Krimi � das Lesevergnügen bleibt davon unberührt.
Kennen Sie Ovid? Nein? Schade, der antike Dichter (43 v. Chr. � 17 n. Chr.) hat mit seinen erotischen Gedichten im Verlauf von zwei Jahrtausenden immer wieder eine begeisterte Leserschaft gefunden. Selbst im angeblich so sittenstrengen Mittelalter. Was das alles mit Krimi zu tun hat? Eine ganze Menge, denn in "Die Herzen aller Mädchen" (Argument, Hamburg 2009, 348 Seiten, 11 Euro) spielt eine kostbare Handschrift mit pikanten, auf den Rückseiten eines Psalterbuches versteckten Illustrationen Ovidscher Liebeskunst ("Ars amatoria") eine zentrale Rolle. Bettina Boll, Monika Geiers (Jahrgang 1970) mittlerweile wegen familiärer Verpflichtungen nur noch halbtags arbeitende Kriminalkommissarin, muss sich aufs schlüpfrige Parkett der Kulturszene begeben, denn nicht nur Forscher interessieren sich für die Rarität unbekannter Herkunft, auch das BKA nimmt Bolls Dienste für Ermittlungen in Anspruch. Indiz dafür, dass es um weit mehr geht als um Buchkultur und Textexegese ... Perfekt geplottet, flott geschrieben und mit einer sympathischen Hauptfigur: Geiers fünfter Boll-Krimi zählt für mich schon jetzt zu den Höhepunkten des Krimijahres.
Profaner geht's in Lawrence Blocks (Jahrgang 1938) Frühwerk "Falsches Herz" (224 Seiten, 9,90 Euro) zu, das in der formidablen Hard-Case-Crime-Reihe des Berliner Rotbuch-Verlags wieder aufgelegt wurde. Der 1965 ("The Girl With the Long Green Heart") erschienene Krimi stellt zwei Betrüger vor, die einem Immobilienhai ans Vermögen wollen. Eine Scheinfirma wird gegründet, Büros angemietet, Schriftverkehr vorgetäuscht � nur um die Mär vom lukrativen Landdeal in Kanadas Einöde plausibel rüberzubringen. Alles ist bis ins Detail vorbereitet und so prächtig vom Himmel gelogen, dass das millionenschwere Opfer gar nichts anders kann, als seine kaufmännische Vorsicht der übermächtigen Gier nach Extraprofit zu opfern. Nur haben die beiden Meistergauner ihre Rechnung mit einer Unbekannten gemacht � die Sekretärin des Opfers, die sich aus enttäuschter Liebe an ihrem Chef rächen will und Insiderinfos besorgen soll, hat so ihre eigenen Pläne ... "Falsches Herz" ist nicht Blocks stärkster Roman, aber souverän erzählt und mit einem herrlichen Twist zum Schluss.
Der Klassikertipp gebührt diesmal Jim Thompson (1906 � 1977), dessen Werk, wie sollte es anders sein, der Zürcher Diogenes Verlag (Chandler, Hammett, Highsmith etc.) pflegt. Dort sind vier Romane (jeweils 8,90 Euro) in überarbeiteter Übersetzung neu erschienen: "Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen" ("Pop.1280", 1964), "Muttersöhnchen" ("The Grifters", 1963), "Getaway" ("The Getaway", 1958) und Thompsons wohl bestes Werk: "Der Mörder in mir" ("The Killer Inside Me", 1952). Darin erzählt ein kaltblütiger Mörder seine damals wie heute verstörende Geschichte. Es ist die Geschichte des nach außen völlig normalen, allseits beliebten Lou Ford, der es als Arztsohn zwar nur zum Hilfssheriff gebracht hat, aber dennoch ein ganz netter Kerl ist. Fords kaum kaschierte, mit deppenhafter Arroganz ausgelebte Gewaltbereitschaft wird nur durch die vertrauensselige Blindheit seiner Umgebung getoppt, die es gewohnt ist, lieber nicht hinter die biederen Fassaden "guter Familien" zu schauen � es könnten sich ja die Wesenszüge der amerikanischen Provinzgesellschaft zeigen: Brutalität, Habgier, Korruption. Thompson gewährt uns diesen Blick � ebenso skeptisch wie stilistisch brillant. Ein Meisterwerk.
Nikolai von Michalewsky:
Abschiedswalzer.
Schwäbisch Hall, steinbachs sprechende bücher, 2009
3 CDs, 153 Minuten, 17.99 Euro
Friedhelm Werremeier:
Trimmels letzter Fall
Bielefeld, Pendragon Verlag, 2009
227 Seiten, 9.90 Euro
Monika Geier:
Die Herzen aller Mädchen.
Hamburg, Argument Verlag, 2009,
348 Seiten, 11 Euro
Lawrence Block:
Falsches Herz.
Berlin, Hard-Case-Crime/Rotbuch Verlag , 2009,
224 Seiten, 9.90 Euro
Jim Thompson:
Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen.
Muttersöhnchen.
Getaway
Der Mörder in mir
Zürich,
Diogenes Verlag, 2009,
je 8.90 Euro
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