– eine von Rechts wegen notwendige Obduzierung der Leichen fand nicht statt. Stattdessen wurde eine anonyme Nacht-und-Nebel-Beerdigung auf der Nordseeinsel angeordnet. Auch die Weibliche Kriminalpolizei Hamburg, der die beiden Toten angehörten, gibt es nicht mehr – polizeiliche Reformexperimente sind am Vorabend von Hitlers Machtergreifung nicht mehr opportun …
Eine zehnbändige "Kriminelle Sittengeschichte Deutschlands" gibt Frank Göhre ("Mo – Der Lebensroman des Friedrich Glauser") in der kleinen, aber feinen Edition Köln heraus. Sie umfasst zehn zuletzt nicht mehr verfügbare deutsche Kriminalromane aus den Jahren 1957 (Egon Eis, "Duell im Dunkel") bis 1993 (Robert Brack, "Psychofieber"). Auch Hansjörg Martin ("Kein Schnaps für Tamara", 1966), -ky ("Einer von uns beiden", 1970), Michael Molsner ("Rote Messe", 1973), Irene Rodrian ("Schlaf, Bübchen schlaf", 1980), Helga Riedel ("Einer muss tot", 1983), Peter Schmidt ("Die Regeln der Gewalt", 1984) und Peter Zeindler ("Feuerprobe", 1991) sind mit von der Partie – eine schöne Auswahl. Am bekanntesten dürfte auch heute noch Friedhelm Werremeiers "Taxi nach Leipzig" (Köln 2008, 184 Seiten, 12,80 Euro) sein. Schon allein deshalb, weil der 1970 erschienene Roman die Vorlage für den allerersten ARD-"Tatort" gab. Werremeier erzählt eine Geschichte, die ohne Mord und Totschlag auskommt, aber viel deutsch-deutsche Befindlichkeit ausbreitet und mit dem Amtshilfeersuchen einer DDR-Staatsanwaltschaft ihren Anfang nimmt …
"Der Nebel von gestern" (Unionsverlag, Zürich 2008, 363 Seiten, 19,90 Euro) wabert auch durch Leonardo Paduras gleich nach Erscheinen in die KrimiWelt-Bestenliste (www.arte.tv/krimiwelt) aufgenommenen Mario-Conde-Roman. Darin verschränkt der 1955 in Havanna geborene Autor die desolate Gegenwart des heutigen Kuba mit der glamourösen Vergangenheit der berühmten Bolerobars Ende der 50er Jahre. Conde hat desillusioniert den Polizeidienst quittiert und verdient seinen Lebensunterhalt jetzt als Antiquar. Stets auf der Suche nach alten Büchern, stößt er in einer heruntergekommenen Villa auf eine wertvolle Privatbibliothek. Aus einem der prachtvollen Bände fällt der Ausschnitt eines alten Zeitungsartikels, der vom Verschwinden einer schönen Sängerin berichtet. Als Conde dem rätselhaften Schicksal der jungen Frau nachzuforschen beginnt, taucht er nicht nur in die Zeit vor Castro ein. Seine Recherchen führen ihn auch in die übelsten Viertel Havannas, die er als Polizist nie kennenlernte, weil das Gesetz dort sowieso keine Rolle spielt … Das alles ist Padura at his best: brillant komponiert, atmosphärisch dicht, wundervoll sentimental.
Enden wollen wir unseren Streifzug durch die Geschichte mit einem politischen Noir, der im Original bereits 1993 unter dem treffenden Titel "Nous cheminons entourés de fantômes aux fronts troués" in Paris erschien. Die deutsche Ausgabe von Jean-François Vilars Roman trägt den etwas harmloseren Titel "Die Verschwundenen" (Assoziation A, Berlin 2008, 464 Seiten, 24 Euro) und bringt ein Nachwort Christian von Ditfurths und ein Glossar mit. Vilar (Jahrgang 1947) nimmt den Leser mit auf eine labyrinthische Reise. Eine Reise zu Agenten, Aktivisten und Künstlern. Vor allem aber eine Reise durch die Zeiten. Mal sind wir im magischen Jahr 1989, mal im gespenstischen Vorkriegsjahr 1938. Was die Zeiten verbindet, sind Liebesgeschichten – schließlich schreibt hier ein Franzose. Was die Zeiten überlagert, sind aber Verbrechen. Alltägliche wie die Entführung eines Fotografen durch Terroristen in einem Dritte-Welt-Land, welthistorische wie die Moskauer Prozesse und die Ermordung Leo Trotzkis. Stets geht es um Überzeugungen und Leidenschaften, um Treue oder Verrat, ums Heute gegen das Morgen. In Paris, in Prag, in Mexiko – alles hängt mit allem zusammen, ein schier unentwirrbares Knäuel, unglaublich spannend. Höchste Empfehlungsstufe!
Jack the Ripper and the East End.
London, Chatto & Windus, 2008
287 Seiten, zahlreiche, meist S/W-Abbildungen und -Fotos, 25 Pfund)
Robert Brack:
Und das Meer gab seine Toten wieder.
Hamburg, Edition Nautilus, 2008
219 Seiten, 13.90 Euro
Friedhelm Werremeier:
Taxi nach Leipzig
Köln, Edition Köln, 2008
184 Seiten, 12.80 Euro
Leonardo Padura:
Der Nebel von gestern
Zürich, Unionsverlag, 2008,
363 Seiten, 19.90 Euro
Jean-François Vilar:
Die Verschwundenen
Berlin, Assoziation A, 2008,
464 Seiten, 24 Euro
Ulrich Kroegers Krimitipp
Eine Kolumne
Ein Service der Alligatorpapiere
im
NordPark
Verlag
Alfred Miersch
Klingelholl 53
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Tel.:0202/51 10 89
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