’s aus, Leute.
Halten wir also dagegen und feiern die subversive Kraft literarischen Schunds. Dessen König hat einen neuen Roman vorgelegt: "Qual" (Heyne, München 2007, 382 Seiten, 19,95 Euro) hat Stephen King alias Richard Bachman zwar schon 1973 geschrieben, dann aber in der Schublade liegen lassen. Erst nach seinem erfolgreichen Abstecher ins Krimigenre mit "Colorado Kid" (2005) habe er sich an das Manuskript erinnert, schreibt King im Nachwort der deutschen Ausgabe. Das Buch sei ein typisches Frühwerk und der "Versuch eines naturalistischen Kriminalromans im Stil der Romane von James M. Cain und Horace McCoy". "Blaze", so der Originaltitel, sei zudem eine "kleine Tragödie der Unterklasse" – eine treffende Charakterisierung, wie mir scheint. Denn Blaze ist ein Loser, wie er im Buche steht. Als Kind misshandelt vom saufenden Vater und mit bleibendem Schaden fürs Leben fit gemacht, dann ausgebildet in Erziehungsheimen und Jugendknästen. Selbst seinen Kumpel George, der dem geistig Zurückgebliebenen sagt, wo’s langgeht, verliert Blaze bei einer Messerstecherei. Nur die Stimme des Freundes behält Blaze im Kopf, die Stimme, die ihm auch jetzt noch sagt, was er tun soll. Nämlich das Ding seines Lebens zu drehen, die Entführung eines Kleinkinds, um Lösegeld zu erpressen. Nur stellt er sich dabei so blöd an, dass die Polizei ihm schon bald auf den Fersen ist, und außerdem ist Blaze bald nicht nur am Lösegeld interessiert … Der in zwei Zeitebenen geschriebene Roman ist kein Meisterwerk, das sei deutlich gesagt, sondern kommt eher hölzern und vorhersehbar daher. Was ihn dennoch lesenswert macht, sind neben teilweise wirklich anrührenden Dialogen die Rückblenden in die Vorgeschichte des kleinen Ganoven, der nolens volens zum Schwerverbrecher wird.
Ein anderes Milieu sucht Christine Lehmann mit ihrer Serienfigur Lisa Nerz auf. Einer unkonventionellen Journalistin, die nicht nur ihre Beziehung zu dem Staatsanwalt Richard Weber mit homoerotischen Affären zu würzen versteht, sondern auch einen Riecher dafür entwickelt hat, wenn die Dinge nicht so sind, wie es den Anschein hat. Und das ist zweifellos meist dann der Fall, wenn sich Todesfälle häufen. So wie im idyllischen Balingen: In "Allmachtsdackel" (Argument, Hamburg 2007, 316 Seiten, 9,90 Euro), Lehmanns sechstem Lisa-Nerz-Krimi, stirbt erst Richards Vater, dann wird die Leiche eines Mannes gefunden, der offenbar von Rindern zu Tode getrampelt wurde ... Christine Lehmann (Jahrgang 1958) schreibt zwar, wenn man so will, schwäbische Regionalkrimis. Deren Qualität reicht jedoch Lichtjahre über das hinaus, was sonst unter diesem Label vermarktet wird. Anstatt Lokalkolorit auszubeuten, unterhält Lehmann aufs Beste mit unbestechlichem Blick auf Geschlechterkämpfe und Familienstrukturen, bürgerliche Wohlanständigkeit und Religion. Geschickter Handlungsaufbau, Sprachwitz und nicht zuletzt eine Hauptfigur, die das Herz auf dem rechten Fleck hat: Die Lisa-Nerz-Krimis haben alles, was für ein ebenso kurzweiliges wie intelligentes Leseerlebnis notwendig ist. "Allmachtsdackel" ist übrigens ein typisch Nerzsches Schimpfwort für ihren Freund, den Staatsanwalt, aber ebenso geeignet für alle Repräsentanten männlichen Kontroll- und Machogehabes.
"Macht mich etwa das Umfeld Gefängnis so klarsichtig?", fragt sich Christophe Leibowitz bei der erneuten Lektüre von Flauberts "Erziehung der Gefühle": Sich mit deren Hauptfigur Frédéric Moreau identifizierend, war er einst zum Jurastudium nach Paris aufgebrochen, um seinen Traum zu verwirklichen "von einer kleinen gemütlichen Wohnung, von Mädchen, die ich mir darin genehmigen werde, von der Kohle, die ich verdienen, und von dem Schlitten, den ich mir leisten werde". Es kam anders: Jahre später sitzt der Winkeladvokat im Knast, und im Bett über ihm schnarcht ein albanischer Lude. Doch Leibowitz, Opfer einer Intrige ebenso wie seiner eigenen Dummheit, sinnt auf Rache ... Hannelore Cayres "Der Lumpenadvokat" (Unionsverlag, Zürich 2007, 154 Seiten, 12,90 Euro), 2003 unter dem Titel "Commis d'office" erschienen, ist ein Justizthriller, wie wir ihn noch nicht kannten: leicht, humorvoll, bissig, eben so, wie wohl nur Franzosen schreiben. Mes compliments! ...
Zum Schluss wieder ein Tipp für Liebhaber des Detektivromans: Bacci Pagano, italienisches Alter ego Philip Marlowes, liebt die Frauen, bekommt öfter was auf die Fresse und wird am Schluss von Bruno Morchios "Kalter Wind in Genua" (Unionsverlag, Zürich 2007, 315 Seiten, 19,90 Euro) von der Polizei abgeführt. Dabei wollte er die Carabinieri doch nur vor einem Attentat auf Berlusconi warnen – vergeblich: "Aus der Ferne, hart, trocken – ein Knall zerreißt die Stille." Okay, "Una storia di carruggi" wurde schon 2004 veröffentlicht, und Italiens reichster Mann lebt noch. Dennoch: Morchio, der als literarische Vorbilder Vázquez Montalbán, Izzo und Chandler nennt, ist eine Entdeckung. Hoffentlich lässt der Verlag weitere Romane des 1954 geborenen Genuesers übersetzen.
Wolfgang Sofsky:
Verteidigung des Privaten
München, C.H. Beck, Stu158 Seiten, 14,90 Euro
Richard Bachmann/Stephen King:
Qual
München, Heyne Verlag 2007,
382 Seiten, 19.95 Euro
Christine Lehmann:
Allmachtsdackel
Hamburg, Argument Verlag 2007,
316 Seiten, 9.90 Euro
Hannelore Cayre:
Der Lumpenadvokat.
Zürich, Unionsverlag, 2007,
154 Seiten, 12.90 Euro
Bruno Morchio:
Kalter Wind in Genua
Zürich, Unionsverlag, 2007,
315 Seiten, 19.90 Euro
Ulrich Kroegers Krimitipp
Eine Kolumne
Ein Service der Alligatorpapiere
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