Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
8/2009
Wissen Sie, was ein "Hop-�iki-Yaya-Thriller" ist? Mehmet Murat Somer
(Jahrgang 1959), Autor der bei Tropen (Stuttgart 2009, 233/270 Seiten, 16,90/17,90 Euro) erschienenen Romane "Die Propheten-Morde" ("Peygamber Cinayetleri"�, 2003) und "Der Kuss-Mord" ("Buse Cinayeti�, 2002), erklärt es uns: "'�Hop-�iki-Yaya' war ein türkischer Schlager in den frühen Sechzigern. In Comedy-Shows wurde es bald zum Synonym für feminine Schwule. Wenn einer ein bisschen tuntig war, sagte man: 'Oh, er ist wirklich Hop-�iki-Yaya! Ab den Siebzigern wurde der Begriff kaum noch benutzt � also habe ich ihn wiederentdeckt." Somers achtbändige Krimireihe spielt im Transvestitenmilieu von Istanbul. Ihr Ich-Erzähler ist ein etwa 50-jähriger EDV-Profi, der tagsüber eine kleine Firma leitet, abends jedoch Anzug und Krawatte gegen Fummel und Lippenstift tauscht und als "Femme fatale" eine Transenbar schmeißt. Allerdings grassiert in der Türkei homophobe Gewalt � und zwingt Somers Helden, als Beschützer der "Mädchen" und Detektiv wider Willen einzuschreiten ...
Auch Turner hat nichts weniger im Sinn, als sich mit Mord zu beschäftigen. Der Ex-Cop, Ex-Knacki, Ex-Psychotherapeut will in einer Blockhütte im hintersten Tennessee nur noch seine Ruhe haben. Doch dann besucht ihn Lonnie Bates, und nach einer Flasche Whiskey stellt Turner die entscheidende Frage: "Kann ich irgendwas für Sie tun, Sheriff?" Kann er, denn ein Ritualmord ist geschehen, und das gab's in Cypress Grove noch nie. Als "Berater" unterstützt Turner Bates' Zwei-Mann-Team bei den Ermittlungen und hilft sich damit auch selbst: Aus dem Eremiten wird peu à peu wieder ein Mensch mit sozialen Bindungen. Kontrapunktisch erzählt James Sallis (Jahrgang 1944) in "Dunkle Schuld" (Heyne Tb., München 2009, 301 Seiten, 8,95 Euro, Original: "Cypress Grove", 2003), dem ersten Band einer Trilogie, in kapitellangen Rückblenden Details aus Turners Vergangenheit. Dabei gelingen ihm Szenen des Scheiterns und der Vergeblichkeit von solcher Intensität, dass darüber der eigentliche Krimiplot immer nebensächlicher wird. Keine Frage, Sallis ist einer der Besten!
Andrew Browns (Jahrgang 1966) Debüt "Schlaf ein, mein Kind" (btb, München 2009, 364 Seiten, 9 Euro, Original: "Coldsleep Lullaby", 2005) handelt von zwei Frauen, deren leidvolle Geschichten zeitlich weit auseinanderliegen und scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Gemeinsam sind ihnen nur der Ort der Handlung, das südafrikanische Stellenbosch, und ein Rassismus, der im Verlauf der Zeit zwar seine Erscheinungsform geändert hat, nicht aber sein zerstörerisches Wesen. Brown wechselt die Erzählebenen kapitelweise, schreibt ansonsten aber ganz traditionell in der 3. Person: In der Gegenwart sollen zwei farbige Polizisten den Mord an einer jungen Weißen aufklären, nähern sich aber erst nach dramatischen Irrtümern dem wahren Täter an � 400 Jahre früher vergewaltigt ein Angehöriger der weißen Oberschicht eine schwarze Sklavin, die sich mit ihrem Schicksal aber nicht abfindet ... Wie Brown beide Handlungsstränge am Ende miteinander verknüpft, verleiht dem sowieso furchtbaren Geschehen eine besondere Tragik ... Beeindruckend!
Wer die Schattenseiten Australiens sehen will, sollte zu Garry Dishers (Jahrgang 1949) Inspector-Challis-Romanen greifen. In "Beweiskette" (Unionsverlag, Zürich 2009, 436 Seiten, 22,90 Euro, Original: "Chain of Evidence", 2007) haben wir es dabei schon wieder mit zwei Fällen zu tun, die aber insofern locker miteinander verknüpft sind, als sich ihre jeweiligen Ermittler gelegentlich gegenseitig anrufen. Challis hat sich nämlich Urlaub genommen und ist ans andere Ende des Kontinents gereist, wo seine Schwester bei der Pflege des kranken Vaters Hilfe benötigt und das mysteriöse Verschwinden des Schwagers einige Jahre zuvor nach wie vor nicht aufgeklärt ist ... Sein Haus auf der Mornington-Halbinsel bei Melbourne hütet derweil Challis� Stellvertreterin, die es ausgerechnet jetzt mit einem Pädophilenring zu tun bekommt, der vor Mord nicht zurückschreckt � Disher ist wie immer eine Klasse für sich: illusionslos beim Blick aufs Verbrechen, präzise in der Schilderung der Polizeiarbeit, voller Empathie beim Umgang mit dem Personal. Unbedingt lesen!
Unsere kriminalliterarische Weltreise beenden wir am Quai des Orfèvres in Paris. Mit "Maigret und Monsieur Charles" (Diogenes, Zürich 2009, 183 Seiten, 9 Euro, Original: "Maigret et Monsieur Charles", 1972) ist sie nämlich vollständig, die wunderbare Maigret-Gesamtausgabe in 75 Bänden. Wie gern haben wir Georges Simenons (1903 � 1989) Kommissar begleitet, dem es stets wichtiger war, die Menschen zu verstehen, als nur einen Fall abzuschließen � und der dabei auch dann und wann darauf verzichtete, einen Mörder seinem Richter auszuliefern. Wie kann so jemand sich drei Jahre vor seiner Pensionierung zum Direktor der Kriminalpolizei befördern lassen? Maigret lehnt das Angebot seines Chefs natürlich ab: "Es liegt mir nicht, meine Tage im Büro zu verbringen, Akten zu wälzen und mich mit mehr oder weniger verwaltungstechnischen Angelegenheiten zu befassen ..." Lieber macht sich Maigret auf die Suche nach einem von seiner Frau als vermisst gemeldeten Notar, der dafür bekannt ist, gerne mal für längere Zeit in zwielichtigen Nachtbars abzutauchen ...
Mehmet Murat Somer:
Die Propheten-Morde.
Stuttgart, Tropen Verlag, 2009,
233 Seiten, 16.90 Euro
Mehmet Murat Somer:
Der Kuss-Mord.
Stuttgart , Tropen Verlag, 2009,
270 Seiten, 17.90 Euro
James Sallis:
Dunkle Schuld
München , Heyne Verlag, 2009
301 Seiten, 8.95 Euro
Andrew Brown:
Schlaf ein, mein Kind.
München, btb Verlag, 2009,
364 Seiten, 9.00 Euro
Garry Disher:
Beweiskette.
Zürich, Unionsverlag, 2009,
436 Seiten, 22.90 Euro
Georges Simenon:
Maigret und Monsieur Charles.
Zürich, Diogenes Verlag, 2009,
183 Seiten, 9.00 Euro
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