– Kriminalreportagen aus der Metropole" (Pendragon, Bielefeld 2008, 255 Seiten, 14,90 Euro) ist dennoch ein Lektüretipp für beide Lesergruppen. Der Band versammelt 28 jener Reportagen, die Biermann seit Juni 2003 alle 14 Tage im Berliner "Tagesspiegel" veröffentlicht und die als O-Ton-Stücke im RBB-Inforadio ausgestrahlt werden, wo sie auch als Podcast abgerufen werden können (www.inforadio.de, Suchwort: "Nahaufnahme"). Beeindruckend, wie die preisgekrönte Romanautorin (Jahrgang 1950) Menschen Stimme und Gesicht zu geben versteht, deren Leben durch Kriminalität auf den Kopf gestellt wurde. Das geht unter die Haut – und ist obendrein gute Literatur.
Das gilt auch für Matti Rönkäs (Jahrgang 1959) Krimis um den in Russland aufgewachsenen Finnen Viktor Kärppä, der sich als Privatdetektiv, aber auch mit halblegalen Geschäften in Helsinki durchschlägt. Sein Counterpart ist der bisweilen puren Alkohol ausschwitzende Polizist Korhonen, der, wenn er nicht gerade Kirchenlieder singt, zu drastischen Worten neigt: „Diese Stadt ist eine einzige Kloake. Ein Geschwür, das man aufschneiden sollte. Damit der Eiter rausspritzt.“ Dann kommt noch eine dritte Partei ins Spiel, die sogenannte „Kasse“, anderswo auch Russenmafia genannt. Dort verschlechtert sich die Stimmung dramatisch, als gestrecktes Heroin unbekannter Herkunft das von Sankt Petersburg gesteuerte Drogengeschäft gefährdet. Und so sitzt Kärppä in „Bruderland“ (Grafit, Dortmund 2008, 222 Seiten, 17,90 Euro) zwischen allen Stühlen: Polizei und Gangster glauben, dass er ihnen bei der Suche nach dem neuen Dealerkönig helfen kann. Wie sich Kärppä aus dieser Zwickmühle befreit, ist aller Ehren wert – und Krimikost vom Feinsten.
Eine Entdeckung ist die Italienerin Grazia Verasani (Jahrgang 1963). Sie legte vor vier Jahren mit "Quo vadis, baby?" ("Briefe einer Toten", Goldmann Taschenbuch, München 2008, 246 Seiten, 7,95 Euro) den ersten Roman um die Bologneser Privatdetektivin Giorgia Cantini vor. Giorgia ist eine ledige Enddreißigerin, die zu viel raucht und zu viel trinkt und die nachts meist am Tresen irgendeiner Jazzbar anzutreffen ist. Giorgia lässt niemanden wirklich an sich heran – zu tief sitzt der Schmerz über den Verlust ihrer Schwester, die sich vor vielen Jahren das Leben nahm.
Als ihr alte Briefe ihrer Schwester in die Hände fallen, findet sie darin Hinweise auf einen Unbekannten, der mit dem Freitod zu tun gehabt haben könnte. Oder war der Selbstmord am Ende gar ein Mord? "Briefe einer Toten" ist ein Noir der besonderen Art – kein blutrünstiger Thriller, sondern eine nach innen gerichtete Recherche einer zutiefst verunsicherten Melancholikerin. Dass Verasani zugleich ein wundervolles Tableau an Orten und Personen entfaltet, lässt auf die nächsten Bände der Reihe hoffen.
Ross Thomas (1926 – 1995) muss man Kennern des Genres nicht vorstellen. Dennoch sind seine in klassischem Hard-boiled-Stil geschriebenen, oft beißend zynischen, aber stets meisterhaft geplotteten Romane fast in Vergessenheit geraten. Umso verdienstvoller, dass eine Neuedition Thomas' Werk jüngeren Krimilesern wieder zugänglich macht. So auch "Chinaman's Chance" (1978, "Umweg zur Hölle", Alexander, Berlin 2007, 423 Seiten, 12,90 Euro), den ersten Roman mit Quincey Durant und Artie Wu. Die beiden beherrschen das schmutzige Handwerk der Geheimdienste aus dem Effeff, arbeiten mittlerweile jedoch meist auf eigene Rechnung. Je verkommener das Milieu ist, in dem sie gerade tätig sind, je korrupter die Politiker, je geldgieriger die Cops und je fieser die Mafiabosse, desto besser für die beiden Freunde – nicht nur in Malibu warten einträgliche Geschäfte. Dass sie nicht sehr zimperlich zu Werke gehen, versteht sich von selbst. Doch auch wenn die beiden ihrem eigenen moralischen Kompass folgen, die Sympathie des Lesers ist ihnen gewiss.
Bleiben wir in Kalifornien, gehen zeitlich jedoch in die 60er Jahre zurück. Es ist die Zeit der Rassenunruhen in Watts, dem Schwarzenviertel von Los Angeles. Häuser gehen in Flammen auf, Läden werden ausgeraubt, Hass und Angst beherrschen die Szenerie. Inmitten des Chaos wird eine junge Frau ermordet – "Little Scarlett" (Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2007, 303 Seiten, 9,95 Euro), so ihr Spitzname, hatte zuvor einem Weißen Zuflucht vor dem Mob geboten. Doch es ist unmöglich, weiße Polizisten mit den Ermittlungen im Ghetto zu betrauen – das würde die Riots von Neuem anheizen.
So kommt der Polizeichef auf Easy Rawlins zu, einen schwarzen Privatdetektiv – und Serienfigur von Ex-Präsident Bill Clintons Lieblingsautor Walter Mosley (Jahrgang 1952). Rawlins, der die Neighborhood wie seine Westentasche kennt, lässt sich mit gemischten Gefühlen zum LAPD-Agenten gegen seine eigenen Leute machen. Doch dann führen ihn seine Ermittlungen in eine völlig andere Richtung ... Mosley ist der afroamerikanische Chandler – lakonisch im Stil, präzise in der Handlungsführung, illusionslos in der Diagnose der US-Gesellschaft.
Pieke Biermann:
Der Asphalt unter Berlin
Kriminalreportagen aus der Metropole
Bielefeld, Pendragon Verlag, 2008
255 Seiten, 14.90 Euro
Matti Rönkä:
Bruderland
Dortmund, Grafit, 2008
222 Seiten, 17.90 Euro
Grazia Verasani:
Briefe einer Toten
München, Goldmann Taschenbuch 2008
246 Seiten, 7.95 Euro
Ross Thomas:
Umweg zur Hölle
Berlin, Alexander Verlag, 2007,
423 Seiten, 12.90 Euro
Walter Mosley:
Little Scarlett
Frankfurt, Fischer Taschenbuch Verlag, 2007,
303 Seiten, 9.95 Euro
Ulrich Kroegers Krimitipp
Eine Kolumne
Ein Service der Alligatorpapiere
im
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