Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
6/2009
Good bye, Shaft! Wer zu Isaac Hayes� Musik die ersten sechs Krimis mit Ernest Tidymans (1928 � 1984) schwarzem 70er-Jahre-Kultdetektiv verschlungen hat, muss in Shafts siebtem, erstmals auf Deutsch verfügbaren Romanauftritt �Shaft und die Geldwäscher� (Pendragon, Bielefeld 2008, 223 Seiten, 9,90 Euro) Abschied nehmen. �The Last Shaft� (1975) hebt ein letztes Mal den Vorhang für den coolen Harlemer Privatermittler, der sich so oft zwischen alle Stühle setzte.
Die wie immer actionreiche Geschichte beginnt damit, dass Anderozzi in Shafts Wohnung auftaucht, jener NYPD-Captain, mit dem Shaft neben �zaghaftem Respekt� ein �Hauch von Freundschaft� verbindet � �sie waren beide tapfer und auf ihre Weise ehrlich�. Doch Anderozzi steht nicht allein in der Tür: Ausgerechnet den für Schwarzgelder und Bestechungen zuständigen �Bag Man� der New Yorker Mafia schleppt er Shaft auf die Bude, und mit ihm einen ganzen Karton voll brisanter Papiere, die das komplizierte Geldwäschesystem der Familien dokumentieren ...
Sind die Shaft-Krimis bei allem Blaxploitation-Chic im Grunde eher konventionelle Genreprodukte, sollte man bei Heinrich Steinfests Büchern alle Schubladen schließen � seine Kriminalromane passen sowieso nicht rein. Dafür faszinieren Romane wie �Der Umfang der Hölle� (2005) oder jetzt auch �Mariaschwarz� (Piper, München 2008, 315 Seiten, 16,90 Euro) durch wunderbar schräge Geschichten und die Geschliffenheit ihrer Sprache.
Zugleich erweitert der 1961 in Australien geborene Österreicher unseren Horizont durch ungewohnte Perspektiven und hieraus folgende Welterkenntnis. Beispiel gefällig? �Auch das ist so eine Wahrheit in der Welt, daß (sic!) nämlich die Dinge die reinsten Chamäleons sind und sich vollkommen nach ihren Benutzern richten. Wenn der Benutzer ein Mensch mit Würde ist, wird ein jeder Gegenstand, dessen er sich bedient, diese Würde annehmen. In der Hand von Drecksäuen wiederum gewinnt alles und jedes eine drecksäuische Note. So einfach ist das.� Was den Krimiplot schließlich betrifft, belegt �Mariaschwarz� eindrucksvoll, dass das Fehlen einer Plastikfigur die Welt nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen kann ...
Aus dem Gleichgewicht ist auch das Miami der späten 70er und frühen 80er Jahre: Der Rassismus grassiert, Castro schickt Kubas Zuchthäusler nach Florida, die kolumbianische Drogenmafia organisiert den Kokainboom, und Papa Docs Diktatur treibt die Haitianer in Booten übers Meer. Wie alle Immigrantengruppen bringen sie nicht nur Sprache und Riten mit, sondern auch Verbrecher, die im Schutze der Community ihr schmutziges Geschäft aufziehen. Mit ihnen bekommt es Max Mingus in Nick Stones (Jahrgang 1966) zweitem Roman �Der Totenmeister� (Goldmann Taschenbuch, München 2009, 632 Seiten, 9,95 Euro) zu tun. Der solide konstruierte, atmosphärisch aufgeheizte Thriller (�King of Swords�, 2007) spielt vor Stones Debütroman �Voodoo� (2006): Mingus ist noch Cop bei der Miami Task Force, wo man nicht zimperlich ist: Auch Mingus hat �Schlechtes getan, um Gutes zu erreichen (...) Manchmal hat man keine Wahl. Na ja, man hat immer eine Wahl. Man kann immer gehen. Aber ich gehöre nicht zu den Leuten, die einfach gehen�.
Nein, das tut dieser Mingus nicht. Auch dann nicht, als die Feinde auch im eigenen Laden auszumachen sind ...
Zurück in die Gegenwart und zu einem hochaktuellen Thema: Welch gefährlicher Mix aus Terrorhysterie und digitaler Datenschlamperei entstehen kann, zeigt der Niederländer Charles den Tex (Jahrgang 1952) in seinem Thriller �Die Zelle� (Grafit, Dortmund 2009, 446 Seiten, 19,90 Euro). Darin gerät der unbescholtene Michael Bellicher ins Visier von Polizei und Geheimdienst: Mit einem auf seinen Namen zugelassenen Fahrzeug wurde nach einem Unfall mit Todesfolge Fahrerflucht begangen. Offenbar wurde Bellicher Opfer eines Identitätsdiebstahls, seine bürgerliche Existenz wird für fremde Zwecke missbraucht, und schließlich sitzt der Verzweifelte sogar im Knast. Zum Glück verfügt das Opfer über gute Beziehungen zu einflussreichen Kreisen, mit deren Hilfe er nun seine Gegenoffensive organisiert � nicht immer im Rahmen der Legalität, aber was zählt das schon, wenn man selbst zum Outlaw erklärt wurde ...
�Die Zelle� (�Cel�, 2008) bietet einen interessanten Plot und feine Actionszenen inklusive einer Hausbesetzung in �Second Life� � eine lohnende Lektüre.
Was täten Krimifans ohne den Zürcher Diogenes Verlag! Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Jim Thompson � den ganzen feinen Stoff findet man dort in preiswerten Taschenbuchausgaben. Wer auch in die Reihe der unverzichtbaren Klassiker gehört, ist Georges Simenon. Seit einiger Zeit schon bringen die Schweizer die legendären Maigret-Romane des Belgiers (1903 � 1989) neu heraus � jeden Monat vier Bände, bibliophil mit Lesebändchen und Karten ausgestattet. Alle 75 Romane (zwischen 160 und 190 Seiten, jeweils 9 Euro) erscheinen chronologisch und in revidierter Übersetzung.
Ich warne Sie: Wer erst mal begonnen hat, den Pfeife rauchenden Kommissar vom Quai des Orfèvres bei seiner Arbeit zu begleiten, kann nicht mehr damit aufhören. Woran das liegt? Ich würde sagen: Es ist vor allem Simenons Können, mit wenigen Sätzen Menschen aus Fleisch und Blut vors Auge zu zaubern, mit dem er Millionen von Lesern in den Maigret-Kosmos hineingezogen hat. Im Grunde begegnen wir bei Simenon uns selbst � unseren Schwächen, unseren Eitelkeiten, unseren Sehnsüchten. Und wir erfahren, wie schnell das allzu Menschliche leider auch in einer Katastrophe münden kann.
Ernest Tidyman:
Shaft und die Geldwäscher
Bielefeld, Pendragon Verlag, 2009
223 Seiten, 9.90 Euro
Heinrich Steinfest:
Mariaschwarz.
München, Piper Verlag, 2008,
315 Seiten, 16.90 Euro
Nick Stone:
Der Totenmeister.
München, Goldmann Taschenbuchverlag, 2009,
632 Seiten, 9.95 Euro
Charles den Tex:
Die Zelle.
Dortmund, Grafit Verlag, 2009,
446 Seiten, 19.90 Euro
Georges Simenon:
75 Maigret-Romane.
Zürich, Pendragon Verlag, 2009
zwischen 160 und 190 Seiten, je 9.00 Euro
Nach oben