Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
7/2009
Wer bei romanzenhaften Vampirmärchen à la Stephenie Meyer gähnen muss, darf sich freuen: Es gibt sie noch, die richtig bösen, brutalen, beißfreudigen Blutsauger. Charlie Huston hat sie uns geschenkt, ein junger amerikanischer Pulpautor, der die Traditionslinien des Hardboiled-Krimis und des Dracula-Mythos à la Bram Stoker verbindet. "Das Blut von Brooklyn" (Heyne Taschenbuch, München 2009, 318 Seiten, 8,95 Euro) ist bereits Hustons dritter Roman ("Half the Blood of Brooklyn", 2007) mit dem Vampir Joe Pitt. Ehedem freiberuflicher Privatdetektiv, steht Pitt jetzt in Diensten eines mächtigen Clans, der immer wieder mit anderen Blutsaugerbanden über die Aufteilung New Yorks im Clinch liegt. Und wieder rumort es in der Unterwelt des Big Apple � und riecht nach Schmutzarbeit für Joe Pitt! Und dann ist da noch das Problem mit der Aidserkrankung von Evie, Joe Pitts Freundin. Kann, soll, darf er sie durch einen Biss mit seinem Vyrus von ihrem Virus befreien � und sie damit ebenfalls zu einer Untoten machen?
Feingeister seien gewarnt: Wie schon in "Stadt aus Blut" und "Blutrausch" geht's hart zur Sache. Die Gewalt ist so explizit, wie das Tempo hoch ist � doch Hustons abgründige Ideen und sein "beißender" Witz kontrastieren den Blutzoll aufs Feinste.
Andrea Camilleri und seine Romane mit dem sizilianischen Commissario Montalbano muss man Krimilesern nicht vorstellen. In "Voi non sapete" (2007) beschäftigt sich der bald 84-Jährige nun dokumentarisch mit dem nach wie vor wichtigsten innenpolitischen Thema Italiens. "M wie Mafia" (Kindler, Reinbek 2009, 222 Seiten, 16,90 Euro) porträtiert Bernardo Provenzano, der bis zu seiner Verhaftung 2006 über 40 Jahre aus der Illegalität heraus die Cosa Nostra führte.
Mit lexikalischen Artikeln von A wie "Abschrift" bis Z wie "Zichoriengemüse" entfaltet Camilleri kaleidoskopartig die Welt eines zu Lebzeiten zum Mythos gewordenen Mannes. Dazu wertete er Provenzanos berühmte "pizzini" aus, vielfach gefaltete und mit Tesafilm versiegelte Zettel, die durch Boten überbracht wurden. Auf diese Weise steuerte der "capo di tutti capi" ("Boss aller Bosse") die Geschäfte der Organisation � von der Schutzgelderpressung bis zur Anbahnung von Hochzeiten.
"M wie Mafia" gewährt einen Blick ins Innere des Monsters Mafia, lehrreich, unterhaltsam und glänzend geschrieben.
H�kan Nessers "Mensch ohne Hund" liegt endlich als Taschenbuch vor (btb, München 2009, 544 Seiten, 10 Euro) � Anlass, Ihnen diesen Roman ("Människa utan hund", 2006) des 59-jährigen Schweden wärmstens ans Herz zu legen. Alles, was Nesser-Leser schon an den Van-Veeteren-Romanen schätzten, findet sich auch hier: schnörkellose Sprache, psychologisches Gespür, schlüssiger Handlungsaufbau. Alles beginnt mit einem Familienfest, das unter keinem guten Stern steht: Sohn Walter, nach einem peinlichen TV-Auftritt das schwarze Schaf der Familie, kehrt von einem nächtlichen Spaziergang nicht ins Elternhaus zurück. 24 Stunden später verschwindet auch Lieblingsenkel Henrik spurlos. Eine mysteriöse Geschichte, die Inspektor Gunnar Barbarotti mehr als ein Jahr lang Rätsel aufgibt ... Unser Lieblingssatz: "Es geschieht in solchen Momenten, dachte sie, wenn die Leute solche Entscheidungen treffen � dann ruinieren sie ihr Leben. Und das Merkwürdige daran ist, dass es zutiefst menschlich ist."
Da wir schon bei preiswerten TB-Ausgaben sind: Diogenes hat die Romane, Essays und
Kritiken Jörg Fausers (1944 � 1987) in einer neunbändigen "Werkausgabe" (Zürich 2009, 3141 Seiten, 79 Euro) herausgebracht. Chance für alle Nachgeborenen, den wohl wichtigsten deutschsprachigen Autor der sogenannten 68er-Generation kennenzulernen. Der unerhört belesene, ebenso sprachmächtig wie besessen schreibende Ex-Junkie schrieb auch Kriminalromane, dessen erster ("Der Schneemann", 263 Seiten, 8,90 Euro) 1981 erschien. Fauser erzählt darin die Geschichte eines glücklosen Kleinkriminellen, der durch Zufall viel Kokain in seinen Besitz bringt. Doch der Versuch, den Schnee zu Kohle zu machen, gerät zur Odyssee durch die Glitzer-, Halb- und Gossenwelten der Achtziger-Jahre-BRD ...
Fausers "Schneemann" ist ein Gesellschaftsroman von unten, der Verbrechen als konstitutiven Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft outet. Illusionslos, aber mitfühlend mit dem Personal, und dabei leicht und locker erzählt. Kurz: gnadenlos gut.
Liegt es daran, dass die aktuelle Produktion so schwach ist? Jedenfalls haben wir noch einen Klassiker in petto, noch älter, noch wichtiger: Friedrich Glauser (1896 � 1936) gilt vielen als erster moderner Kriminalschriftsteller deutscher Sprache. Seine
"Wachtmeister-Studer-Romane" hat der Unionsverlag in einer preiswerten, sechsbändigen TB-Box (Zürich 2008, 1632 Seiten, 29,90 Euro) zusammengefasst. Glauser schrieb sie in seinen letzten Lebensjahren, bevor er an den Folgen seiner Morphiumsucht im italienischen Nervi starb. Meist erst als Fortsetzungsromane in Schweizer Zeitschriften veröffentlicht, zeigen sie eine zutiefst sympathische Hauptfigur, eben jenen Wachtmeister Studer. Der macht es sich schon bei seinem ersten Auftritt ("Schlumpf Erwin Mord", 251 Seiten, 7,90 Euro) nicht einfach, als die versuchte Selbsttötung eines inhaftierten Mordverdächtigen vorschnell als Schuldbekenntnis ausgelegt zu werden droht. Nein, Studer geht es nicht darum, einen Fall abzuschließen, Studer geht es um die Menschen ...
Charlie Huston:
Das Blut von Brooklyn
München, Heyne Taschenbuch Verlag, 2009
318 Seiten, 8.95 Euro
Andrea Camilleri:
M wie Mafia.
Reinbek, Kindler Verlag, 2009,
222 Seiten, 16.90 Euro
H�kan Nesser:
Mensch ohne Hund.
München, btb Verlag, 2009,
544 Seiten, 10.00 Euro
Jörg Fauser:
Werkausgabe.
Zürich, Diogenes Verlag, 2009,
3141 Seiten, 79.00 Euro
Jörg Fauser:
Der Schneemann.
Zürich, Diogenes Verlag, 2009,
263 Seiten, 8.90 Euro
Jörg Fauser:
Der Schneemann.
Berlin, Alexander Verlag, 2008,
264 Seiten, 19.90 Euro
Friedrich Glauser:
Wachtmeister-Studer-Romane.
Zürich, Unionsverlag , 2008
1632 Seiten, 29.90 Euro
Friedrich Glauser:
Schlumpf Erwin Mord
Zürich, Unionsverlag , 2008
251 Seiten, 7.90 Euro
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