Die Alligatorpapiere


Ulrich Kroegers Krimitipp

Die Krimikolumne
7/2010


Manotti-Schichtneu.jpg Wo viel Geld im Spiel ist, schwinden die Hemmungen. Auch Konzernbosse und Politiker pfeifen auf die Moral, wenn die Summen nur hoch genug sind, glaubt man der französischen Historikerin Dominique Manotti (Jahrgang 1942). Hintergrund ihres jüngsten Thrillers "Letzte Schicht" (Argument, Hamburg 2010, 252 Seiten, 12,90 Euro) ist die Privatisierung des Thomson-Konzerns. Dessen profitable Rüstungssparte wollte die französische Regierung 1996 der deutlich kleineren Matra-Gruppe des Multimillionärs Arnaud Lagardère zuschlagen. Das umsatzträchtige Multimediageschäft sollte hingegen an den koreanischen Importeur Daewoo verscherbelt werden � sehr zum Ärger des Mitbieters Alcatel.
Die Pläne der White-Collar-Strategen in den Glaspalästen an der Seine müssen Menschen in einem lothringischen Provinzstädtchen ausbaden. Wo einst Eisenhütten für Wohlstand sorgten, lebt Mitte der 90er Jahre eine verarmte Region von Fördermitteln der EU. Das gilt auch für die kleine Daewoo-Bildröhrenfabrik, deren Billigjobs gerade das Existenzminimum gewährleisten. Während unter katastrophalen Arbeitsbedingungen Ausschuss produziert wird, leitet das Management diskret die Subventionsgelder aus Brüssel um. Ein schwerer Arbeitsunfall bringt das Fass zum Überlaufen: Die Arbeiter besetzen das Werk, und am Ende steht ein Verkaufslager in Flammen. Keine große Sache eigentlich, stände in Paris nicht der große Deal vor dem Abschluss � skandalträchtige Schlagzeilen können Matra/Daewoo jetzt nicht brauchen. Ein Schuldiger muss her: Nourreddine, der Aufwiegler, soll gezündelt haben. Als aber der einzige Zeuge, der die wirklichen Brandstifter gesehen hat, einem als Unfall getarnten Mord zum Opfer fällt, schlägt die Stunde des Wirtschaftsdetektivs Montoya. Den haben die Alcatel-Bosse aus Paris geschickt, um die Dinge in Lothringen am Köcheln zu halten � vielleicht geht im Kampf um Thomson ja doch noch was ... Um Gier und Geld geht es also, aber auch um Selbstachtung und Solidarität. Der Roman verzichtet auf Schwarz-Weiß-Malerei, das Personal wirkt glaubwürdig. Manotti schreibt im Präsens, ihr Stil wirkt fast dokumentarisch, immer jedoch flüssig, ja geradezu elegant: Wie sie innerhalb eines Absatzes Perspektive und Erzählperson wechselt, ohne den Leser ins Stolpern zu bringen, hat einfach Klasse. Hinzu kommen schnelle Ortswechsel und eine Schnitttechnik, die dem Film entlehnt ist. Der 2006 erschienene Roman ("Lorraine Connection") hat alles, was ein guter Krimi haben muss: Spannung, Sprache, sozial-historische Authentizität. Ein Glücksfall fürs Genre, denn kompetente Wirtschaftsthriller mit einer realistisch gezeichneten Arbeitswelt sind rar.

ulrichkroeger-krimi-tipp

taibo-schatten-des-schattens.jpg Krimi als Geschichtsschreibung � das kann auch Paco Ignacio Taibo II. Der 1949 in Spanien geborene, seit 1957 in Mexiko lebende Autor lässt seinen Roman "Der Schatten des Schattens" (Assoziation A, Berlin 2010, 228 Seiten, 18 Euro, Original: "Sombra de la sombra", 1986) Anfang der 20er Jahre in der Zeit der Mexikanischen Revolution spielen: Putschisten, Banditen und Anarchisten bestimmen die Szenerie, Arbeiter kämpfen um ihre Rechte, Ölbarone für ihre Profite, es wird gebombt, geschossen und gestorben. Mitten drin vier Freunde, die sich nachts als letzte Gäste einer verräucherten Bar zum Dominospiel treffen. Ein Journalist, ein Anwalt, ein Dichter, ein Gewerkschafter � "�Strandgut, das die Brandung an die Küste gespült hatte. Sie waren keiner festen Kategorie zuzuordnen, Söhne sozialer Erschütterungen, die über sie hinweggerollt waren und bei denen sie Beobachter, Protagonisten und Opfer zugleich gewesen waren." Vier Ehrenmänner jedenfalls, etwas abseits und doch mitten im Leben stehend, denen es keine Ruhe lässt, wenn in aller Öffentlichkeit ein Mord geschieht ... Der "Schatten des Schattens" ist ein knallharter Politthriller, der sich als Räuberpistole tarnt. Anspielungsreich und verspielt, mit leicht melancholischem Grundton, aber auch voller Sarkasmus � Taibo zu lesen, ist ein einziges Vergnügen. Dass man dabei auch Grundlegendes über die Dialektik von Geld und Macht erfährt, wie sie nicht nur in Dritte-Welt-Ländern nach wie vor aktuell ist, schadet ja nicht.


ulrichkroeger-krimi-tipp


abrahams-ausradiert.jpg Nicht vorenthalten möchten wir Ihnen auch ein neues Beispiel für die Vitalität des Detektivromans. Der Privat-ermittler in Peter Abrahams� Thriller "Ausradiert" (Knaur Taschenbuch, München 2010, 447 Seiten, 8,95 Euro, Original: "Oblivion", 2005) soll einen verschwundenen Teenager wiederfinden, muss gleichzeitig aber auch einen Teil seines eigenen Lebens rekonstruieren, nachdem ein neurologisch bedingter Blackout ihn das Kurzzeitgedächtnis kostete. Das Ganze wird zum gefährlichen Puzzlespiel aus Erinnerungsfetzen und Ermittlungsergebnissen, denn der Vermisstenfall entpuppt sich nach und nach als Teil einer mörderischen Intrige. Feiner Stoff ist das, routiniert geschrieben und trotz seines Umfangs ohne Längen oder Durchhänger. Eine Liebesgeschichte und eine anrührend geze ichnete Vater-Sohn-Beziehung sind da nur i-Tüpfelchen.


ulrichkroeger-krimi-tipp


JONAHHEX2RC4CHENDECOLTS_744.jpg Bleibt noch zu vermelden, dass "Jonah Hex" weiter durch den Wilden Westen reitet. In "Rächende Colts" (Panini, Nettetal 2010, 144 Seiten, 16,95 Euro) bekommt der entstellte Kopfgeldjäger seine Zukunft vorhergesagt: �Irgendwann wird man dich ausstellen und man wird für einen Blick auf die Leiche von Jonah Hex bezahlen.� Wohl auch, weil der Racheengel in seiner Raserei gelegentlich übers Ziel hinausschießt. Der Blutzoll der superb illustrierten Episoden ist erneut sehr hoch � und dem Sadismus der Bösewichte mangelt es nicht an Perfidie und Brutalität. Keine schöne Welt ist das, jedenfalls nicht in Jonah Hex� Universum. ulrichkroeger-krimi-tipp


Manotti-Schichtneu.jpg Dominique Manotti:
Letzte Schicht.

Argument, Argument Verlag, 2010
252 Seiten, 12.90 Euro

taibo-schatten-des-schattens.jpg Paco Ignacio Taibo II:
Der Schatten des Schattens.

Berlin, Assoziation A, 2010,
228 Seiten, 18.00 Euro

abrahams-ausradiert.jpg Peter Abraham:
Ausradiert.

München, Knaur Taschenbuch, 2010,
447 Seiten, 8.95 Euro

JONAHHEX2RC4CHENDECOLTS_744.jpg Justin Gray, Jimmy Palmiotti, Luke Ross
Jonah Hex 2: Rächende Colts

Berlin, Panini Verlag, 2010,
144 Seiten, 16.95 Euro

Nach oben


Ulrich Kroegers Krimitipp
Eine Kolumne

Ein Service der Alligatorpapiere
im
NordPark Verlag
Alfred Miersch
Klingelholl 53
42281 Wuppertal
Tel.:0202/51 10 89

Kontakt






Ulrich Kroegers Krimitipps: Index
News    |   Sitemap |   Aufsätze,Interviews & Kolumnen

Ulrich Kroegers erster Krimitipp erschien erschien Anfang 2001. Damals war in Bremerhaven Kriminalliteratur – zumindest in der Zeitung – kein Thema, und niemand dachte daran, eine auf Dauer angelegte Kolumne zu etablieren. Es kam zum Glück anders. Heute erscheint Ulrich Kroegers Krimitipp einmal im Monat im Sonntagsjournal der "Nordsee-Zeitung", dessen Redaktion wir für die Genehmigung zur Veröffentlichung und Archivierung bei den Alligatorpapieren danken. Zum Konzept der Kolumne gehört, dass auf Verrisse zugunsten von Leseempfehlungen verzichtet wird. Zudem beschränken sich die Besprechungen in der Regel auf Taschenbücher und Paperbacks, einer publizistischen Tradition des Kriminalromans folgend und eingedenk der begrenzten finanziellen Spielräume vieler Leser – nicht nur in einer von Arbeitslosigkeit gebeutelten Hafen- und Industriestadt.

Der Autor, Jahrgang 1956, Studium (Politologie, Sozialwissenschaften, Geschichte) in Braunschweig und Bremen, arbeitete als Produktionshelfer, Nachhilfelehrer, Sozialarbeiter und fristet seit Mitte der 90er Jahre als freier Journalist und Redakteur sein Dasein. Er liebt die Küste, hört "WBGO Jazz88.3 FM," trinkt Scotch, spielt Mah Jongg und fiebert für Werder. Doch die meiste Freizeit verbringt er mit – na, Sie wissen schon!
kroeger-logo.gif