– Jazz & Kriminalliteratur«) für Christina Bachers neuen Krimikalender 2008 »Jazz in Crime« (Daedalus, Münster 2007, 160 Seiten, 9,95 Euro). »Jazzthethik«-Redakteur und Mitherausgeber Harald Justin (»Schwarzer Stoff, weiße Buchstaben«) stellt das Subgenre des Jazzkrimis vor, der Journalist Ralf Koss porträtiert den von uns sehr geschätzten Autor Bill Moody und Dieter Paul Rudolph von »Watching the Detectives« bemerkt die thematische Nähe von Blues/Jazz und guten Krimis: Beide sprechen »von Elenden, von Ausgestoßenen, Menschen und Situationen ohne Hoffnung. Und all den Dingen, die den Schmerz betäuben«. Dazu gibt’s unter anderem ein Interview mit Klaus Doldinger, einen Auszug aus Charles Mingus’ Autobiographie »Beneath the Underdog« und ein Billie-Holiday-Special. Alles wie immer komplettiert durch ein übersichtliches Kalendarium und einen Serviceteil mit Hinweisen zu Sekundärliteratur, Websites und Festivals.
Höchste Spannung, geschliffener Stil, psychologische Tiefe. Romane, denen diese Attribute gegeben werden können, sind selten. »Das Schweigen« (Eichborn Berlin, Frankfurt 2007, 283 Seiten, 19,95 Euro), Jan Costin Wagners vierter Kriminalroman, ragt deshalb weit aus dem Krimischaffen hierzulande heraus. Wie schon in »Eismond« (2003) erzählt der 35-jährige Frankfurter multiperspektivisch eine furchtbare Geschichte. Da ist der Polizist Antsi Ketola, der trotz Pensionierung einen unaufgeklärten Fall nicht ad acta legen kann. Den Fall eines Mädchens nämlich, das im Sommer 1974 in der Nähe von Turku vergewaltigt und ermordet wurde. Sogar das Modell des Tatorts, dass die Ermittler damals gebastelt hatten, nimmt er mit nach Hause. Dann ist da der Kripomann Kimmo Joentaa, Wagners Hauptfigur, der durch den Tod seiner Frau für die Verheerungen sensibilisiert ist, die der Verlust eines geliebten Menschen anrichten kann. Und da ist der Mittäter von einst: Timo Korvensuo, dessen Leben aus den Fugen gerät, als 33 Jahre nach dem Mord an der gleichen Landstraße erneut ein junges Mädchen verschwindet. Ein Pädophiler übrigens, der nicht als Inkarnation des Bösen geschildert wird, sondern als Mensch mit nachvollziehbaren Gedanken und Gefühlen. Wagner bietet also drei Innenansichten, durch die der Leser einem Geschehen folgt, dessen Sog er sich nicht entziehen kann. Bis zu dem überraschenden Schluss, der alle Erwartungen auf den Kopf stellt. Großartig.
Während Jan Costin Wagner schon als literarischer Star durchgeht, gilt Mechtild Borrmann noch als Nobody. Das wird sich ändern, denn ihr zweiter Krimi »Morgen ist der Tag nach gestern« (Pendragon, Bielefeld 2007, 221 Seiten, 9,90 Euro) zeigt ein außergewöhnliches Talent für anspruchsvolle Spannungsliteratur. Alles beginnt mit dem Brand einer Villa, in der später neben der Leiche des hochgeachteten Hausherrn ein noch unbekannter Toter gefunden wird. Als wäre das nicht genug, werden auf einer nicht zerstörten PC-Festplatte im Keller des Hauses kinderpornografische Bilder entdeckt. Eine Menge Arbeit also für die örtliche Polizei: Spuren werden gesichert, Zeugen befragt, Hypothesen aufgestellt – und in finsterste Abgründe hinabgeblickt. Eine zweite Geschichte erzählt von einem Vater, der verzweifelt nach seiner Tochter sucht, ein dritter Erzählstrang stellt einen Nachbarn des Toten vor, der sich äußerst seltsam benimmt. Alles hängt natürlich miteinander zusammen, läuft aufeinander zu und kulminiert in einem Finale, das es in sich hat. Die 47-jährige Bielefelderin versteht es, Situationen, Schauplätze und Gefühle der Protagonisten so zu schildern, dass vor dem geistigen Auge des Lesers ein Film abläuft, der keine Pause zulässt. Dabei genügen ihr wenige Worte, die Phantasie zum Weiterspinnen des nur Angedeuteten anzuregen. Mechtild Borrmann – ein Name, den man sich merken muss.
Eine Enttäuschung ist dagegen »Im Auftrag der Väter« (Scherz, Frankfurt 2007, 444 Seiten, 14,90 Euro), Oliver Bottinis dritter Kriminalroman mit Louise Boní. Diesmal muss die Freiburger Hauptkommissarin einen Mord an zwei Frauen, Mutter und Tochter, aufklären. Der Täter, der die Familie der Getöteten zuvor in gebrochenem Deutsch zum Verlassen ihres Eigenheims binnen einer Woche aufgefordert hatte, soll auf den Balkan geflüchtet sein. Auch das Motiv liegt zunächst im Unklaren. Die Suche nach dem Mörder konfrontiert das Polizeiteam – und den Leser – jedoch mit der komplexen historischen Problematik des multiethnischen Ex-Jugoslawiens. Es geht um individuelles und kollektives Unrecht, um Vertreibungen und den Verlust von Heimat, um Krieg und Kriegsverbrechen. Ein Umfeld eben, in dem die archaischen Kategorien von Schuld und Sühne naheliegen … Dass der gerade erst mit dem Radio-Bremen-Krimipreis ausgezeichnete Autor seine Romane gern mit politischem Background ausstattet, haben wir bislang durchaus goutiert. Das neue Buch hat Bottini jedoch mit Abschweifungen überfrachtet auf Kosten des Spannungsbogens. Das ist am Ende einfach ärgerlich – gerade weil wir wissen, dass der Autor es so viel besser kann.
Zum – wieder guten – Schluss unser Tipp für alle, die harten, schmutzigen Stoff bevorzugen: Greifen Sie doch einfach zu Rick DeMarinis' »Kaputt in El Paso« (Pulp Master, Berlin 2007, 342 Seiten, 13,80 Euro). Ecce Uriah Walkinghorse, Ex-Mathelehrer und gealterter Bodybuilder, der nun Klos schrubbt. Auf der Flucht vor Armut und Langeweile heuert er als »Henker« in einem SM-Studio an, doch von da an geht alles schief ... »Sollte unsere Zivilisation eines Tages in die Höhlen zurückkehren müssen, kann sich niemand beklagen, man hätte uns nicht gewarnt. Rick de Marinis hat es (...) zumindest versucht«, verheißt der Klappentext. Und das ist nicht zu viel versprochen.
Bacher, Christina/Justin, Harald:
Jazz in Crime.
Krimikalender für 2008
Münster, Daedalus Verlag, 2007
160 Seiten, 9.95 Euro
Jan Costin Wagner:
Das Schweigen
Frankfurt, Eichborn Berlin, 2007,
283 Seiten, 19.95 Euro
Mechtild Borrmann:
Morgen ist der Tag nach gestern.
Bielefeld, Pendragon Verlag, 2007,
221 Seiten, 9.90 Euro
Oliver Bottini:
Im Auftrag der Väter
Frankfurt, Scherz Verlag, 2007,
444 Seiten, 14.90 Euro
Rick DeMarini:
Kaputt in El Paso
Berlin, Pulp Master, 2007,
342 Seiten, 13.80 Euro
Ulrich Kroegers Krimitipp
Eine Kolumne
Ein Service der Alligatorpapiere
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