Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
2/2009
So ändern sich die Zeiten. Suhrkamp, jahrzehntelang Deutschlands wichtigste Verlagsadresse für geistes- wissenschaftliche Seminarlektüre, lanciert im Mai eine
Krimireihe. Ob die Programmerweiterung der Liebe zum Genre oder dem Willen zum Geldverdienen zu verdanken ist, soll uns egal sein. Denn der vom Verlag vorab zur Verfügung gestellte Band mit Leseproben aus den ersten sechs Romanen ("Am Anfang war der Mord") lässt hoffen, dass uns feiner Lesestoff erwartet.
Alle Autoren (Christian Dorph und Simon Pasternak, Kathryn Miller Haines, Don Winslow, Maurizio de Giovanni, Rosa Ribas, Adrian Hyland) haben in Deutschland bislang noch nicht veröffentlicht, die meisten waren uns noch nicht mal dem Namen nach bekannt. Man darf also gespannt sein, ob der auf Anspruchsliteratur abonnierte Verlag auch in diesem Fall aufs Niveau achtet. In jedem Fall ist Suhrkamps Krimiprojekt ein weiteres Zeichen dafür, dass die hierzulande ehedem unüberschreitbare Demarkationslinie zwischen U- und E-Literatur der Vergangenheit angehört.
Was mit der Ächtung des Kriminalromans durchs Feuilleton angerichtet wurde, lässt sich am Schicksal einer vergessenen Autorin wie Emilie Heinrichs (1823 � 1901) ermessen. Ihr 1866 erstmals erschienener Roman "Leibrenten" (Edition Köln, Köln 2008, 409 Seiten, 13,90 Euro) eröffnet die von Dieter Paul Rudolph (
www.alte-krimis.de) herausgegebene "Criminalbibliothek 1850 � 1933", die mit zehn Bänden verschollener deutscher Kriminalliteratur mögliche Traditionsbezüge aufzeigt.
Wie der "Roman aus der Gegenwart" die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit aufs Korn nimmt, nötigt nicht nur Respekt ab, sondern wirkt in seinem emanzipatorischen Impetus zeitlos modern. Daran ändert auch der zeitbedingte Sprachduktus nichts. Das Erzähltempo ist hoch, und die Autorin versteht die Kunst der Charakterzeichnung: Alle Figuren wirken glaubhaft � in ihrer Naivität, in ihrer Verkommenheit, in ihrer Widersprüchlichkeit. Betrug, Korruption, Mord � das Verbrechen ist bei Heinrichs weniger moralischer Fehltritt als Begleiterscheinung des herrschenden Systems. Insofern gibt es am Ende auch keine Sühne: Die Verhältnisse, sie waren schon damals nicht so.
Im Vergleich zu Heinrichs� desillusionierter Weltsicht wirken "Die Foldex-Krimis" (Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2008, 393 Seiten, 10 Euro) von Simon Schott geradezu altmodisch � wenn auch auf liebenswerte Art. Immerhin schuf der 1917 geborene Barpianist, der im Paris der 50er Jahre am Steinway von Harry�s New York Bar für Hemingway, Simenon, Sartre und Coco Chanel spielte, eine ganz eigene, mit Versatzstücken der eigenen Biografie angereicherte Variante des hartgesottenen Privatdetektivs. Dieser Nick Foldex ist einfach wunderbar, ein einsamer Wolf mit weichem Herzen und harter Faust, einer Schlägervisage und einer Schwäche für schöne Frauen, und stets für ein Gläschen Calvados zu haben. Eindeutig eine Figur jener Jahre, in denen man zum Telefonieren noch eine Zelle suchen musste, dafür aber auch überall rauchen durfte � selbst wenn Schott die drei in diesem Band zusammengefassten Romane ("Foldex und die Terroristen", "Foldex und der Mann von Salzburg", "Foldex und der tote Schulfreund") oberflächlich dem Handy- und Computerzeitalter angepasst hat. Humorvoll und charmant, ein Lektüretipp für Romantiker.
Dass insgeheim auch Charlie Resnick ein Romantiker ist, dafür gibt es Hinweise: Der Mann liebt Jazz, ist ein Katzennarr und kleidet sich nachlässig. Nach einem Intermezzo 1993 bei Goldmann dürfen wir nun erneut seine Bekanntschaft machen. Bei dtv ist nämlich "Verführung zum Tod" (München 2009, 393 Seiten, 8,95 Euro), der erste Band (Original: "Lonely Hearts", 1989) von John Harvey (Jahrgang 1938) in Großbritannien sehr erfolgreicher Resnick-Serie, gerade zum zweiten Mal auf Deutsch erschienen. Der Nottinghamer Detective Inspector ist ein erfahrener Polizist, der bei seinem literarischen Debüt mit einem Frauenmord konfrontiert wird. Der von der Toten zuvor abgewiesene Verlobte wird schnell als Hauptverdächtiger zur Fahndung ausgeschrieben. Vorschnell, wie sich bald herausstellt ...
Der 2007 von der Crime Writers' Association für sein Lebenswerk mit dem Diamond Dagger Award ausgezeichnete Autor schreibt ganz in der Tradition des modernen, realistischen Kriminalromans, wie er auf der Insel gepflegt wird. Sehr empfehlenswert.
Kein Krimi, aber genauso empfehlenswert wie Harveys Buch ist "Der Teufelskeiler" (Shayol, Berlin 2008, 141 Seiten, 12,90 Euro) des Thriller- und Horrorautors Joe R. Lansdale. Seine packende, auch als Jugendbuch geeignete Abenteuergeschichte (Original: "The Boar", 1998) hat der 1951 geborene Amerikaner in der Zeit der großen Depression und in der von Flüssen und Auwäldern geprägten Wildnis von Osttexas angesiedelt. Dort treibt ein riesiges Wildschwein namens "Old Satan" sein Unwesen, ein Ungeheuer wie aus einer bösen Fabelwelt entsprungen, dem die hilflosen Menschen dämonische Züge andichten. Das Untier zerstört Maisfelder, tötet Jagdhunde und wird selbst für die am Existenzminimum lebenden Menschen auf den einsam gelegenen Farmen zur Gefahr. Der 15-jährige Richard und sein gleichaltriger Freund machen sich auf, den "Teufelskeiler" zur Strecke zu bringen, und jedem ist klar, dass das nur eine Jagd auf Leben und Tod sein kann ...
Eine großartige Novelle, deren Sog Lansdale durch die eng geführte Ich-Erzählperspektive Richards erzeugt, mit dem sich der Leser schon lange vor Beginn der gefährlichen Expedition identifiziert. Ein Meisterwerk � ideal zum Vorlesen am Lagerfeuer.
Emilie Heinrichs:
Leibrenten.
Köln, Edition Köln, 2008,
409 Seiten, 13.90 Euro
Simon Schott:
Die Nick-Foldex-Krimis.
Frankfurt, Fischer Taschenbuchverlag, 2008
393 Seiten, 10.00 Euro
John Harvey:
Verführung zum Tod
München, dtv, 2009
393 Seiten, 8.95 Euro
Joe R. Lansdale:
Der Teufelskeiler.
Berlin, Shayol Verlag, 2008,
141 Seiten, 12.90 Euro
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