Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
1/2010
Die Fußball-WM am Kap spült eine neue Krimiwelle auf die Buchladentische. Nach Serienkillerboom und Skandinavien-Hype nun also Afrika, und wie immer bei Modetrends kommt so mancher Titel ins Regal, der verzichtbar wäre. Was zum Glück ganz und gar nicht für
D.B. Blettenbergs "Land der guten Hoffnung" (Pendragon, Bielefeld 2010, 287 Seiten, 10,95 Euro) gilt. Blettenberg (Jahrgang 1949), der als Entwicklungshelfer lange Jahre den Trikont bereiste und heute in Berlin lebt, schickt einen Privatdetektiv namens Tempow ans Kap. Sein Auftrag lautet, Kidnapper zu finden, die vor Jahren eine deutsche Industriellentochter nach Zahlung eines Lösegelds freiließen, aber nie gefasst wurden. Bald wird klar: Nicht nur Tempow verfolgt die Kidnapper, auch das ehemalige Entführungsopfer heftet sich an seine Fersen. Natürlich ist nichts so, wie es zunächst aussieht, und die Suche nach den Verbrechern wird bald zu einer Reise in die Vergangenheit, die in Südafrika wohl auf besondere Weise mit der Gegenwart verwoben ist. Dabei geht es Blettenberg nicht um vordergründigen Thrill, doch die Geschichte, die er erzählt, gräbt sich dem Gedächtnis des Lesers ein. Die Wunden jedenfalls, die die Apartheid dem Land zufügte, sind noch lange nicht geheilt. Das sollten auch Fußballfans wissen.
Für Fußball interessiert sich Johann Natter nicht, der Dorfgendarm hat�s eher mit dem Boxen. Das hilft ihm aber auch nicht weiter, als er nach einem Verkehrsunfall eine sterbende Kuh von ihrem Leiden erlösen soll. Ganze drei Mal muss er dafür aus seiner Glock feuern � und ein zufällig anwesender Reporter der Lokalzeitung kann am nächsten Tag über den "glücklosen Cowboy Joe" spotten. Natter trägt's mit Fassung, immerhin wird er trotz seines Missgeschicks zur Kripo nach Bregenz versetzt. Dort darf er nun nicht nur gegen richtig schwere Jungs im Rotlichtmilieu ermitteln, er muss sich auch gleichzeitig mit fiesen Arschlöchern in den eigenen Reihen auseinandersetzen ... Der 1994 erstmals erschienene, nun neu aufgelegte Krimi "Cowboy Joe" (Haymon Taschenbuch, Innsbruck 2009, 214 Seiten, 9,95 Euro) des Österreichers
Kurt Bracharz (Jahrgang 1947) erinnert mit seinem derben Humor an die Wolf-Haas-Verfilmungen mit Josef Hader. Feine Sache, glauben Sie mir!
Das kriminalliterarische Ereignis der vergangenen Wochen war die Deutschlandreise
James Ellroys. Der kalifornische Exzentriker, der sich seinem Auditorium gern in genialischer Pose präsentiert, las aus seinem im vergangenen Jahr erschienenen Roman "Blood's a Rover". "Blut will fließen" (Ullstein, Berlin 2009, 783 Seiten, 24,90 Euro) ist der Abschluss der sogenannten Underworld-USA-Trilogie. Die vorhergehenden Bände "Ein amerikanischer Thriller" ("American Tabloid", 1995) über die Jahre 1958 bis 1963 und �Ein amerikanischer Albtraum� ("The Cold Six Thousand", 2001) über den Zeitraum 1963 bis 1968 liegen beide bei Ullstein als Taschenbuch (768 beziehungsweise 848 Seiten, jeweils 10,95 Euro) vor. Nun lässt der 1948 in Los Angeles geborene Autor, der seine Bücher eher als historische Literatur denn als Kriminalromane begreift, die Jahre bis zum Mai 1972 folgen. Nach dem drogenfinanzierten Überfall auf Kuba und den Morden an John F. Kennedy und Martin Luther King stellt jetzt die Diskreditierung der militanten Black-Power-Bewegung die Schnittstelle dar, an der sich die Interessen von Mafia, Ku-Klux-Klan, rechtsextremen Cops, FBI-Chef J. Edgar Hoover, US-Präsident "Tricky Dick" Nixon und dem irren Milliardär Howard Hughes kreuzen. In dieses historische Tableau bettet Ellroy einen hochkomplex konstruierten Plot, der 1968 mit einem mysteriösen Überfall auf einen Werttransporter in L.A. beginnt: Der maskierte, unerkannt bleibende Täter entkommt nicht nur mit millionenschwerer Beute, sondern erschießt zuvor auch noch seine Komplizen. Die Jagd nach Täter und Beute wird zum Lebensinhalt zweier LAPD-Cops, der eine weißer Karrierebeamter und Rassist, der andere schwarzer Undercoverbulle und schwul. "Biblische Wahrheitstreue mit Skandalblatt-Inhalt" verspricht der fiktive Erzähler zu Beginn des monumentalen Romans: "Eine Zusammenstellung, die es in sich hat." Wohl wahr: Kaum ein Autor, der seine Leser mehr fordert, desillusioniert und verstört als Ellroy. Sein beinahe labyrinthisches Handlungsgeflecht mit unablässig wechselnden Perspektiven und fiktiven Dokumenteneinschüben, die ständig wechselnden Schauplätze zwischen Washington/Vegas/L.A., Vietnam/Laos und Domrep/Haiti, seine Härte im Stil und Drastik im Ausdruck, vor allem aber die kalte Denunziation gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen Macht/Geld/Luxus nicht von Mord/Folter/Vergewaltigung und Blut/Kotze/Pisse zu trennen sind, machen "Blut will fließen" zum paradigmatischen Gesellschaftsroman des 21. Jahrhunderts. Lesen!
Mit
Jim Nisbets (Jahrgang 1947) "Dark Companion" (2006), jetzt bei Pulp Master (Berlin 2010, 191 Seiten, 12,80 Euro) als "Dunkler Gefährte" erschienen, bleiben wir an der amerikanischen Westküste, deren strahlende Sonne bei oberflächlichem Hinschauen leicht die brutale Destruktivität des kapitalistischen Alltags vergessen machen könnte. Auch die Fassade von Banerjhee Rolfs schmuckem Eigenheim täuscht: Der indischstämmige Wissenschaftler ist gerade entlassen worden, weil sein Biotech-Arbeitgeber mehr Profit durch weniger Personal anstrebt. Umso mehr fuchst es den im Grunde sanftmütigen Familienvater, dass sein wahrscheinlich mit Drogen dealender Nachbar mit dickem BMW, nächtelangen Partys und schlechten Manieren, aber ganz bestimmt ohne Arbeit sich�s gut gehen lässt. Doch das sieht natürlich nur so aus ... "Dunkler Gefährte" ist ein kleines Noir-Juwel, das in einer nur mit kaum wahrnehmbaren Schönheitsfehlern getupften Idylle beginnt, dann langsam immer mehr Fahrt aufnimmt, um schließlich in einem fulminanten Finale zu enden. Natürlich ohne Happy End � und deshalb wahr.
D.B. Blettenberg:
Land der guten Hoffnung.
Bielefeld, Pendragon Verlag, 2010,
287 Seiten, 10.95 Euro
Kurt Bracharz:
Cowboy Joe.
Innsbruck, Haymon Verlag, 2009
214 Seiten, 9.95 Euro
James Ellroy:
Blut will fließen.
Berlin, Ullstein Verlag, 2010,
783 Seiten, 24.90 Euro
Jim Nisbet:
Dunkler Gefährte
Berlin , Pulp Master, 2010,
191 Seiten, 12.80 Euro
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