Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
12/2008
Sicher. Nun ist schon der zweite "Bremerhaven-Krimi" ("Die Leiche im Hafen", Schardt, Oldenburg 2008, 160 Seiten, 12,80 Euro) von Volker Heigenmooser erschienen. Aber das bedeutet ja nicht, dass dieses Büchlein im Krimitipp abgehandelt werden muss. "Zum Konzept der Kolumne gehört, dass auf Verrisse zugunsten von Leseempfehlungen verzichtet wird", heißt es dazu auf der Krimitipp-Seite bei den (
Alligatorpapieren). Dabei soll es auch bleiben. Nur so viel: Wer beim Lesen partout in behäbigem Lokalkolorit baden muss, soll sich Heigenmooser reinziehen, wer gerne gut geschriebene Krimis liest, sollte es lassen.
Bevor wir zu den Krimihighlights des Monats Dezember kommen, beginnen wir ausnahmsweise mit einem TV-Tipp. Am 12., 19. und 26. Januar jeweils um 21 Uhr zeigt das Erste die dreiteilige Dokumentation "Wenn Frauen morden". Fachberater der Reihe ist der 1964 geborene Kriminalhauptkommissar Stephan Harbort, der sich als Serienmordexperte und Autor einen Namen gemacht hat. Zur Vorbereitung sei Harborts Buch "Wenn Frauen morden. Spektakuläre Fälle � vom Gattenmord bis zur Serientötung" (Eichborn, Frankfurt 2008, 207 Seiten, 16,95 Euro) empfohlen. Darin porträtiert der in Düsseldorf lebende Fahndungsexperte Mörderinnen wie die 1993 zu zweimal lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilte Altenpflegerin Brigitte Krolzig, die innerhalb weniger Jahre 17 alte Menschen umbrachte, um sich an ihren Opfern zu bereichern. Harbort verweist auf den im Vergleich zu männlichen Tätern deutlich höheren Aufmerksamkeitsgrad, den Mörderinnen auf sich ziehen � Folge eines immer noch wirkungsmächtigen Tabubruchs ("Frauen töten nicht, Frauen schenken Leben"). Deshalb lässt sich Harborts Buch auch als Versuch der Entdämonisierung lesen, weil gesellschaftlicher Kontext, die Vorgeschichte der jeweiligen Taten und geschlechtsspezifische Abweichungen in den Fokus geraten. "Männer üben Dominanz aus, Frauen indes wollen sich oftmals aus männlicher Beherrschung befreien", brachte Harbort in einem dpa-Interview den wohl bedeutsamsten Unterschied auf den Punkt.
Ein zweiter Kriminalhauptkommissar ist uns als Autor der "derzeit besten Polizeiromane in Deutschland" schon seit einigen Jahren ein Begriff: Norbert Horst. Nun hat der 1956 in Bad Oeynhausen geborene Glauser- (2004) und Krimipreisträger (2006) auf "Leichensache", "Todesmuster" und "Blutskizzen" den vierten Roman um KHK Konstantin Kirchenberg ("Sterbezeit", Goldmann Taschenbuch, München 2008, 282 Seiten, 7,95 Euro) folgen lassen. Ein brillantes Buch, das ohne schrille Effekte auskommt und auf ganz unaufgeregte Art und Weise authentische Polizeiarbeit zeigt. Zu tun gibt es genug: Ein junger Junkie hat sich im Elternhaus den letzten Schuss gesetzt, ein alter Mann sitzt am Bett seiner toten Frau, und dann werden auch noch die Knochen von zwei abgetrennten Händen bei Ausschachtungsarbeiten im Keller eines älteren Einfamilienhauses gefunden. Was als professionelle Routine beginnt, wird nach und nach zu einer immer packenderen Cold-Case-Recherche: Die Tat liegt zwar schon Jahrzehnte zurück, aber dennoch gelingt es dem erfahrenen Kripomann und seinem Team, Spuren zu finden, die sie schließlich zu dem zugehörigen Körper und zur Lösung des Falles führen. Im gleichen Atemzug enthüllt Horst aber Zug um Zug ein furchtbares Familiendrama, dessen ganze Dimension der Leser erst ganz am Schluss bereit ist zu akzeptieren. Das ist unglaublich, unglaublich realistisch � und hochspannend. Kurz: Krimistoff vom Feinsten.
Zum Schluss gibt es eine Premiere zu annoncieren: Wir haben einen veritablen Bestseller gelesen � und sind begeistert. Die Rede ist von John le Carrés neuem Roman "Marionetten" (Ullstein, Berlin 2008, 366 Seiten, 22,90 Euro). Der Brite erzählt auf gewohnt souveräne Weise die Geschichte eines weltfremden muslimischen Flüchtlings, der sich von Tschetschenien bis nach Hamburg durchgeschlagen hat, weil er hier eine neue Lebensperspektive zu finden hofft. Issa ist eine "verlorene Seele", Sohn eines von einem russischen Offizier vergewaltigten Mädchens, das später umgebracht wurde. Nach einer Odyssee durch russische und türkische Foltergefängnisse kommt er entkräftet und fast irre an der Elbe an � sein letzter Halt ist der Extremismus der Koran-Schüler. Nun will er die Millionenerbschaft seines kriminellen Vaters wohltätigen Zwecken der Umma, der muslimischen Weltgemeinschaft, spenden.
Doch wir befinden uns in der aufgepeitschten Atmosphäre der Post-9/11-Ära, es herrscht "Krieg gegen den Terror", und die Behörden wetteifern darin, Erfolgsmeldungen zu produzieren. Da wird nicht groß unterschieden zwischen Mitläufern und Drahtziehern, Opfern und Tätern. Mitgefangen, mitgehangen, lautet die Devise. Hauptsache, die Aktion bringt gute Schlagzeilen ... Le Carré, der große alte Mann des Spionagethrillers, ist zornig � und diesem Zorn haben wir es wohl zu verdanken, dass der 1931 in Dorset im Südwesten Englands geborene Autor nach etlichen Romanen, die sich mal diesem, mal jenem globalen Konfliktherd widmeten, wieder zu seinem eigentlichen Thema zurückgekehrt ist � der Welt der Agenten und Spione. Der Zynismus der US-Dienste und ihrer englischen "Pudel" habe in der Konfrontation mit dem islamistischen Terrorismus eine neue Qualität erreicht, lautet le Carrés wütende Botschaft. Und deutsche Dienststellen stellten willig das Territorium zur Verfügung oder gäben die depperten Handlanger. Aktuell, politisch, spannend � le Carré at his best.
Volker Heigenmooser:
Die Leiche im Hafen
Oldenburg , Schardt Verlag, 2008
160 Seiten, 12.80 Euro
Stephan Harbort:
Wenn Frauen morden.
Frankfurt, Eichborn Verlag, 2008
207 Seiten, 16.95 Euro
Norbert Horst:
Sterbezeit
München, Goldmann Taschenbuch Verlag, 2008
282 Seiten, 7.95 Euro
John le Carré:
Marionetten.
Berlin, Ullstein Verlag, 2008,
366 Seiten, 22.90 Euro
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