Ulrich Kroegers Krimitipp
Die Krimikolumne
12/2009
Christophe Leibowitz studierte Jura, um seinen Traum zu verwirklichen "von einer kleinen gemütlichen Wohnung, von Mädchen, die ich mir darin genehmigen werde, von der Kohle, die ich verdienen, von dem Schlitten, den ich mir leisten werde". Jahre später sitzt der Winkeladvokat in einem Pariser Knast, und im Bett über ihm schnarcht ein albanischer Lude. Opfer einer Intrige ebenso wie seiner eigenen Dummheit, sinnt Leibowitz nun auf Rache. Hannelore Cayres (Jahrgang 1963) jetzt als Taschenbuch vorliegender Roman "Der Lumpenadvokat" (Unionsverlag, Zürich 2009, 153 Seiten, 8,90 Euro, Original: "Commis d'office", 2003) ist ein ganz spezieller Justizthriller: leicht, witzig, bissig - ein Schelmenroman à la fran�aise.
Gäbe es einen Preis für beste Einstiege, Warren Ellis (Jahrgang 1968) wäre ein Kandidat. Der britische Comicautor ("Transmetropolitan") macht auf Anhieb klar, womit Leser von "Gott schütze Amerika" (Heyne Tb., München 2009, 302 Seiten, 7,95 Euro, Original: "Crooked Little Vein", New York 2007) zu rechnen haben: "Ich schlug die Augen auf und sah, wie die Ratte in meinen Kaffeebecher pisste. Ein riesengroßes, braunes Mistvieh mit dem Körper einer Kackwurst auf Beinen und schwarz glänzenden Augen, aus denen geheimes Rattenwissen sprach." Das "Ich", das hier erzählt, ist ein Gossenschnüffler, der fürs Weiße Haus zur moralischen Rettung des Landes eine "Geheime Verfassung" suchen soll und dafür einen Trip durch verschiedenste Perversenmilieus antritt. "Wir brauchen niemanden, der an den Beckenrand kriecht und nach Klostein und Spülung verlangt. Wir brauchen jemanden, der durch die Kacke paddelt", sagte der Stabschef des Präsidenten. Bei Makroherpetophilen ("Leute, die Godzilla ficken wollen") etwa, bei Schwulen mit Dauererektion dank Salzwasserinjektion oder auch bei Transsexuellen mit Brüsten aus Baumarktsilikon. Wer's genauer wissen will, Ellis liefert auf
www.warrenellis.com die Internetlinks.
Verlassen wir die Freakshow und widmen wir uns Frank Macchianno. Einem Mann, wie er normaler nicht sein könnte, rührend besorgt um Ex-Frau, Tochter und Freundin, allseits geachtet und als Fischhändler und Angelladenbesitzer nicht mal unbemittelt. Doch Frank ist ein Mann mit Vergangenheit: Als "Frankie Machine" (Suhrkamp Tb., Frankfurt 2009, 364 Seiten, 8,95 Euro, Original: "The Winter of Frankie Machine", New York 2006) war der Hobbysurfer einst Mafiakiller. Und diese Vergangenheit holt ihn jetzt ein: Die Bitte des Mobsterbosses von San Diego, im Konflikt mit der Detroiter Familie zu vermitteln, stellt sich als Falle heraus, der Frank nur knapp entkommt - doch wer steckt hinter dem Mordanschlag? Höchste Zeit für Frankie Machine, sein früheres Leben zu rekapitulieren und altes Können zu reaktivieren � Winslow ("Pacific Private") fächert nicht nur vier Jahrzehnte Mafiageschichte auf, er zeigt auch, was vom Patenmythos übrig geblieben ist. Ein Roman wie gemacht für eine Verfilmung - Martin Scorsese ist im Gespräch.
"Bei dem Zweisitzer, der am Neujahrsmorgen kurz nach fünf Uhr mit mehr als 82 Meilen pro Stunde durch Malibu raste, handelte es sich um einen fast neuen Mercedes 500 SL", beginnt "Voodoo, Ltd." (Alexander, Berlin 2009, 357 Seiten, 14,90 Euro). Und genauso schnell, wie die von achtzigprozentigem Smirnoff-Wodka benebelte Hollywood-Diva Ione Gamble sich ihrem Filmriss nähert, so rasant spult Altmeister Ross Thomas (1926 - 1995) im dritten und letzten, 1992 erschienenen Roman der Wu/Durant-Trilogie ("Umweg zur Hölle", "Am Rand der Welt", siehe Krimitipps 6/2008 und 3/2009) eine aberwitzige Story ab: Während die USA den ersten Irakkrieg vom Zaun brechen, wird im sonnigen Kalifornien ein Filmproduzent ermordet, und die mit ihm liierte Schauspielerin sagt unter Hypnose möglicherweise dumme Dinge - wird sie nun erpresst? Man weiß es nicht, doch in jedem Fall winkt ein klassischer Einsatz für die Firma des aus der Zeit gefallenen Ex-Agentenduos Wu/Durant. "Hast du dich jemals für einen Anachronismus gehalten?", fragt Wu seinen Kompagnon einmal. "Nein", antwortet der, "aber es gibt Tage, an denen komme ich mir schon ein bisschen verschroben vor." "Ja, solche Tage hab' ich auch." Genau deshalb aber und wegen seines Funken schlagenden Stils genießt der Ironiker Ross Thomas bei Kennern Kultstatus.
Eine ähnliche Wertschätzung könnten Liebhaber eines Tages den von Sean Phillips gezeichneten Noircomics der "Criminal"-Serie ("Feigling", "Blutsbande", "Grabgesang") von Ed Brubaker (Jahrgang 1966) entgegenbringen, die mit "Obsession" (Panini, Nettetal 2009, 124 Seiten, 16,95 Euro) jetzt zum Abschluss gekommen ist. Statt Verbrechern steht dieses Mal ein unscheinbarer Comiczeichner im Mittelpunkt, der seine Frau bei einem mysteriösen Verkehrsunfall verlor, deshalb von der Polizei des Mordes verdächtigt und von seinem Schwiegervater zum Krüppel geschlagen wurde. Von Schlaflosigkeit gepeinigt, streift er nachts durch die Stadt und trifft in einem Diner ein merkwürdiges Pärchen, er klassischer Schlägertyp, sie Femme fatale - das Verhängnis beginnt � Eine düstere Story, großartig geplottet und gespickt mit überraschenden Twists, dazu mit allen Ingredienzien gewürzt, die das Genre reizvoll machen. Brubaker sei ein Genie, sagt Ken Bruen ("Jack Taylor fliegt raus"), und der Mann hat verdammt noch mal recht.
Hannelore Cayre:
Der Lumpenadvokat.
Zürich, Unionsverlag, 2009,
153 Seiten, 8.90 Euro
Warren Ellis:
Gott schütze Amerika.
München , Heyne Tb-Verlag, 2009
302 Seiten, 7.95 Euro
Don Winslow:
Frankie Machine.
Frankfurt, Suhrkamp Verlag, 2009,
364 Seiten, 8.95 Euro
Ross Thomas:
Voodoo, Ltd.
Berlin, Alexander Verlag, 2009,
357 Seiten, 14.90 Euro
Ed Brubaker/Sean Phillips:
Obsession.
Nettetal, Panini Verlag, 2009,
124 Seiten, 16.95 Euro
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