Zielfahndung.
Stefan Lichtblaus sehr persönliche Betrachtungen eines Genres.
Ein großer Teil der besten amerikanischen Krimiautoren ist bekanntlich aus den sogenannten Pulps, den Groschenheften, hervorgegangen. das hat seine Gründe. Nach dem etwas abgewandelten Motto "Der Markt bestimmt das Bewußtsein" könnte man auch sagen, daß die Absatzmöglichkeit die literarische Form bestimmt. Es gab für Autoren jene gute Möglichkeit, eben mit Pulps Geld zu verdienen, als Autor zu arbeiten und Leute zu unterhalten. So etwas wurde gelesen, etwas, was viel stärker zum Selbstverständnis amerikanischer als deutscher Autoren gehört: man will gelesen werden, vom Menschen auf der Straße, nicht vom Kulturjournalisten. Der Trick und die Leistung ist, wenn man über die Vision verfügt, etwas vermitteln zu wollen, im jeweiligen Genre seine Idee so zu verarbeiten, daß der Anspruch des Lesers auf Unterhaltung erfüllt wird.
Kaum noch jemand schreibt heute kurze Geschichten, weil sie kaum zu verkaufen sind. Der Leser unserer Zeit will Romane, also werden Romane geschrieben. Als äußerst erfolgreich hat sich die Kriminalliteratur entwickelt, was zu einem verstärkten Aufkommen von Krimiautoren, Krimiverlagen und Krimigattungen geführt hat. Der kürzeste Weg, heute als Krimiautor einen Roman verlegt zu bekommen, führt in die Verlage von Regionalkrimis, zu denen eigentlich auch "grafit" gehört, obwohl man sich dort in diesem Bereich nicht gern eingeordnet sieht. Tatsächlich funktioniert das Absatzsystem bei "Grafit" aber ähnlich, wie bei Regionalverlagen wie Emons, kbv, Gmeiner oder Leda. Nur hat "grafit" von vornherein zwar auch auf die regionale Absatzschiene gesetzt, aber zugleich auch bundesweit agiert – ein Konzept, das aufgegangen ist: Berndorf, Eckert, Leenders/Bay/Leenders sind bundesweite Renner (mit der Programmerweiterung auf internationale Autoren hat sich der grafit Verlag endgültig überregional aufgestellt). Und es ersparte doppelte Arbeit, die z. B. Emons betreibt. Dort werden Titel, von denen man sich bundesweite Verkaufsmöglichkeiten verspricht,zusätzlich ohne Bezeichnungen wie "Köln-Krimi" etc. gedruckt und anders beworben.
Eine regional verortete Geschichte läßt sich naturgemäß im regionalen Umfeld bestens in die Verwertungskette bringen: lokale Buchhändler, lokale Medien und die dort lebenden Menschen werden sich um diesen Titel bemühen, der in ihrer Region spielt und sorgen somit im Mix aus Mund-, Radio-, Lokalfernseh- und Lokalzeitungsteilpropaganda, gewürzt mit Lesungen und anderen Aktionen für teilweise höhere Auflagen, als so mancher Großverlag mit seinen Krimiveröffentlichungen erreichen kann, speziell, wenn es sich um noch nicht bekannte Autoren oder Erstveröffentlichungen handelt.
Daß sich hinter Literatur für eine Region auch oft provinzielle Literatur verbirgt ist keine Frage. Überraschend ist eher, daß sich in diesem Angebot mehr literarische Potenz verbirgt, als so mancher annehmen mag. Was zu einer verwegenen These führen kann: Wenn sich in der Frühzeit der amerikanischen Kriminalliteratur unter den vielen grottenschlechten Pulpautoren einige herausragende, wegweisende Kriminalschriftsteller haben finden lassen, was spricht dagegen, daß sich unter den unzähligen weniger guten Regionalkrimis nicht einige hervorragende Autoren der Zukunft bewegen?
Nun muß man nicht unbedingt Frank Schätzing heranziehen, der sich nach seinen Köln-Krimis im "Emons Verlag" mit dem international angelegten Roman "Der Schwarm" zu einem grandiosen Bestsellerautor entwickelt hat (unterstützt durch einen finanziell wesentlich potenteren Kölner Verlag wie Kiepenheuer & Witsch). Es gibt ja auch das gegenteilige Beispiel, daß sich ein national bekannter, sogar verfilmter Krimiautor wie Norbert Klugmann scheinbar entnervt vom Verwertungsgebaren größerer Verlage zu einem Regionalkrimiverlag zurückzieht, um in kleinerem Rahmen mit lokal angelegten Geschichten ruhig und gleichmäßig seine Bahnen ziehen zu können (Gmeiner Verlag). Woran sich dann die Überlegung anschließt, ob sich ein interessanter Krimiautor unbedingt aus dem Regionalkrimi verabschieden sollte, um ein großer Krimiautor sein zu können. Und da sind wir schon im Haifischbecken der Diskussion. Was ist eigentlich ein Regionalkrimi, bzw. wieso hat die Bezeichnung einen so negativen Beiklang?
In seinem Gespräch mit Robert B. Parker stellte unter anderem die Frage, ob der Regionalismus auf dem Umweg über die Detektivliteratur wieder Einzug in die amerikanische Literatur gehalten habe. Eine Frage, vor knapp 20 Jahren gestellt, die Parker anmerken läßt, daß seine Art der Genreliteratur in einem sehr harten, körnigen, echten, milieugetreuen Realismus verankert sein müsse, was zwangsläufig zum Regionalismus führe, weil die Hauptperson mit einem so festen Gewebe von Glaubwürdigkeit umgeben sein müsse, damit man an seiner leichten Überlebensgröße keinen Anstoß nehme. Das habe Chandler gemacht, Hammett weniger. Chandler sei derjenige gewesen, der dem Genre Südkalifornien als Schauplatz zugewiesen habe. (John C. Carr: Mord ist ihr Geschäft (The craft of crime). Ullstein Verlag, 1986)
Sicher, viel Wasser ist seither auf Boston und Parker und seinen Helden Spenser herabgeregnet und viele Entwicklungen hat die Literatur seitdem durchgemacht, die jene Frage in Amerika heute niemanden mehr stellen läßt.
Aber wie ist es bei uns? Die Diskussion um die Regionalkrimiliteratur ist inzwischen stärker, als die alte Frage, ob Kriminalliteratur "richtige" Literatur sein könne. Und die wird inzwischen ja gern damit beantwortet, daß es eigentlich nur gute oder schlechte Bücher gäbe. Was sich so ja auch über Regionalkrimis sagen ließe. Oder anders gesagt: es gibt unter den sogenannten Regionalkrimiautoren eine Menge solider Handwerker, die keinen Schritt über die Grenzen dieser Gattung machen wollen oder können, die genau das erfüllen, was ihre Leser von ihnen erwarten, und das oft mit einem oder zwei Büchern jährlich. Und es gibt auch viele, die sowohl handwerklich, als auch in der Konstruktion ihrer Bücher stark limitiert sind. Aber es gibt auch einige wirklich gute Schriftsteller in dieser Gattung und einige, die einmal richtig gute Autoren werden können. Und für die könnte der Regionalkrimi ein ähnlich gutes, finanziell ähnlich abgesichertes Experimentierfeld sein, wie seinerzeit die Groschenhefte ...
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Erstellt am 15.11.2004
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