Zielfahndung.
Stefan Lichtblaus sehr persönliche Betrachtungen eines Genres.
Ich persönlich kann diesen Run auf Krimifestivals ja nicht verstehen.
Ich gehe aber auch nicht gern auf Lesungen. Ich kaufe auch keine Hörbücher. Ich bin ein stinknormaler Leser. Ich halte Lesen für eine der höchsten Kulturformen, weil es über den Kopf passiert und zwei Bedürfnisse befriedigen kann – die Suche nach Information und den Wunsch wach zu träumen. Und manchmal beides gleichzeitig. Zudem ermöglicht Lesen den direkten Zugang zu eigenen Bildern, ohne die interpretatorische Stütze eines Regisseurs oder eines Sprechers. Und diese Bilder lasse ich mir ungern bei Lesungen wieder abnehmen.
Wieso so viele Menschen zu Lesungen gehen, ist mir deshalb ein Rätsel. Bei stärker verklausulierter Lyrik lasse ich die Deklamation durch den Erzeuger der Zeilen ja noch gelten, aber was soll es mir bringen, wenn mir Donna Leon oder Henning Mankell ihren Text im Original vortragen, den mir ein freundlicher Übersetzer dann zugänglich macht? Warum soll ich Anne Chaplet beim Vorlesen lauschen oder Ingrid Noll? Dafür haben sie ihre Bücher doch nicht geschrieben; die sind fürs Lesen da und wenn mir ein Buch durchs Vorlesen verständlicher werden sollte, dann haben sie sicher beim Schreiben etwas falsch gemacht.
Was sollte es mir bringen, wenn ich an einem Festivalabend feststelle, daß Hakan Nesser seine Texte besser vorträgt als Uta Maria Heim den ihren? Und was, wenn ich Frank Schätzing ganz nett und Thea Dorn als etwas kühl empfinde oder umgekehrt? Finde ich die Bücher dann besser?
Nun gut, wenn Helge Schneider oder Wolf Haas vortragen, dann hat das sicher einen Reiz, dem ich mich nicht verschließen möchte, da hier der Sprachwitz durch den Vortrag eine neue Färbung erhält. Ich verstehe auch, daß Lesungen eine wesentliche Erwerbsquelle für Autorinnen und Autoren sind. Sie scheinen ja auch für das Kulturleben als Veranstaltungen mit "Erlebnischarakter" eine wichtige Rolle zu spielen. Für mich tun sie das sicher nicht, sie ermüden mich.
Nun bin ich auch mehr an Büchern interessiert, als an deren Verfassern. Weder möchte ich wissen, ob Herr Mankell ein netter Kerl ist oder ein kalter Geldsack, ob er verheiratet oder schwul ist. Gut, es wäre interessant, zu wissen, ob er Ahnung von den Themen hat, über die er schreibt, andererseits sollte ich dann wohl besser Sachbücher lesen, oder zu Veranstaltungen gehen, auf denen man den Autor zu diesen Themen befragen kann oder wo mehrere Personen mit dem Autor interessante Sachverhalte erörtern. Das tue ich aber nur, wenn ich nicht vorher Herrn Mankell beim Lesen seiner Texte zusehen muß. Gelesen habe ich das nämlich zu Hause schon.
Die persönlichen Betrachtungen werden bei Gelegenheit fortgesetzt.
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Erstellt am 13.06.2005
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