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Günter Ohnemus, geboren 1946, lebt als freier Schriftsteller und Übersetzer in München. Für seinen ersten Roman Der Tiger auf meiner Schulter erhielt er 1998 den Tukan-Preis der Stadt München. Im gleichen Jahr wurde ihm der Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik verliehen.
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Mit fünfzig läßt der gute Buddhist alle seine Besitztümer hinter sich und begibt sich auf Wanderschaft. Seine einzige Habe sei eine Almosenschale ...
Das Problem bei mir war, daß sich in meiner Almosenschale vier Millionen Dollar befanden. Und daß die Mafia hinter mir her war. Es war ihr Geld. Sie wollten es wiederhaben, und sie wollten das Mädchen, die Frau, die bei mir war - Sonja Kowalewskaja ...
Eigentlich wollte Harry Willemer, früher Schriftsteller, jetzt Taxifahrer, früher Ehemann und Vater, jetzt vereinsamter Einzelgänger, alles verschwinden lassen, was seine Existenz beweist: Wohnung, Freunde, Briefe, Bilder, Erinnerungen an Frau und Kind. Doch genau in dem Moment taucht die geheimnisvolle Sonja auf: ein Fahrgast. Sehr bald hat Harry den Grund für ihre Unruhe herausgefunden. Sonja ist auf der Flucht vor ihrem Mann, der zur russischen Mafia gehört. Sie hat ihn um 4 Millionen Mark erleichtert - ihre betriebliche Altersversicherung, wie sie es nennt.
"Ich habe alle einschlägigen Filme gesehen", versucht Harry sie und sich zu beruhigen. Denn Harry schlägt Sonja vor, sie an ihr Reiseziel zu fahren, und so fliehen sie gemeinsam quer durch Europa und schließlich nach Amerika. Auf dieser Flucht lernt Harry ganz neue Seiten an sich kennen. Am Ende mit allen Wassern gewaschen, müssen Harry und Sonja doch begreifen, dass man der eigenen Vergangenheit nicht entfliehen kann ...
Harry Willemer ist der Mann, der hier von seiner prall gefüllten Almosenschale spricht und
Günter Ohnemus ist der Autor dieses wie ein Thriller gestrickten Romans. Nun, wer jemals etwas von diesem Schriftsteller gelesen hat, weiß, daß dieses Buch so einfach nicht gestrickt sein kann. Ohnemus ist ein glänzender Übersetzer (z. B. Richard Brautigan, Keith Abbott), ein preisgekrönter Literaturkritiker (Alfred Kerr-Preis) und Romanautor (Tukan-Preis der Stadt München für "Der Tiger auf meiner Schulter"), er ist ein begeisterter und scharfsinniger Leser und seine Lese- und Schreiblaufbahn, seine kulturelle Entwicklung ist tief verwurzelt im westlichen, sprich amerikanischen Sprachraum. So jemand schreibt keine platten hölzernen, deutschen Krimis und ein Günter Ohnemus schreibt keine geradliniegen punktgenauen, schnörkellosen Plots. Wer Ohnemus gelesen hat, weiß was ihn erwartet: Abweichungen, Nebenerzählunge, Plaudereien, Sticheleien und Schelte, alles miteinander verwoben in jenem einzigartigen Ohnemus-Duktus, den man hasst oder liebt.
Harry lebt eigentlich nicht mehr, er vegetiert auch nicht, er existiert und er funktioniert in seinen eigenen Regeln, seit jenen Augenblicken:
"Ich dachte an die Nacht, in der alles zu Ende gegangen war, mein ganzes Leben und Ellens Leben und Jessies Leben, nur weil ich so blöd und verbohrt und eifersüchtig war und alles zerstören wollte und einfach nicht mehr aufhörte." "... ich habe sie nicht geschlagen, ich habe sie nicht einmal geschubst oder geschüttelt, sie hatte nur auf einmal Angst, daß ich es tun könnte, und ich sah die Angst in ihren Augen, diese maßlose Angst ..."
Ellen und seine Tochter Jessie werden Harry verlassen. "Es war die Nacht , in der mein Leben zu Ende ging, auch wenn ich diese Nacht jetzt schon viele Jahre überlebt habe. [..] Es regnete nicht in der Nacht, als es passierte. [...] Der Wagen kam ohne ersichtlichen Grund von der Straße ab und schoß auf eine Wiese hinunter. [...] Die Leute, die sie fanden, dachten, sie wären beide tot. So starr saßen sie im Auto. Aber nur Jessie war tot."
Sonjas Einsteigen in Harry Willemers Taxi bringt eine neue Bewegung in dieses erstarrte, ausgedörrte Leben, es wird aufgehellt, ohne es zu heilen und es bringt bittere Konsequenzen: "Für dich ist ist die Welt voller Feinde", hatte Ellen zu ihm einmal gesagt, "Und wenn kein Feind da ist, dann machst du dir einen. Nur dann bist du gücklich. Dann müßte ich jetzt eigentlich sehr glücklich sein, weil die Welt jetzt wirklich voller Feinde ist. Sie können überall sein. Ich müßte jetzt wirklich sehr glücklich sein. Und ich habe nichts mehr zu verlieren. Schon lange nicht mehr. Aber ich habe Angst, und ich laufe davon. Ich habe Angst, daß ich das nicht überlebe."
Sonja und Harry werden München verlassen, Deutschland und Europa verlassen müssen, einige Verfolger ermorden, aber sie werden nicht zur Ruhe kommen. Doch sie werden einiges über sich erfahren und einiges wird unter dem Eindruck der Gefahr klarer werden ...
Es sei hiermit empfohlen, sich auf den Ohnemuschen Sprachstrudel, auf eine im Genre angelegte Geschichte einzulassen, in der Ohnemus gelungen ist, eine poetische, aber harte, eine sanfte, aber böse, eine hoffnungslose, aber träumerische Geschichte zu erzählen, die nicht mehr loslässt. Dabei ist die Komposition nicht ohne Tücken: Ohnemus neigt in allen seinen Büchern zu erzählerischen Abweichungen, die den Sog der Geschichte unterbrechen, eine Marotte wie das Mitsummen mancher Pianisten beim Klavierspielen, und den Leser schon einmal nervös werden lassen, doch in "Reise in die Angst" gelingt es ihm immer wieder mit überraschenden Wendungen plötzlich das Tempo zu erhöhen und die bedrohliche Atmosphäre, die das ganze Buch durchzieht, zu verstärken oder einzudämmen.
Ein erstaunliches Buch: kein richtiger Krimi nach Gattungsmaßstäben, aber auch keine nur spielerische Beschäftigung mit dem Genre. Es ist, als hätte sich Günter Ohnemus das Buch geschrieben, das ihm die Geschichte diktiert hat, die Geschichte von zwei Menschen, die den Boden unter den Füßen schon verloren hatten, bevor sie die Mafia um vier Millionen Dollar erleichterten ...
Hier schwebt sie mit, die Atmosphäre guter Kriminalromane und das ist ein weiteres Element, das zu loben ist: Ohnemus hat sie gelesen und das beste aus ihnen skelettiert, aber er unterlässt es, sie zu zitieren, oder sie irgendwo für Kenner zu verstecken - er schafft einfach die Atmosphäre, eine ständig über der Geschichte schwebende Stimmung der Bedrohung, der Angst, des Unausweichlichen, die hineinzieht und abstößt und doch in einen erstaunlichen Schluß mündet ...
© Stefan Lichtblau
Günter Ohnemus
Reise in die Angst.
Roman.
München: Knaur Taschenbuch, 08/2003
ISBN: 3-426-62416-8,
304 Seiten, 8.90 EUR
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Günter Ohnemus
Reise in die Angst.
Roman.
München: Droemer Verlag, 2002
ISBN 3426195879, Gebunden
303 Seiten, 18,90 EUR
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