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Roberto Estrada Bourgeois
geboren 1950, Jurist, lebt in Havanna. "Ein Modigliani aus Kuba" ist sein erster Kriminalroman
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Eine junge Kunsthistorikerin aus Havanna, deren Namen wir nie erfahren werden, ist, was in anderen Breitengraden eine Überlebenskünstlerin, in Kuba aber schlichtweg Jinetera genannt wird. Sie trifft auf den eleganten Italiener Marcello, der für betuchte Abnehmer kubanische Kulturgüter nach Euopa schmuggelt. Es beginnt der Traum vom besseren Leben. Aber damit beginnen auch die Schwierigkeiten...
Die kubanischen Lebensumstände, der Alltag bestimmen die Atmosphäre dieses Krimis: Schlangestehen für knappe Waren, die Informationsbörse über die Warenlage - wann gibt es Kaffee, wo findet man bestimmte Lebensmittel. "Frauen, die Schlange standen, um die Tagesration Brot zu erstehen, die jedes kleine Kind nach zwei Bissen verschlungen hat." Die Mühen der Tage sind hart und werden unerträglich, wenn man Träume hat, die der verordneten Moral widersprechen und dem bizarren Kontrast entspringen, dem Kuba unterworfen ist: "Aber mein Weltbild wurde noch stärker von den neuen, hell erleuchteten, tadellosen, antiseptischen und klimatisierten Geschäften erschüttert, die voller Artikel waren, die ich mir noch nicht einmal im Traum mit den wertlosen Scheinen kaufen konnte, die meinen Lohn ausmachten." Auswege suchen alle aus dieser Misere, Prostitution, Schwarzmarktgeschäfte, Diebstähle, oder, wie die namenlose Kunsthistorikerin: "Wenn Alfredo anders wäre, würde ich ihm raten, es mit einem Invento zu versuchen, mit irgendeiner der tausend halblegalen oder illegalen Formen des Geldverdienens, die es seit neustem überall in der Stadt gibt."
Die Kunsthistorikerin hat mit Marcello ihre Möglichkeit gefunden, das Leben zu verbessern, aber unmerklich wird in einem hitchcockähnlichen Ablauf aus einer halblegalen Situation eine existentialistische Hölle, ein Mord geschieht und obwohl selbst nicht Täter, gibt es für die Kunsthistorikerin und ihre Freunde keine Möglichkeit, die Sachlage zu klären, ohne auf die eigenen kriminellen Zusammenhänge hinzuweisen. Doch das ist erst der böse Anfang einer harten Geschichte, eines Komplotts und dem Ende aller Träume. Die Kunsthistorikerin wird Kuba verlassen, anfangs geplagt von einem "schmerzlichen Heimweh, das aber schnell durch die Erinnerung an die Schwierigkeiten, die Mängel und Frustrationen gelindert wurde." Doch mit der Erkenntnis stirbt die Zuversicht ".. die Beklemmung und die Eile eines Flüchtlings, mit der ich ins Flugzeug gestiegen bin...um ganz vorn anzufangen - denn trotz allem werde ich nicht zurückkehren. Ich versuche, mich nicht an die Straßen von La Habana Vieja zu erinnern, an die Straßenköter, den Geruch der Bucht, den Leichnam des Mädchens: es geht nicht, ich kann es einfach nicht vergessen..
Gestrandet auf dem fremden Kontinent und aller Bezugspersonen beraubt, ist dies eine düstere Parabel, eine Parabel der Flucht vor der Angst, der Not und der Ausweglosigkeit, die in die Heimatlosigkeit führt.
Nur 98 Seiten setzt Bourgois den derzeit aktuellen dicken Belletristiktiteln entgegen, um Welten zu entwerfen und trotz einer recht konservativ wirkenden Sprache gelingt es ihm, nicht nur beeindruckende Bilder zu malen, sondern auch näher an der Wirklichkeit zu bleiben, als einem lieb ist. Und es ist beruhigend zu wissen, daß es weder Serienmörder, noch Gemetzel, noch abenteuerlicher Konstruktionen bedarf, um Entsetzen, Trauer und Mitleid darstellen zu können...
Roberto Estrada Bourgeois:
Ein Modigliani aus Kuba
Heilbronn:Distel Literaturverlag 1999.
Taschenbuch 1001 � DistelKrimi 98 S.
Aus dem kubanischen Spanisch von Horst Rosenberger
� 7,50 sFr 13,80 ISBN 3-923208-39-1
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