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Die Autorin:
Patricia Highsmith
Geboren am 19.1.1921 in Fort Worth (Texas), gestorben am 4.2.1995 in Locarno (Tessin), begraben in Tegna (Tessin). Zehn Tage nach Erscheinen ihres ersten Romans erwarb Hitchcock für 6800 Dollar die Filmrechte an "Zwei Fremde im Zug" und machte Patricia Highsmith weltberühmt. Patricia Highsmith schrieb vor allem anspruchsvolle, psychologisch tiefgründige Kriminalromane. Im Vordergrund ihrer Werke steht nicht die Aufklärung von Verbrechen, sondern die Umstände, die einen unauffälligen Durchschnittsmenschen zum Verbrecher machen. Bio-/Bibliographie bei Diogenes (pdf)
(siehe auch: Wikipedia)
Der Rezensent:
Frank Kaufmann ist als freier Korrektor und Lektor tätig. Er schreibt gelegentlich Rezensionen. Besondere Interessen: Dramatisches Schreiben und Kriminalliteratur.
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Schluss mit Schwarzweiß
Ungefähr vierzig Jahre ist es nun her, dass die Queen of Crime diesen Klassiker der modernen Kriminalliteratur schrieb, der den Charme der sechziger Jahre ebenso verströmt, wie die moralische Verworfenheit ihres Verbrecherhelden, und der auch heute noch eine nicht zu verachtende Wirkung erzeugt.
Phillip Carter heißt der arme Tropf, der uns zu Beginn des Romans begegnet. Ein Ingenieur, dessen einziges Verbrechen in einer Nachlässigkeit bestand. Er hatte seinem Chef vertraut und Quittungen unterschrieben, die er nicht geprüft hatte. Der Chef fiel vom Baugerüst und angeklagt wurde schließlich Carter. Er büßt für die Unterschlagungen seines Chefs und hat nun zudem das Pech, dass er in einem der typischen Südstaaten-Gefängnisse einsitzt: mit üblen Mithäftlingen, mieser Unterbringung, brutalen Wärtern. Wir begegnen Phillip Carter zum ersten Mal, als er neunzig Tage seiner Haft bereits hinter sich hat. Doch an die Spielregeln des Gefängnisses hat er sich noch lange nicht gewöhnt. So geschieht das Unglaubliche: Carter wird, als er (wie zum Hohn) einem Zellengenossen einen Gefallen erweisen will, brutal misshandelt, indem ihn zwei Wärter an den Daumen aufhängen, was zu bleibenden Verkrüppelungen und in Folge zu ständigen Schmerzen führt. Er wird morphiumsüchtig, stumpft ab, und er beginnt langsam aber sicher, wie ein Gefangener zu denken. Der erste Schritt auf dem Weg zum Verbrecher. Alle Versuche, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erwirken, scheitern, seine Frau Hazel entgleitet ihm, sie unternimmt verdächtig viel mit David Sullivan, dem Freund der Familie. Und Gawill, der Vizedirektor seiner Firma, der irgendwie mit den Unterschlagungen zu tun hat, schürt seine Eifersucht.
Es ist Patricia Highsmith in Hochform, die wir hier erleben dürfen: Geschickt schafft sie eine Ausgangssituation, die eine explosive Wirkung entfaltet. Dabei verkehrt sie das klassische Krimischema, wie auch die gewohnte Moralvorstellung. Denn aus dem Verbrechen folgt normalerweise die Strafe und wir erwarten von dem Helden, dass er das Verbrechen bekämpft, während wir hier aus Dummheit, Nachlässigkeit und einer guten Portion Vertrauensseligkeit eine völlig unangemessene Strafe vorgeführt bekommen, die erst das erzeugt, was sie vorgibt zu bekämpfen: das Verbrechen. Das erfordert freilich einen ganz anderen Helden: einen Durchschnittsmenschen, der vom Schicksal in seinem Vorleben immer nur begünstigt wurde, und der erst durch die an ihm vollzogene Strafe zum Helden wird - natürlich bei der Highsmith zum Verbrecherhelden. Diese Entwicklung vom uninteressanten Durchschnittstypen zum moralisch fragwürdigen Verbrecher, mit dem sich der Leser durchaus identifiziert, birgt den moralischen Konflikt und bildet das zentrale Spannungsmoment des Romans.
Dabei inszeniert die Highsmith eine Geschichte der Entfremdung, die durch Anpassung an das Gefängnisleben erzeugt wird. Sie zeigt an Phillip Carter, wie sich das Abgetrenntsein, innerlich wie äußerlich, auswirkt und so das Verbrechen überhaupt erst möglich wird. Geradezu poetisch bringt sie das an einer Stelle zum Ausdruck: "Jede Trennung, ..., jedes Auseinandergehen ist wie ein Schlag und nimmt einem etwas weg, so wie das Meer, wenn es gegen einen Felsen anbrandet. Der Mensch hält nur eine begrenzte Anzahl solcher Schläge aus, genau wie der Felsen. Irgendwann wird er ganz klein und schmal davon, und plötzlich ist nichts mehr von ihm da, aus, weg." Aber der Mensch passt sich an, weil er überleben will. So lernt Phillip Carter Max kennen, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verbindet und eine Zeitlang wird für ihn der Gefängnisalltag erträglich. Doch wieder folgt ein Schlag: während einer Gefängnisrevolte wird Max brutal und sinnlos getötet. Aber dies ist er nun nicht mehr bereit hinzunehmen. Er wehrt sich und tötet im Tumult von Brutalität und Gesetzlosigkeit den mutmaßlichen Mörder von Max.
Als Phillip Carter schließlich nach sechs Jahren Haft entlassen wird, ist er ein anderer geworden und wir ahnen, welche Energien zur Umsetzung gelangen: Da ist die bohrende Eifersucht, die sich auch in Freiheit fortsetzt, die Gewissheit, dass seine Frau Hazel die ganzen Jahre über ein Verhältnis mit David Sullivan unterhielt. Die Hetze von Gawill, der ihn mit Rauschgift versorgt, die Demütigung, dass ausgerechnet Sullivan ihm einen Job vermittelt. Und es kommt, wie es kommen muss, denn wieder wehrt sich Phillip, als er erfährt, dass seine Frau ihn anlügt und sich heimlich mit Sullivan trifft: Er tötet Sullivan unüberlegt und voller Wut. Doch anders als im Dschungel des Gefängnisses, ermittelt nun die Polizei. Doch jetzt erweist sich die harte Schule, auf die er gegangen ist, als unschätzbarer Vorsprung. Auch intensive Verhöre und selbst der Einsatz eines Lügendetektors lassen ihn unberührt und bringen ihn nicht zum Geständnis. Als er schließlich auch noch erpresst wird,tötet er schließlich aus kalter Berechnung. Und nun ist klar, was das Gefängnis aus ihm gemacht hat: einen eiskalten Mörder, der der Moral und dem Recht gegenüber immun geworden ist und - Ironie des Schicksals - der Justizmaschinerie entkommt.
Spannend und überlegt gearbeitet, liegt hier ein Beispiel Highsmith'scher Romankunst vor, die auch deswegen so bemerkenswert erscheint, weil sie mit dem ewigen Moralisieren Schluss macht. Sie erweist sich als großartige Ermittlerin in Sachen moralischer Lüge, der das Verdienst zukommt, Schwarz und Weiß überwunden zu haben. Sie deckt konsequent das Märchen von den Guten und den Bösen auf und führt uns die moralischen Zweifelsfälle vor. Phillip Carter ist ein solcher Zweifelsfall und sie bringt es fertig, dass sich der Leser mit dem Mörder, der er später wird, identifiziert, denn der war ja zuallererst das Opfer einer seelenlosen Maschinerie geworden, einer Maschinerie, die hier Gefängnis heißt, aber getrost Gesellschaft genannt werden kann.
1964 zum ersten Mal auf Englisch erschienen, jetzt neu und hervorragend übersetzt von Werner Richter im Rahmen der Diogenes Werkausgabe, ist die Lektüre dieses Klassikers der modernen Kriminalliteratur auch heute noch sehr empfehlenswert und für Highsmith-Fans sowieso ein absolutes Muss!
© by Frank Kaufmann, Kassel
Patricia Highsmith:
Die gläserne Zelle
Roman.
Aus dem Amerikanischen von Werner Richter
Zürich, Diogenes, 2003
Leinen, 384 S.
ISBN 3-257-06410-1
Euro 21.90 / sFr 37.90
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