KrimiKurier No.33 Frühling 2010
Ich war bei den Bullen gefeuert worden, weil ich einem Ministerialdirigenten aufs Maul gehauen hatte. Ich hatte das nie bereut. Hätte nur gerne doller zugeschlagen. Meine Entlassung war der Anfang eine Spirale, die mich langsam abwärts in die Alkoholikerhölle führte. Ich ließ mich in Galway nieder, wurde halbherziger Privatermittler und richtete mehr Schaden an, als die Verbrecher, deren Taten ich aufzuklären versucht hatte. Liebe Leser, Bekannte und Freunde, gönnen Sie sich spannende Vergnügungen. Bekannte und weniger prominente Autoren haben den Krimifans dieses Frühjahr wieder einige mörderische Überraschungen ins Nest gelegt. Tyrannen, Fährunglücke, Stalker, Menschenhändler oder Fernfahrermorde geben nicht nur den privaten und offiziellen Ermittlern immer neue Rätsel auf. Auch der geneigte Leser darf kräftig knobeln, wer wen warum getötet hat. Vor allem aber darf er sich in diesem KrimiKurier an äußerst skurrilen Detektiven erfreuen. Ob die fiktiven Spürnasen ihre Fälle nach allen Regeln der kriminalistischen Kunst erledigt haben, erfährt man allerdings erst aus Büchern realer Kripobeamter. Krimi-Lexikograph Dr. Klaus Peter Walter hat zwei solcher Exemplare für uns unter die Lupe genommen und entdeckt: Das wahre Verbrechen findet nicht im "Tatort" statt. Gisela Lehmer-Kerkloh und Jörg von Bilavsky
Ein Blick auf "Die Befragungen", den Fragebogen für deutsche und internationale Krimiautoren lohnt immer: www.alligatorpapiere.de/befragungindex.html. Gisela Lehmer-Kerkloh und Jörg von Bilavsky
Geoffrey Household: Einzelgänger, männlich. Aus dem Englischen übersetzt von Michel Bodmer Zürich: Kein & Aber Verlag, 2009. 238 Seiten, 16.90 €. Ist der Mord an einem Tyrannen legitim? Diese Frage bewegt die Menschheit seit der Antike. Eine befriedigende Antwort darauf gibt es bis heute nicht. Auch wenn das im Grundgesetz verankerte Widerstandsrecht hierzulande diese Form der Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat nicht ausschließt. Selbst nach Kriegsende 1945 wurde kontrovers darüber diskutiert, ob die gescheiterten Attentate auf Hitler rechtens waren. Für den unverwüstlichen Helden in Geoffrey Households Thriller "Einzelgänger, männlich" spielen juristische Motive jedenfalls keine Rolle. Auch über die wahre Identität des von ihm ins Visier genommen Diktators und die wirklichen Beweggründe des Attentäters lässt der Autor seine Leser bewusst im Unklaren. Vielmehr begibt er sich mit ihm auf menschliche Großwildjagd. So pirscht sich der britische Gentlemankiller an den Tyrannen heran, zielt mit "seinem Zielfernrohr auf das V seiner Weste", wird von seinen Bewachern in letzter Minute entdeckt, gefangen und gefoltert. Doch kann er in letzter Sekunde seinem Schicksal entkommen und fliehen. So werden wir Zeugen einer atemberaubenden Flucht vor seinen Verfolgern, die ihn nicht nur auf dem Territorium des Tyrannen, sondern auch in seiner eigenen, britischen Heimat gnadenlos aufzuspüren versuchen. Aber auch zurück in Good Old Britain kann sich der mehrfach Verwundete nicht mehr sehen lassen. Glaubt er doch, dass sein Mordanschlag zu diplomatischen Verwicklungen zwischen beiden Staaten führen könnte. Nach abenteuerlichen Verfolgsjagden in London und der näheren Umgebung taucht er im wahrsten Sinne des Wortes unter. Und zwar in einer scheinbar perfekt getarnten Erdhöhle, die zugleich zur Falle werden kann. Bis zum Schluss hält uns dieser kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs veröffentlichte und bereits zweimal verfilmte Thriller in Atem. Nicht nur, weil uns das Schicksal dieses "Einzelgängers" interessiert, sondern auch die Motive eines Attentäters, der es aller Wahrscheinlichkeit nach auf Hitlers Leben abgesehen hat. So staunt man am Ende nicht schlecht, wie weit man es mit einer robusten Konstitution, einem wachen Verstand und unstillbaren Racheinstinkten bringen kann. JvB (Bestellen bei Missing Link)
Ilka Remes: Tödlicher Sog. Übersetzt aus dem Finnischen von Stefan Moster. München: dtv Verlag 2010. Kart., 457 Seiten, 14.90 €. Finnland ist das Land der Formel 1 Piloten: Mika Häkkinen, Kimi Räikkönen. Der junge Roni Arias, ein talentierter Nachwuchsrennfahrer, hofft in die Fußstapfen der berühmten Vorbilder treten zu können. Unterstützt von seinem Vater Tero, der als ehemaliger Polizist ein Sicherheitsunternehmen aufgebaut hat, entwickelt sich seine Karriere sehr gut, bis er in Verdacht gerät, seine Ex-Freundin Julia getötet zu haben. Julia wollte das Schicksal ihres verschwundenen Großvaters aufklären. Der Großvater arbeitete beim estnischen Zoll und war bei der Unglücksfahrt der Estonia an Board. Vermutlich war er bestochen worden, um den Schmuggel von russischer Militärtechnologie auf der Fähre nach Schweden zu ermöglichen. Die einzige Chance, Roni zu entlasten, besteht darin den Schmugglern auf die Spur zu kommen. Dieses Unterfangen erweist sich als sehr gefährlich, denn ihnen stehen Profis gegenüber. Die Stärke von Remes Büchern lässt sich mit dem Wort "Faction" umschreiben. Er verbindet Facts, Action und Fiction zu einer gekonnten Melange. Mit den Ereignissen um die gesunkene Fähre Estonia knüpft er an ein historisches Ereignis an. Dabei schildert er nur Aspekte, die tatsächlich nachgewiesen sind. Der schwedische Geheimdienst musste einräumen, dass er die Fährverbindung benutzte, um illegal Militärtechnologie von Russland nach Schweden zu transferieren. Das Geschehen in der Jetzt-Zeit ist natürlich frei erfunden, bietet aber gerade vor dem Hintergrund der tatsächlichen Ereignisse einen besonderen Reiz. GLK (Bestellen bei Missing Link)
Christine Lehmann, bekannt durch die Lisa-Nerz-Krimis bei Ariadne, hat zusammen mit einem Fachmann für Wirtschaftsverbrechen ein Handbuch für Lesende, für Schreibende und - so der Untertitel - für Neugierige verfasst. Insgesamt acht Kapitel sind dem Mord, dem Mordmotiv, den Ermittlungen, der Leiche, der Fallanalyse, den Ermittlern, Wirtschaftsverbrechen und Zwangsmaßnahmen wie der Verhaftung gewidmet. Die kenntnisreiche Darstellung zeigt, wie es wirklich zugeht, wenn sich Verbrechen ereignet haben, wie die deutsche Polizei vorgeht, was eine Leiche uns noch alles sagen kann oder wie das deutsche Recht "tickt". Dies hilft nicht zuletzt bei der Entlarvung schludriger Krimischreiber, die bei uns unbekannte Amerikanismen in unser deutsches Recht einbauen. Was also geht, was geht nicht beim Morden wie beim Ermitteln? Das analysestarke Buch sollte zur Pflichtlektüre für alle Krimiautorinnen und -autoren werden. An die mit missionarischem Eifer konsequent durchgezogene latzhosenlila Diktion - Berufsbezeichnungen (wie z.B. Gerichtsmedizinerin) stehen prinzipiell in der weiblichen Form - muss man(n) sich allerdings ein wenig gewöhnen. Richard Thiess, der Leiter einer Münchener Mordkommission im Range eines Ersten Hauptkommissars, berichtet dagegen über drei Hände voll wahre Fälle - nicht mit der geradezu lexikographischen Systematik von Lehmann und Büttner, sondern aus eigenem Berufsleben und -erleben, sozusagen live vom Tatort. Gleichwohl vergisst Thiess über die eigenen Betroffenheit wegen eines ausgelöschten Lebens nie die Schilderung grundlegender polizeilicher und organisatorischer Strukturen, die seinen Ermittlungen zu Grunde liegen - oder die sie gegebenenfalls durch ihre Widersinnigkeit ausbremsen. Hier können Krimischreiberinnen und -schreiber sowie die Neugierigen jedweden Geschlechts wiederum eine ganze Menge lernen, denn das wahre Leben sieht völlig anders aus als im "Tatort". Dr. Klaus-Peter Walter (Bestellen bei Missing Link)
Daniel Depp: Stadt der Verlierer Aus dem Englischen von Regina Rawlinson. München: C. Bertelsmann Verlag 2009, Geb., 320 Seiten, 19.95 € Daniel Depp. Mit diesem Namen würde hierzulande niemand einen Roman veröffentlichen. Hohn und Spott wären ihm sicher. Wenn es da nicht einen weltberühmten Schauspieler gleichen Nachnamens gäbe: Johnny Depp. Man muss nicht lange kombinieren: Die beiden Herren sind Brüder und beide verdienen gutes Geld in Hollywood, der "Stadt der Verlierer", wie Drehbuchautor und Produzent Daniel Depp ("The Brave") den illustren Stadtteil von Los Angeles in seinem ersten Krimi bezeichnet. Dass sich hinter der glitzernden Fassade ein krimineller Sumpf aus Betrug, Erpressung, Drogenhandel und Prostitution verbirgt, mag den Leser einschlägiger People-Magazine und den Liebhaber bitterböser Satiren à la "Inside Hollywood" oder "Speed the Plow" nicht mehr verwundern. Doch Depp gelingt es dank intimer Insiderkenntnisse und seines trockenen Humors ein ebenso schräges wie brutales Sittengemälde des intriganten US-Filmbusiness zu zeichnen. Dazu schickt er den deutschblütigen David Spandau ans Set, einen melancholisch-selbstbewussten Privatdetektiv mit Vorliebe fürs Rodeo und alte Wild-West-Bücher. Der Ex-Stuntman soll die neue Hollywoodhoffnung Bobby Dye vor allzu aufdringlichen Fans und erpresserischen Filmproduzenten schützen. Besonders vor seinem Freund Richie Stella, der ihn mit ein paar unappetitlichen Fotos erpresst und an dessen Ruhm und Reichtum teilhaben möchte. Um dies zu verhindern, bleiben nicht nur Bösewichte, sondern auch ein paar liebgewonnene, wenn auch zwielichtige Figuren auf der Strecke. Aber so ist Hollywood eben: unbarmherzig und ungerecht. Großes Kino führt uns Depp mit wortgewandtem Witz, perfektem Timing und psychologischem Einfühlungsvermögen vor: illusionslos und intelligent. JvB (Bestellen bei Missing Link)
Pablo De Santis: Das Rätsel von Paris. Übersetzt aus dem Spanischen von Claudia Wuttke. Zürich: Unionsverlag, 2010, Geb., 315 Seiten, 19.90 € Zwölf Detektive lösen die Rätsel des Globus. Zur Eröffnung der Weltausstellung in Paris kommen sie aus aller Welt zusammen, um sich und ihre Ermittlungsmethoden der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ein einmaliges, aufsehnerregendes Ereignis, das sogar den gerade errichteten Eiffelturm in den Hintergrund treten lässt, trafen doch noch nie alle zwölf Detektive samt ihrer Adlati zusammen. Als einer der Zwölf unter mysteriösen Umständen vom Eiffelturm zu Tode stürzt, gilt es für die Meisterdetektive, ihr Können unter Beweis zu stellen und das Rätsel von Paris zu lösen. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht vom Sigmundo Salvario, einem Neuling in Sachen Detektivarbeit und frisch ernannter Adlatus des argentinischen Detektivs Craig. Craig schickt Salvario alleine nach Paris, da er seit seinem "letzten Fall" keine Rätsel mehr löst. Dem Argentinier Pablo De Santis ist ein fesselnder Roman gelungen, der fantasievoll mit den klassischen Elementen des Detektivromans spielt. GLK (Bestellen bei Missing Link)
Manfred Wieninger: Prinzessin Rauschkind. Ein Marek-Miert-Krimi. Innsbruck: Haymon Verlag 2010, 204 Seiten, 19.90 € Er ist unromantisch, uncharmant, ungehobelt, einfach "unblamierbar". Vor allem aber ist er unwiderstehlich. Allerdings nur für die ärmsten aller armen Würstel. Marek Miert zieht von allen Privatermittlern der deutschsprachigen Kriminalliteratur wohl die traurigsten Klienten an. Nicht nur, weil er als Diskont-Detektiv für ein Schnäppchen-Honorar auf "Falotten"-Jagd geht, sondern weil er im Grunde selbst ein armes Würstel ist. Als österreichischer Robin Hood holt er sich das Geld von den Raffgierigen und Fiesen, um es den Armen und Naiven zu geben. In diesem Fall "Prinzessin Rauschkind", einer einst im Suff gezeugten spindeldürren Sprechstundenhilfe, deren angeblich ungarischer Geliebter beim Zigarettenholen plötzlich verschwunden ist. Allerdings nimmt er ihren erbettelten Suchauftrag nach Lászlo Zsigmund nicht ganz freiwillig an. Wird er doch vielmehr von seinem Erzfeind, Oberkieberer Gabloner, dazu gezwungen. Denn just als er zufällig den frisch erschossenen Doppelgänger des Vermissten auf dem Harlander Bahnhof entdeckt, gerät Miert selbst unter Mordverdacht und in die Fänge der Bundespolizei. Und Gabloner weiß nur zu gut, dass Miert weder Motiv noch Mordwaffe besitzt. Dennoch soll er den Hallodri ausfindig machen, um ihm einen Täter zu liefern und selbst straffrei zu bleiben. Ist diese Konstruktion schon abenteuerlich genug, staunt man umso mehr, wie es Miert plötzlich gelingt, den Vermissten ausfindig zu machen. Dass der Gesuchte strafbare Dienste mit minderjährigen Ausländerinnen angeboten hat, erschließt sich Miert durch seine routiniert-freche Recherche. Aber dass sich der Gauner in einem Edelbordell am Rande der Stadt aufhält, leuchtet nach Mierts unkonventionellen Ermittlungsmethoden nicht sofort ein. Aber Marek Miert und sein Schöpfer Manfred Wieninger sind ohnehhin nicht mit konventionellen Kriterien zu messen. So verquer der Plot mitunter auch erscheinen mag, so geradlinig sind absurderweise die schrägen Charakter. Allen voran Marek Miert, der sich durchs Leben schlägt und durch seine Fälle wurstelt, dass es immer wieder ein Freude ist. Weniger für ihn selbst, aber immer wieder für seine treuen Fans. JvB (Bestellen bei Missing Link)
Ken Bruen: Jack Taylor liegt falsch. Übersetzt aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Zürich/Hamburg: Atrium Verlag, 2010, 239 Seiten, 11.90 € Ex-Polizist (Jack Taylor fliegt raus) und Privatermittler Jack Taylor, dessen Spuren Leichen säumen, ist aus seinem Exil zurück. Aus London hat er einen Ledermantel, eine Vorliebe für Koks und eine Ehefrau mitgebracht, letztere hat allerdings nur eine kurze Halbwertzeit. Kaum angekommen erhält er auch schon seinen ersten Auftrag, der Chef der Landfahrer bittet ihn um Hilfe, da die jungen Männer seines Clans ermordet werden. Mit diesem Job setzt sich Taylor sofort wieder in die Nesseln, denn die Landfahrer sind in Galway bei niemanden beliebt. Mit Alkohol, Koks, Schlägereien und guten Bücher überlebt Taylor auch diesen Fall, allerdings muss er am Ende einiges gutmachen. GLK (Bestellen bei Missing Link)
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