KrimiKurier No.22 Sommer 2007 »Da ist er wieder. Der Metzger schleicht durch den Park, behäbig und müde.« Liebe Leser, Bekannte und Freunde, für einen heissen Sommer das Beste aus vielen Lesestunden.
Ein Blick auf "Die Befragungen", den Fragebogen für deutsche und internationale Krimiautoren lohnt immer: www.alligatorpapiere.de/befragungindex.html. Gisela Lehmer-Kerkloh
Horst Eckert: Königsallee Dortmund: Grafit Verlag, 2007. Geb., 411 S., Euro 18,90 €. Der Meister des Police Procedurals/Polizeiromans, Horst Eckert, meldet sich zurück. Eckert fühlt sich angloamerikanischen Vorbildern wie Ed McBain aber auch der französischen Tradition des crime noir verpflichtet. Etwas ungestelzter ausgedrückt, es gibt kaum einen deutschen Autor, der die Polizeiarbeit so realitätsnah, abgeklärt und zugleich spannungssteigernd in seinen Büchern darstellt. Protagonisten von Königsallee sind der junge Kommissar Reuter, der bisher im Inneren Dienst tätig war und sich weitere Meriten im Kommissariat Organisierte Kriminalität verdienen soll, und Kriminalhauptkommissar Norbert Scholz, Ende 40, familiäre Problem en massé und zur Zeit in den Schichtdienst strafversetzt. Daneben gibt es ein Wiedersehen mit Akteuren aus früheren »Eckerts«, wie Benedikt Engel (Aufgeputscht), inzwischen Kripochef von Düsseldorf, Kommissariatsleiterin Ela Bach (Purpurland), Kommissarin Anna Winkler (617 Grad Celsius) und Kommissar Bruno Wegmann (Ausgezählt). Reuter ist einem Gemälderaub auf der Spur. Obwohl das verschwundene Werk zwischenzeitlich ausgelöst wurde und wieder die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ziert, will er entgegen der Anordnung der Staatsanwaltschaft nicht locker lassen. Als sein Informant Robby Marthau aus der »Türsteher-Szene« erschossen wird und wenig später die einzige Zeugin Henrike Andermatt, Tochter des »Richter Gnadenlos«, des künftigen Innenministers Nordrhein-Westfalens, verschwindet, nimmt die polizeiliche Untersuchungsmaschinerie Fahrt auf. Anküpfend an 617 Grad Celsius (vgl. KK 15) reflektiert Eckert erneut aktuelle politische Fragestellungen in seinem Buch, so den »Richter gnadenlos« oder die Versuche der Mafia aus der früheren Sowjetunion, die sich in Düsseldorf nicht nur bei der Fortuna sondern auch bei der Stadt einkaufen will. Besonderes Lesevergnügen bereitet hier die überzeichnete Figur des größenwahnsinnigen Düsseldorfer OBs Dagobert Kroll. (Bestellen bei Missing Link)
Thomas Raab: der metzger muss nachsitzen Graz: Leykam Buchverlagsgesellschaft 2007. Geb., 228 S., Euro 19.40 € Auf dem täglichem Nachhauseweg stolpert Willibald Metzger im Park über die Leiche seines ehemaligen Schulkameraden Felix Dobermann. Als Metzger mit der Polizei zurückkommt, ist die Leiche verschwunden. An Metzger Wohnungstür hängt jedoch der Zeigestab ihres früherer Oberlehrers Konrad Zwirnhofer, der zuvor in Dobermanns linken Augen steckte. Und obwohl Metzger in der Schule, allen voran von Dobermann heftig terrorisiert wurde, macht er sich daran, Dobermanns Mörder im Kreis der früheren Klassenkameraden zu suchen und damit seine verhasste Schulzeit aufzuarbeiten. Gut entwickeltes Krimidebüt um den liebenswerten und eigenbrötlerischen Restaurator Willibald Metzger, der allen Widrigkeiten zum Trotz immer seinen eigenen Weg geht und zum Schluss sogar von der Liebe eingeholt wird. Dem Multimedia-Mann Thomas Raab ist ein poetischer, schön schräger Krimi eigenständiger österreichischer Facon gelungen. (Bestellen bei Missing Link)
Wolfgang Brenner: Bollinger und die Friseuse. München: dtv (premium 24579). Kart., S. 233, Euro 12.00 €. Nachdem Felix Bollinger vorschnell einen Juwelier erschossen hat, wird er degradiert und von Saarbrücken in den Grenzort Schauren als Chef der Dorfpolizei versetzt. Das deutsch-französische Dorf gilt als europäisches Vorzeigeprojekt. Ein exzentrisches, ungleiches deutsch-französisches Polizistenduo sorgt mit anarchisch und recht rauen Methoden für Recht und Ordnung, so dass Schauern in der Kriminalstatistik ganz unten steht: in Schauern gibt es keine Straftaten. Bollinger, eher in theoretischer als in alltäglicher Polizeiarbeit bewandert, tritt in jedes Fettnäpfchen als er auf ein korrektes Einhalten aller Dienstvorschriften besteht. Als er dann noch der drängenden Bitte der schönen Bürgermeistersgattin Lotte nachkommt und einen 20 Jahre alten Fall â�� einen vermeintlichen Justizirrtum â�� bei dem der Dorffriseur sein Lehrmädchen geschwängert haben soll, wieder aufrollen will, wird er zum Narren im ewigen Streit zwischen Lothringern und Saarländern. Sehr gut geschriebener, komischer Krimi über die Tücken des Lebens auf dem Lande, der nur noch durch die Realität übertroffen werden kann. Brenner rechnet amüsant mit dem schönen Traum eines geeinten Europas ab. (Bestellen bei Missing Link)
Theo Pointner: Highscore Dortmund, Grafit Verlag 2007. Kart., 347 S., Euro 9,95 € Kommissarin Katharina Thalbach befindet sich in einer handfesten persönlichen Krise. Die Beziehung zu ihrer Freundin Veronika Mitschke, die sie mit einem Heiratsantrag unter Druck setzt, scheint nicht für die Ewigkeit zu sein. Zugleich plagen sie Schuldgefühle gegenüber ihrem Ex-Verlobten Uli Zander und dem gemeinsamen Sohn Arne. Da scheint die Ablenkung durch einen neuen Mordfall gerade recht zu kommen. In einem Bochumer Swingerclub wird eine Frau durch das Einbringen eines Kontaktgiftes in die Scheide getötet. Einige hundert Kilometer ostwärts in Strausberg bei Berlin explodiert ein Leichenwagen, als zwei Streifenpolizisten eine nackte Frauenleiche in seinem Innern entdecken. Beide Opfer waren in Internet Chatrooms aktiv und als die Polizei ihre Computer in Augenschein nehmen will, beginnen sich deren Festplatten selbständig zu zerstören. Katharina erkennt, dass sie den Fall nur mit Hilfe eines Computerexperten lösen kann und wendet sich an den ehemaligen Hackerkönig Hinnerk Harms, der sich auf eine Hallig zurückgezogen hat. Doch es gibt weitere Opfer, ein hoher nordrhein-westfälischer Landespolitiker begeht mit seinem Auto Selbstmord. Bei Strausberg befördert sich ein ehemaliger DDR-Hochleistungsschwimmer mit einem Schwert ins Jenseits. Beide Opfer besaßen einen Computer und waren in Chatrooms. Es scheint einen perversen Wettbewerb mit unterschiedlichen Leistungsstufen zu geben, der über das Internet ausgetragen wird. Pointner bietet erneut packende Unterhaltung ohne den Leser mit PC-Fachsimpeleien zu überfordern. Skurrile Typen wie Hinnerk Harms oder der ostdeutsche Ermittler Rocco Daubitz sorgen für Kurzweil. Pointner zeigt, welcher Wahnsinn möglich wird, wenn sich die reale mit der virtuellen Welt verbindet, die Akteure jede Moral verlieren und ihre »Kreativität« nicht mehr für das Knacken von PC-Programmen sondern für das Töten von Menschen einsetzen. Der Schluss ist allerdings nichts für schwache Nerven. Im nächsten Pointner kann es für Katharina nur noch aufwärts gehen. (Bestellen bei Missing Link)
Leenders/Bay/Leenders: Die Burg Hamburg, Rowohlt Verlag 2007. Kart., S. 239; Euro 8.90 € Hellmut Toppe und sein Team vom Klever Mordkommissariat 11 sehen sich in »Die Burg« einer ganz besonderen Herausforderung gegenüber. Im Rahmen der Städtepartnerschaft Kleves mit dem englischen Worcester will eine Historiengruppe aus der britischen Partnerstadt eine Schlacht aus dem 17. Jahrhundert nachspielen. Doch aus dem Spiel wird schnell Wirklichkeit. Bei der Aufführung explodiert unter der Ehrentribüne eine Bombe. Es gibt drei Tote, dreißig Schwerverletzte und eine mindestens ebenso große Anzahl Leichtverletzter. Zwar können die Ermittler einen terroristischen Hintergrund sehr schnell ausschließen, es stellt sich aber bald heraus, dass der Täter sein eigentliches Opfer verfehlt hat. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Wie in den Stories um das Klever KK 11 üblich, wird die Geschichte der Mitglieder des KK 11 fortgeschrieben. Hellmut Toppe, der zum kommissarischen Leiter der Klever Kommissariate aufgestiegen ist, hat mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Seine Frau Astrid Steendijk macht sich Vorwürfe, da sie die gemeinsame Tochter Katharina wegen der anstrengenden Ermittlungsarbeiten vernachlässigen muss. Norbert van Appeldorn kann die Ermittlungen nur sporadisch unterstützen. Bei seiner Ulli und ihm ist Nachwuchs unterwegs. Der kontaktscheue Peter Cox knüpft zarte Bande mit der britischen Kollegin Penny Small und der bodenständige Jupp Ackermann vom Betrugsdezernat, der einmal mehr das KK 11 unterstützt, erweist sich als Fels in der Brandung und Garant des Niederrheinischen Elements. Dieses Mal muss er aber nicht wie in »Die Schanz« als Lebensretter fungieren. Routiniert geschriebene und unterhaltsame Story um das Niederrheinische Ermittlerteam, die wie immer auch vom Lokalkolorit lebt. Spannend und schlüssig sind auch die Blicke in das »Innenleben« des Täters. Allerdings ist es in »Die Burg« ebenso wie zuvor in »Die Schanz« mit der niederrheinischen Beschaulichkeit vorbei. Das Autorentrio setzt in diesen Werken vermehrt auf Action - dieses aber gekonnt. (Bestellen bei Missing Link)
Pieter Aspe: Die vierte Gestalt. Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag, 2007 Kart., S. 301, Euro 8,95 € Wie immer gedopt mit einigen Duvel ermittelt Commissaris Pieter van In, unterstützt von Brigadier Guido Versavel und seiner hochschwangeren Freundin, der Staatsanwältin Hannelore Martens, in seiner Brügger Heimatstadt. In einem Wassergraben wird die junge Kalligraphin Trui Andries tot aufgefunden. Nur dank der Mithilfe des schrulligen Chemielaboranten Ralf Geens gelingt es festzustellen, dass sie durch ein schwer nachzuweisendes Gift ermordet wurde. Einige Tage später stürzt sich ihr Freund, der schizophrene Jasper Desender zu Tode und murmelt als letztes Wort vor seinem Tod »Venex«. Die Jagd auf Venex beginnt, nur hat van In keine Vorstellung wer Venex ist, ein Drogendealer, der Kopf eines satanischen Zirkels oder verfolgt er noch andere kriminelle Ziele. Die Vierte Gestalt ist der vierte Krimi um Peter-Van-In, der in deutscher Sprache veröffentlicht wird. Der auf seine Intuition vertrauende Kommissar und sein homosexueller Freund und Kollegen Versavel, der meist von Liebeskummer geplagt wird, sind ein eingespieltes Team mit Sinn für kulinarische Genüsse. Van Ins Freundin Hannelore macht nicht nur die Schwangerschaft sondern auch die Hormone zu schaffen, als sie erfährt, dass Van In bei seinen Ermittlungen von der jungen attraktiven Journalistin Sartje Maes. Mit über 1,25 Millionen verkauften Büchern gehört der Brügger Autor Pieter Aspe, der die Liebe zum Duvel (ein belgisches Starkbier) mit seinem Protagonisten teilen soll, zu den meistgelesenen Autoren in Flandern und in den Niederlanden. Auch in »Die vierte Gestalt« tauchen viele Elemente auf, die Aspe in seinen anderen Romanen anspricht wie die Drogenproblematik, Korruption im Polizeiapparat, Sekten. Wie in »Das Quadrat der Rache« und »Die Kinder des Chronos« zeichnet er auch in "Die Vierte Gestalt" kein positives Bild der belgischen Oberschicht. So versagt der reiche Psychiater Richard Coleyn bei der Erziehung seines Sohnes vollständig. Aspe verbindet Gesellschaftskritik mit guter Unterhaltung, Spannung und der Darstellung liebenswerter interessanter Charaktere. (Bestellen bei Missing Link)
Murielle Rousseau: A table. Die wunderbaren Rezepte meiner französischen Familie. Hildesheim: Gerstenberg 2007. Kart., S. 183, Euro 19,90 € Mit viel Liebe und Witz erzählt Murielle Rouseau von den Kochkünsten ihres Vaters und der verehrten Grossmutter »Mamie«. Es ist ein Buch über die Gute tägliche französische Familienküche, die manchmal gar nicht so weit von der deutschen Küche ist, wie Fricassee de chapon et carottes avec creme fraiche (Hühnerfrikasse mit Karotten und Creme fraiche). Es gibt aber natürlich auch typisch französische Gerichte, wie Artichauts aux quatre sauces (Artischocken mit vier Saucen) oder eine selbstgemachte Pate de foie (Leberpastete). Das Hohelied auf den Käse, eine famose Auswahl von Patisseries und Desserts sowie den täglichen Schluck Wein, empfohlen von einem echten Weinkenner. Themenbezogene Geschichten, Bilder und Zeichnungen aus der Zeit der Grossmutter machen das Buch zu einem grossartigen Schöker und Kochvergnügen. (Bestellen bei Missing Link)
Irene Dische: Großmama packt aus München, Dtv 2006. (3. Aufl. 2007) Kart., S. 379, Euro 9,50 € In ihrem mit autobiografischen Zügen versehenen Buch schildert Irene Dische das Schicksal einer deutsch-amerikanischen Familie im 20. Jahrhundert. Dabei geben die Frauen den Ton. Irenes Großmutter Elisabeth, aus dem Rheinland stammend, erwählt den jüdischen Arzt Carl Rother zum Ehegatten und zieht mit ihm in seine schlesische Heimat. Bald kommt die Tochter Renate zur Welt und das Glück scheint vollkommen. Aber die Nazis drangsalieren Carls Familie. Alle, die nicht auswandern, sterben schließlich im KZ. Obgleich Carl Weltkriegsteilnehmer und zum Katholizismus übergetreten ist, erkennt Elisabeth die Gefahr und sorgt dafür, dass die Familie - wenn auch auf den letzten Drücker - heil in die USA gelangt. Als auch das Faktotum Liesel, offiziell nur Hausmädchen, in Wahrheit aber die einzige Konstante im turbulenten Haushalt der Rothers, in die USA nachkommen kann, sind alle wieder vereint. Renate wird Pathologin, zeugt mit dem weltfremden jüdischen Forscher Dr. Dische die Tochter Irene und den Sohn Carlchen, trennt sich schließlich von Dische und findet ein spätes Glück an der Seite eines älteren Arztes, der jedoch ebenso wie ihr Vater an Krebs verstirbt. Während Carlchen von zurückhaltender Natur ist, trampt seine Schwester unstetig durch die Welt. Das Buch erzählt ohne Wehmut, aber durchaus kämpferisch und humoristisch, so beantragt Elisabeth für sich und Liesel Wiedergutmachung in Deutschland: » Und wieder trug die Haushälterin den Sieg davon. Ihre Rente war höher als meine«. Bei allem Humor bleibt der Realismus nicht auf der Strecke, so wenn Elisabeth über ihren unversöhnlichen Nazibruder Otto oder die Freunde aus Schlesien erzählt, die in der Nazizeit nichts mehr von Ihnen wissen, aber hinterher Pakete und Unterstützung bei der Entnazifizierung wollen. 379 Seiten gute Unterhaltung und Geschichtsvermittlung. (Bestellen bei Missing Link)
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