KrimiKurier No.26 Sommer 2008 »Er verabscheute diese Leute, die zu beschützen er gleichwohl den Auftrag hatte; trotzdem gehörte er zur anderen Seite, zum Kontinent der Lumpen, Strolche und Bettler, zu diesem Indien der Finsternis, indem es wimmelte, nach Räuberwerk, verrotteten Blumen und Scheiße roch und das ihn mit aller Kraft zurückstieß« Liebe Leser, Bekannte und Freunde, der KrimiKurier diesmal mit Wider den Zeitgeist: MANFRED WIENINGER: Rostige Flügel. Ein Marek Miert Roman Ermittler mit Hundeinstinkt: GUNTER GERLACH: Tod in Hamburg Mord in Britisch-Indien: PATRICK BOMAN: Peabody geht in die Knie World Wide Web-Manipulation: CHARLES Den TEX: Die Macht des Mr. Miller Kriminalreportagen aus der Metropole: PIEKE BIERMANN: Der Asphalt unter Berlin Der Marchese: NORBERT KLUGMANN: Kabinett-Stück Krimijahrbuch 2008: Hg. CHRISTINA BACHER, ULRICH NOLLER, DIETER PAUL RUDOLPH Wie der Vater, so der Sohn: FRIEDRICH ANI: Wer lebt, stirbt Krimidebüt: SASCHA PRANSCHKE: Veits Tanz Und für alle, die nicht nur Krimis lesen, gibt es meine neue Kolumne LESEN MIT LEHMER auf der Internetseite der Stadtbuecherei Hamm zum Thema FUSSBALL 2008 (www.hamm.de).
Ein Blick auf "Die Befragungen", den Fragebogen für deutsche und internationale Krimiautoren lohnt immer: www.alligatorpapiere.de/befragungindex.html. Gisela Lehmer-Kerkloh
Manfred Wieninger: Rostige Flügel. Ein Marek Miert Roman. Innsbruck, Wien: Haymon Verlag 2008. Geb., S. 228, 18.90 €. Manfred Wieningers anachronistischer Held, der Discount Detektiv Marek Miert erlebt sein fünftes Abenteuer. Bewährter Schauplatz ist die fiktive österreichische Kreisstadt Harland, die einzige Stadt, in der ein Marek Miert erfolgreich agieren kann. Hier kennt er sich aus und weiß um die kriminellen Machenschaften im abbruchreifen Bahnhofsviertel, wo er auch sein Wohnbüro hat. Er trinkt Kaffee mit der dort ansässigen Puffmutter, deren Hotel zugleich auch das Hauptquartier der Ukrainermafia ist, die den Rauschgifthandel kontrolliert und im großen Stil betreiben will. Miert kennt Harlands korrupte Polizei, allen voran sein ständiger Widersacher Leutnant Gabloner. Als ein eigensinniger Buchhändler die Suche nach einem längst vergessenen Zwangsarbeiterlager nicht aufgeben will, bekommt auch Miert wieder zu spüren, wie die Verdrängungsmechanismen der alteingesessenen Harlander mit der Nazivergangenheit funktionieren. Mit seiner gewohnt cholerisch, selbst-ironischen Art und frechen Sprüche als Waffe, hilft er fast widerwillig mit, die Rauschgiftszene aufzumischen und die Existenz eines Fremdarbeiter-Lager aus dem Dritten Reich aufzudecken. Am Ende hat Miert nichts dazu gewonnen, aber seine Moralität um Haaresbreite gerettet und vielleicht ein bisschen Hoffnung und menschliche Wärme in das Leben einiger von der Gesellschaft Ausgestoßener gebracht (Bestellen bei Missing Link)
Gunter Gerlach: Tod in Hamburg. Brahm ermittelt. Hamburg: Ellert&Richter Krimi 2008. Kart., S. 192, 8.95 € Brahms Vater ist sauer als Brahms, der hanseatische Kaufmannssohn, das Familienunternehmen, Kaffee-Import und Großrösterei, nicht übernehmen will. Stattdessen spielt er in einer Band und hat sich selbst zum Privatdetektiv ernannt. Denn Brahms hat ein Geheimnis, er ist halb Mensch, halb Hund. Nicht nur seine Gebärden, seine große Nase und sein langes, struppiges dunkles Haar verweisen auf den Hund, auch sein ausgeprägter Geruchssinn und sein untrügbares Ermittlungsgespür zeichnen ihn aus. Und das muss Brahms unter Beweis stellen, als er Robert Manley, Bandkollege und Mädchenheld, tot in seinem Haus findet. Brahms schnüffelt es sofort, hier war eine Überdosis Rattengift im Spiel. Kommissar Bernd Peterson, ein alter Freund seines Vaters, überlässt Brahms die Befragungen im Bekanntenkreis und kümmert sich mehr um kulinarische Genüsse. Komisch nur, dass alle Freunde Brahms gegenüber behaupten, Manley schon lange gehasst und wahrscheinlich auch umgebracht zu haben. Und hatte Brahms dem dominanten Bandmitglied nicht selber das ungewöhnlich gefährliche Rattengift besorgt. Wie immer begeistert Gerlach mit außergewöhnlichen Typen, allen voran Lutz Ludwig Brahms, der liebenswerte Hund, einer guten Geschichte und sanfter Psychologie. (Bestellen bei Missing Link)
Patrick Boman: Peabody geht in die Knie. Zürich: Unionsverlag 2007. S. 138, 8.90 €. Peabody geht in die Knie ist ein Krimi um einem fetten, schwitzenden, sich ständig kratzenden, an einer ekligen Zigarre nuckelnden, an Ruhr leidenden und auf Hindu fluchenden englischen Polizisten, der um 1900 im britischen Indien spielt. Der franko-schwedische Autor Patrick Boman zeigt in seinem frechen, unterhaltsamen Buch die Absurdität des britisch-indischen Miteinanders auf und schickt Peabody, unbestechlich und mutig, sowohl gegen die korrupte britische Verwaltung als auch gegen fanatische Inder in den Ring. Peabody hat es gleich mit mehreren Leichen zu tun: dem nachtblau eingefärbten Rumpf eines Unbekannten im Trog eines frommen Färbemeisters, dem erdrosselten Ingenieur Miller von der Eisenbahn, ein Freund des Gouverneurs, sowie mit den über einem Feld verstreuten Gliedmassen eines unbekannten Inders. Unsentimental und rasant geschrieben, ohne moralinsaure Belehrungen. (Bestellen bei Missing Link)
Charles den Tex: Die Macht des Mr. Miller. Dortmund: Grafit Verlag 2007. Kart., S. 447, 10.50 € Michael Bellicher ist mit sich und der Welt im Reinen: ein junger dynamischer Unternehmensberater bei einer international tätigen Firma in Amsterdam mit einer hübschen Freundin ebenfalls Unternehmensberaterin. Als sein Bruder Kees nach mehrjährigem Aufenthalt in den USA nach einer Geschlechtsumwandlung als seine mit allen weiblichen Vorzügen ausgestattete Schwester Kirsten zurückkehrt, wirft ihn das völlig aus der Bahn. Michael vergisst seine Mandantentermine und gibt sich dem Alkohol hin. Er steht vor dem Rauswurf, schließt sich in der Firma ein und wird dabei Zeuge eines Mordes. Einige Zeit später wird die Leiche in der Firma gefunden. Nach den offiziellen Unterlagen war zum Todeszeitpunkt nur Michael in der Firma. Michael versucht seine Unschuld zu beweisen - aber nicht nur die Polizei, sondern auch die Schergen des unheimlichen Mister Miller sind ihm auf den Fersen. Charles den Tex erhielt für das Buch den niederländischen Krimipreis 2006. Ein packender Thriller, der die Manipulationsmöglichkeiten des World Wide Web beängstigend vor Augen führt. Als ehemaliger Kommunikations- und Managementberater lässt den Tex zudem seine profunden Kenntnisse der Consultingbranche einfließen. (Bestellen bei Missing Link)
Pieke Biermann: Der Asphalt unter Berlin. Bielefeld: Pendragon 2008. Großformat Paperback, S. 256, 14.90 € Der Asphalt unter Berlin beinhaltet 28 Kriminalreportagen zwischen Juni 2003 und März 2008, die im Tagesspiegel gedruckt und im RBB-InfoRadio ausgestrahlt wurden. Dabei geht es der Kriminalautorin Pieke Biermann nicht um spektakuläre Enthüllungen von Tat und Tätern. Vielmehr beschäftigt sie sich mit der alltäglichen Kriminalität, der die Medien meist nur einen Zweizeiler widmet. Thematisch gegliedert verdeutlicht Pieke Biermann an Einzelschicksalen was Kriminalität mit den Opfern, ihren Angehörigen, Zeugen, Polizisten und Helfern macht, gibt ihnen ein Gesicht und eine Geschichte. Sie berichtet von der täglichen Angst der Beteiligten, wenn Gewalt plötzlich in die normale Welt einbricht, so wenn Verkäuferinnen von Billig-Drogeriemärkten Opfer von Raubüberfällen werden, und Busfahrer plötzlicher Gewaltausbrüche von Fahrgästen ausgesetzt sind, von Menschen, die Zeugen in zu Mord führenden Familienstreitigkeiten wurden, von Polizisten, die sich mit dem Tod des Kollegen während eines Einsatzes abfinden müssen, wie die Grauzone zwischen Legalität und Kriminalität zu fingierten Firmenbankrotten genützt werden und die High-Tech-Kriminalität neben die traditionellen Gewalt und Einschüchterungsverbrechen tritt. Biermann thematisiert die explodierende Jugendgewalt mit Angriffen auf alle, die anders sind, und die Gewalt unter Jugendlichen, die verstärkt auch von Mädchen ausgeübt wird. Sie schreibt engagiert und sachlich, beschönigt nichts, dramatisiert aber auch nicht und betreibt keine Schwarz-Weiß-Malerei. (Bestellen bei Missing Link)
Norbert Klugmann: Kabinett-Stück. Meßkirch: Gmeiner-Verlag 2006. Kart., S. 342, 9.90 € Der Marchese ist ein ungewöhnlich kultivierter und gut aussehender Geschäftsmann, der in Sachen Wein sowohl mit den Reichen und Mächtigen als auch mit der Unterwelt kooperiert und alle Türen öffnen kann. Ihn verbindet ein dunkles Schicksal mit dem alten Weinpapst Mendel Grünfeld und dessen Frau Jadwiga (vgl. Rebenblut 2003; Schlüsselgewalt 2004). Der dritte Fall führt den Marchese nach Rheinhessen. Hier will er dem Weinbauern Maik einen smarten Geldgeber verschaffen, der ihm ein hohes Darlehen zur Verwirklichung seiner ehrgeizigen Zukunftsvisionen in Aussicht stellt. Als jedoch erst Maiks Mutter an Bauspeichelkrebs stirbt und sich dann Maiks Vater, der nicht vom gewohnten Produzieren für die Genossenschaft abrücken will, erhängt, kommen die Geschäfte ins Stocken. Klugmann beschränkt sich nicht auf die Darstellung der Situation der kleinen Weinbauern, sondern macht auch immer wieder deutlich, dass das "Geschäft" mit dem Wein kein romantisches mehr ist, sondern von mehr oder weniger seriösen internationalen Organisationen bestimmt wird. Er beschreibt einerseits sehr realistisch und unsentimental, andererseits spielt er durch Überzeichnungen, wie z.B. im Fall der schießwütigen und dem Marchese verfallenen Kommissarin, geschickt mit gängigen Klischees. Kabinett-Stück ist ein packendes und tiefgründiges Buch. (Bestellen bei Missing Link)
Christina Bacher, Ulrich Noller, Dieter Paul Rudolph: Krimijahrbuch 2008. Wuppertal: NordPark 2008, KrimiKritik 10. Kart., S. 299, 12.00 € Seit 2006 erscheint das Krimijahrbuch im NordPark Verlag. In der Ausgabe 2008 findet man viel über klassische und neue Bücher, Filme und Hörbücher aus der Welt des Krimis. Einleitend plaudern Ulrich Noller und Dieter Paul Rudolph über deutschsprachige und internationale Krimis aus dem Jahre 2007. Es folgen Beiträge zur Modernität alter Krimis und zu modernen Historienkrimis zur Zeit der Weimarer Republik. Weiterhin viele informativen Rezensionen, Hintergrundberichte, Interviews so mit Sabine Deitmer und Autorenportraits, z.B. über Gunter Gerlach. Axel Bussmer schreibt über Kriminalfilme 2007; Jost Hindersman über die TV-Serie Life on Mars aus den Siebzigern. Auch ein Nekrolog für das Jahr 2007 und einen Überblick über die wichtigste Sekundärliteratur von Thomas Przybilka fehlen nicht. (Bestellen bei Missing Link)
Friedrich Ani: Wer lebt, stirbt. München: dtv 2007 Kart. , S. 221, 7.95 € Jonas Vogel und sein Sohn Max arbeiten bei der Münchner Kriminalpolizei. Jonas Vogel ist bei der Mordkommission, sein räumliches Vorstellungsvermögen und seine Gabe, Stimmen zu erkennen, haben ihm den Spitznamen "Der Seher" eingebracht. Sein Sohn Max wäre auch gerne bei der Mordkommission, was aber die Vorschriften aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen verhindern. Trotzdem arbeiten Vater und Sohn erfolgreich zusammen, tauschen Informationen und Mutmaßungen aus. So auch in den Fällen des Mordes an einem privaten Wachmann, mit dessen Aufdeckung Jonas betraut ist, und der Entführung der Sekretärin und Geliebten eines teureren Münchner Rechtsanwaltes, wo die Sonderkommission von Max geleitet wird. Die Vogels wittern Zusammenhänge, die die Ermittlungen bekräftigen. Dann erleidet Jonas Vogel einen Unfall und Max übernimmt die Aufklärung des Mordfalls (Bestellen bei Missing Link)
Sascha Pranschke: Veits Tanz. München: Verlag der Criminale 2007 Kart., S. 176, 12.90 € Veit, Sohn einer Seiltänzerin und eines Kunstspringers, arbeitet als Lastwagenfahrer in der Spedition des früheren Zirkusdirektors Carlo. Veit ist ein guter Dostojewskikenner, Spieler und Einbrecher. Während eines Einbruchs in eine Baden-Badener Villa wird er von der Medizinerin Eva überrascht. Eva ist eine skrupellose Karrieristin, die im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht. Sie hat sich ganz der Genforschung verschrieben und wird von einer humanen Menschenrechtsorganisation bedroht. Aber auch die Polizei und ein Privatdetektiv wundern sich über die vielen Leichen in Evas Umfeld. Veit willigt ein, Eva bei einem Versicherungsbetrug zu helfen, stolpert beim Diebstahl des Bildes aber über die Leiche von Evas Assistentin. Veit versteckt das gestohlene Bild bei seinem altem Zirkusfreund Fredo. Fredo war vor 18 Jahren, kurz nach dem tödlichen Unfall von Veits Vater spurlos verschwunden und ist erst vor kurzem als Mosche Gurfinkel, ein jüdischer Gelehrter, wieder aufgetaucht. Er war nicht nur ein berühmter Entfesslungskünstler, sondern auch ein Meister im kopieren von Gemälden. Mit Veits Tanz ist Sascha Pranschke ist ein spannendes, gut geschriebenes Krimidebüt gelungen. Unsentimental und glaubhaft erzählt es von der Vielschichtigkeit der menschlichen Existenz und seiner mannigfaltigen Verstrickungen durch Zufälle und Schicksal. (Bestellen bei Missing Link)
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Reise nach Fuerteventura ist Erholung pur.