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DIE DESTRUKTIVE VARIANTE.
Ein Krimi von
Stefan Lichtblau. Teil 2
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Mey hastete über die letzten Stufen der Gerichtstreppe und erreichte den Gerichtssaal, kurz bevor der Richter aus der Tür neben dem Verhandlungstisch trat. Die letzten Stunden einer anstrengenden Verhandlungszeit brachen an, während Mey schon die Formulierung des letzten Absatzes skizzierte. Er hatte eine sichere Quelle im Sekretariat und wußte, daß Richter Malzich seinen harten Stil, den er während der Prozeßtage gepflegt hatte, auch in seinem Urteil fortführen würde. Unter zweimal lebenslänglich konnte er die Krankenschwester nicht aburteilen, wenn er die Vorgaben der Staatsanwaltschaft überschreiten wollte und das hatte er seit Beginn des Prozesses vor. Die Krankenschwester hatte auf der Intensivstation ihres Krankenhauses alte Menschen durch Spritzen mit den Wirkstoffen Clonidin und Kalium in den Tod befördert. 48 Patienten waren während ihrer dreijährigen Dienstzeit gestorben und nachdem in einem der aufwendigsten Ermittlungsverfahren der deutschen Justiz alle 48 Opfer ausgegraben und exhumiert worden waren, konnte zweifelsfrei festgestellt werden, daß sie keines natürlichen Todes gestorben waren. Die Verteidigung versuchte, die Schuld der Klinik zuzuweisen und hoffte, durch einen Freispruch balkenhohe Schlagzeilen und schwindelerregend hohe Honorare zu bekommen und die Staatsanwaltschaft war bemüht, eine Bestie zu schaffen, um das System zu schützen und eine reiche politische Ernte einzufahren. Malzich war in den letzten Jahren enorm aufgequollen, was ihn bei einer Größe von 1,93 und inzwischen 130 Kilogramm Gewicht zu einer beeindruckenden Gestalt der Rechtsprechung hatte werden lassen. Er haßte Versager, schlechte Verteidiger und Staatsanwälte, die nach politischen Ämtern schielten. Und er liebte es, Ihnen in harten und bösen Worten Urteile um die Ohren zu schlagen, die Karrieren zerstörten oder zumindest stark behinderten. Mey genoß die Urteilsverkündung in vollen Zügen. Der Richter war in blendender Verfassung und verkündete das Urteil in glasklaren, brillant formulierten Sätzen wortgetreu aus dem Gedächtnis nach dem Skript, das Mey schon vorlag, so daß Mey seine Analyse als einer der ersten Reporter an seine Zeitung durchgeben konnte und zur Feier des Tages seine Stammkneipe aufsuchte.
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Die von den Meteorologen angekündigte Hochdruckfront ließ an ihrer Ostseite kalte Luftströmungen aus dem Baltikum eindringen, so daß die fünf Herren und die Dame fröstelten, als sie sich in den frühen Morgenstunden dieses Montags vor dem Haupteingang der Hafengesellschaft begrüßten und in den Konferenzraum geführt wurden. Nach scherzhaftem Geplänkel bei Kaffee und Brötchen räusperte sich Jens Haber, der Geschäftsführer der Hafengesellschaft, einem Unternehmen der Stadt Neuss und erläuterte mit drastischen Worten die Gründe für die Unterdeckung von 1,2 Millionen Mark, die das vergangene Geschäftsjahr dem Hafen beschert hatte. "...veraltete Anlagen, eine miserable Eisenbahn- und Straßenverkehrsanbindung, weil Ihre Partei sich mit den Grünen nicht über den Ausbau beider Verkehrswege einigen kann oder will. Kurz gesagt: dieser Hafen ist in Konzeption und Zustand nicht aus den fünfziger Jahren herausgekommen und schlägt bei stetig sinkendem industriellen Kundenstamm nur noch einen wenig lukrativen Produktmix aus Düngemitteln, Getreide und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen um, der eine Kostendeckung nicht mehr zuläßt. Seit Monaten haben Sie den Entwurf meines Teams und den Kostenvoranschlag für ein Gutachten der Lockwood/Bühler Consulting, einem Hafenentwicklungsspezialisten, für ein modernes, die durchgehende Abwicklung des Transports vom Hersteller bis zum Empfänger umfassendes Dienstleistungskonzept vorliegen, das uns im Wettbewerb mit den Konkurrenzstandorten einen entscheidenden Vorsprung geben würde. Es liegt nun an Ihnen, die Bewilligung des Gutachtens im Aufsichtsrat durchzusetzen, aber es muß Ihnen klar sein, daß ohne einen Ausbau auf Grundlage dieses innovativen Konzepts der Neusser Hafen tot sein wird. Zur Verdeutlichung: sollte der Aufsichtsrat das Gutachten nicht in Auftrag geben, wird er gezwungen sein, sich am gleichen Tag nach einem neuen Geschäftsführer für dieses Unternehmen umzusehen." Die Zeit für Scherze war vorbei. Die Morgensonne hatte die Feuchtigkeit auf den Straßen und Gebäuden des Hafengebäudes aufgesogen und die Fahrer der beiden Limousinen, die jene vier Herren und die eine Dame hierhingebracht hatten, wärmten sich in den Sonnenstrahlen, die zwischen den Gebäuden des Hafenbeckens III hindurch auf den Parkplatz der Hafenverwaltung fielen, als die Politiker eine Stunde später diskutierend das Verwaltungsgebäude verließen und in die Autos stiegen. Karl Siever, der Fahrer des dunkelblauen Mercedes, trat seine Zigarette aus und nahm nach einem tiefen Durchatmen den Fahrersitz ein und setzte den Wagen mit den drei heftig über Strategie und Abstimmungsverhalten diskutierenden Passagieren in Bewegung. Zwei Stunden später erhielt Kent Carlsen einen längeren Anruf und wählte nach Beendigung des Gespräches eine Neusser Telefonnummer. Ein Ausdruck der Zufriedenheit breitete sich auf Carlsens Gesicht aus. Er klopfte kurz an das Büro seines Assistenten und legte einen Zettel auf dessen Schreibtischunterlage. "Frank, rufen Sie bitte diese Herren der CDU und der FDP in Neuss an und erwähnen Sie eine undichte Stelle in der Hafenverwaltung, die von einer Geheimsitzung der SPD-Ausschußmitglieder heute morgen im Hafen gesprochen hätte. Fragen Sie, ob es stimmen würde, daß sie die SPD-Position im Aufsichtsrat der Hafengesellschaft unterstützten, ein teures Gutachten zur Zukunft der Hafengesellschaft in Auftrag zu geben. Das dürfte die Entscheidungsfindung des Aufsichtsrates etwas verzögern. Aber auf lange Sicht müßte ein stärkeres Kaliber eingesetzt werden. Die Stadt muß dazu gezwungen werden, den eigenständigen Ausbau des Hafens zu vegessen."
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Am 14. März wurde die Kerngruppe der Groupe rhin urbane überraschend zu einem Blitztreffen nach Paris in einen Konferenzraum des Tour Montparnasse beordert. Als die Mitglieder mit Aktenkoffern und Kleidersäcken den Raum betraten, war Mullers Memoboard schon aufgebaut und die Gruppe ließ sich an einem kleinen, ovalen Konferenztisch nieder. "Dieses Treffen wurde gestern abend von Pachinco überraschend veranlaßt, um eine letzte Standortbeschreibung an die Kerngruppe weiterzuleiten, bevor die Planung in die entscheidende Phase mündet," zitierte Muller verstimmt den abendlichen Anruf. "Die taktischen PR-Maßnahmen haben schon begonnen und werden in den nächsten Tagen die Vorbereitungsgespäche medienwirksam begleiten," führte Muller in routiniert gelangweiltem Tonfall aus, als frage er sich, wozu bei der exzellenten Planung ein Eiltreffen vonnöten war. "Einen Augenblick bitte, Muller," warf Pachinco ein und Muller unterbrach mißmutig seinen Vortrag. "Die Vorbereitungsgespräche waren tatsächlich für die nächsten Tage geplant. Aus gegebenem Anlaß sind wir leider gezwungen, den ganzen Ablauf grundlegend zu verändern." Muller blickte überrascht zu LeConti, dann zu Pachinco. "So einfach geht das nicht, Pachinco," warf er erregt ein. "Das muß erst in die Planungsgruppe eingebracht werden, um dir Logistik abzuklären!" "Die absolute Weisungsbefugnis betrifft auch die Planungsgruppe," entgegnete Pachinco kalt. "Ich werde keine Diskussionen führen, wenn die Situation schnelles Reagieren erfordert." "Unsere Gruppe muß nicht mehr beweisen, daß sie effektiv und flexibel reagieren kann." "Bitte, meine Herren. Ich betone ein letztes Mal, daß hier ein professionelles Team versammelt ist. Ich wünsche keine Diskussionen aus gekränkter Eitelkeit." LeContis Stimme schnitt in den Raum. "Ich habe Pachinco aus gutem Grund vorrangige Handlungsvollmacht erteilt. In diesem Augenblick ist er ja dabei, Ihre Planungsgruppe von der Änderung des Plans zu informieren, Monsieur Muller, das muß genügen. Fahren Sie bitte fort, Pachinco." Pachinco zog einen Teleskopstab aus der Tasche, zog ihn auseinander und trat an das Luftbild, das Muller am Memoboard befestigt hatte. Er umkreiste mit dem Stab das Tortenstück mitten in der �Rheinklammer�. "Dieser Teil des Plans ist programmgemäß angelaufen und entwickelt sich ganz nach dem vorgegebenen Muster." Er tippte mit dem Stab auf die Hafenanlage. "Gestern morgen hat sich jedoch die politische Behandlung der Hafenproblematik überraschend in eine Richtung entwickelt, die unser Konzept ernsthaft gefährdet. Es wäre taktisch unklug, zu diesem Zeitpunkt die geplanten Gespräche mit den Gremien aufzunehmen, da die Entwicklung eskaliert und unser Konzept in diesem politischen Reizklima Munition für eine medienträchtige Schlammschlacht werden könnte. Das würde einerseits zuviel öffentliches Interesse an den Initiatoren des Plans wecken und andererseits zu einer unerträglich langen Entscheidungsfindung führen. Es wird notwendig sein, die Diskussion der Stadt Neuss, die sich jetzt auf eine reine Hafenlösung konzentriert, zu verlagern und unserer Lösung anzunähern." "Die destruktive Variante." sagte Muller. "Richtig. Diese hatten wir prophylaktisch geplant, falls der Widerstand gegen die Übernahme zu groß werden würde. Diese Variante werden wir nun tatsächlich durchführen müssen und das innerhalb eines wesentlich kürzeren Zeitraums, als geplant. Die erste Aktion muß innerhalb der nächsten drei Wochen stattfinden, und zwar hier." Pachinco zeigte auf einen riesigen Gebäudetrakt zwischen Hafenbecken II und III. "Bitte LeFevre." LeFevre trat ans Memoboard. "Die wichtigsten Maßnahmen zur Durchführung der destruktiven Variante habe ich mit der Planungsgruppe natürlich sofort nach der Entscheidung für das Rheinklammer-Projekt in die Wege geleitet, um jederzeit reagieren zu können, so daß sich das Material für die erste Aktion seit genau 36 Stunden hier in diesem Teil des Gebäudetrakts befindet." Er legte den Zeigefinger auf die Fensterfront im Erdgeschoß eines Lagergebäudes. "Dieses Objekt liegt ideal - zentral in den Hafenanlagen, trotzdem nahe genug am Neusser Zentrum, der Autobahn und dem Schienennetz. Die Wirkung wird beim Einsatz relativ geringer technischer Mittel phänomenal sein - verheerend für den Standort!" Sein verbissenes Gesicht bekam für einen Augenblick einen zufriedenen, fast glücklichen Ausdruck, aber LeFevre hatte sich schnell wieder unter Kontrolle.
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André, der gepflegte und kultivierte Inhaber der Kunsthandlung Herenveen, legte Carlsen Einzelstücke aus den Vitrinen vor, eine Prozedur, die sie seit einem halben Jahr pflegten. Immer berührte Carlsen liebevoll die Objekte, Elfenbeinschnitzereien aus Japan, Masken aus Afrika, Silber- und Goldschmiedearbeiten aus Belgien, bevor er bedauernd mit den Schultern zuckte. André hatte ein sehr ausgewähltes Sortiment, dessen reizvollste Stücke Carlsens Möglichkeiten in diesem Jahr leider überstieg. Heute jedoch war es anders, so etwas spürte André nach dreißig Berufsjahren. Instinktiv führte er Carlsen zum ersten Mal in den hinteren Raum seines Geschäftes. "Vor ein paar Tagen habe ich eine besonders schöne Arbeit erhalten. Es würde mich interessieren, ob sie auf Sie eine ähnliche, beinahe magische Faszination ausübt, wie auf mich." Er öffnete mit einem Schlüssel die Schlösser eines fast zwei Meter breiten Schubladenschrankes und hob aus der obersten Schublade einen länglichen, in dunkelroten Samt geschlagenen Gegenstand heraus. Vorsichtig legte er ihn auf einen Tisch und betätigte zwei Schalter unter der Tischplatte. Die Wandleuchten erloschen und der Raum versank für Sekunden im Dunkel, bis drei Halogenlampen das rote Tuch anstrahlten. Bedächtig, aber effektvoll schlug André die Lagen des Tuches zurück und plötzlich brach sich das Licht tausendfach in den Edelsteinen, die den Schwertknauf verzierten. Das gehämmerte Gold des Futterals blitzte auf und schimmerte, als begänne es zu glühen. Carlsen lächelte und zufrieden registrierte André das Glimmen in Carlsens Augen. "Eine persische Arbeit, wahrscheinlich 320 nach Christus entstanden, unter der Herrschaft der Sassaniden. Ein Schmuckschwert als Erinnerung an eine siegreiche Schlacht. Eine wunderschöne Arbeit, nicht wahr?" André legte eine Lage des Tuches über den Knauf, doch Carlsen faßte sein Handgelenk und schlug das Tuch wieder zurück. Sein Blick wanderte über dieses Meisterwerk des 2. Persischen Großreiches. Mit einem verschlagenen Lächeln dankte André seinen Instinkten. "Ein Notverkauf im Auftrag eines Kunden", bemerkte er. "Das Solinger Klingenmuseum hat starkes Interesse, aber es dauert ewig, bis all die Gremien sich einig werden. Leider wird mein Kunde immer nervöser." "Wieviel ist es wert?" Carlsens Blick war vernebelt, als erwachte er aus einem tiefen Schlaf. "Über den Wert wage ich nicht zu sprechen, angesichts des Betrages, zu dem der Kunde in seiner Verzweiflung inzwischen verkaufen will." "Wieviel?" André seufzte. "Der Wert dürfte zwischen 195.000 und 210.000 DM liegen. Ich befürchte, der Kunde würde inzwischen sogar 150.000 DM akzeptieren." André kannte den Ausdruck in Carlsens Augen aus unzähligen Verkaufsgesprächen. Im gepflegten Kreis bezeichnete er ihn als Kaufsignal, aber in Wirklichkeit signalisierte er nichts anderes als Habgier. Carlsen sah durch ihn hindurch, dann betrachtete er wieder das Schwert und benetzte nervös seine Lippen. Er wußte, daß er in Ruhe darüber schlafen sollte. Wieder betrachtete er das Meisterwerk, seine Fingerspitzen berührten eine Edelsteinfassung und eine unheilvolle Idee ging ihm durch den Kopf.
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An diesem dunstigen Freitag betrat Baltes das Büro erst in den Abendstunden. Der Tag war hektisch, anstrengend, aber befriedigend verlaufen, denn vor einer Stunde war die Planung des Kongresses 'Innovation für Deutschland - Wege aus der Krise' endlich in die letzte Phase gekommen. Die Videowand, die gesamte technische Ausrüstung und die Internetschaltung waren aufgebaut und getestet worden, die Sicherheitsexperten und der Personenschutz hatten befriedigt die Umsetzung ihrer Vorschläge verfolgt und der Zeitplan des folgenden Tages war vom Blumenschmuck der Säle bis zur Ausstattung der Minibars in den Limousinen, die die Teilnehmer zum Flughafen zurückbringen würden, minutiös durchgespielt worden. Spitzenmanager standen auf der Rednerliste oder hatten sich zum Besuch angemeldet, Bill Gates saß in New York und freute sich auf die Internetkonferenz mit Kuben Matsushita in Tokyo und Tony Blair in London und Carlsen war seinem Schreibtisch an diesem Tag wieder einmal gänzlich ferngeblieben. Baltes klaubte das Zeichen von Carlsens Rückenlehne, wo er es gestern deponiert hatte und rief mit Carlsens Codenummer dessen private digitale Mailbox ab. "Kennyboy, hier spricht André. Ich habe das Geschäft für ein paar Tage geschlossen. Wir können morgen, wenn du möchtest, die Schatulle besichtigen. Sie ist in Namur in Belgien. Bis gleich." hörte er wieder. Baltes tippte die Ziffer zum Archivieren der Nachricht und verschloß Carlsens Büro. Die Nachricht war gestern nachmittag eingegangen und zwanzig Minuten danach hatte Carlsen sich mit seinem Autotelefon für eine auswärtige Recherche abgemeldet und seitdem nichts mehr von sich hören lassen. Baltes hatte die Verschwörungen, die Carlsen im Bonner Milieu konstruiert hatte, immer mit Bewunderung verfolgt, aber in den zurückliegenden Wochen hatte nicht nur er bemerkt, daß Carlsens Engagement merklich nachgelassen hatte. Während Baltes die großen Vernetzungen plante und bis in die Abendstunden zwischen Schreibtisch und Konferenzen pendelte, hatte Carlsen das Büro oft um die Mittagszeit verlassen und erst am nächsten Morgen wieder betreten. Er war so unkonzentriert, daß er seine private Codenummer in Baltes Anwesenheit eingetippt hatte, ein Fehler, den er sich vorher nie erlaubt hätte. Früher wäre ihm wahrscheinlich auch aufgefallen, daß Baltes inzwischen über einen Schlüssel zu seinem Büro verfügte und sich recht gut in seinen Akten auskannte. Baltes warf sein Jackett auf einen Stuhl und tippte die Nummer für ein Ferngespräch ein, eine Nummer, die er inzwischen auswendig wußte. Pachinco beendete das Gespräch und wählte Sandy Glücks Nummer. "Sandy, hat Carlsen für seine Zahlungsanweisungen auch belgische Konten angegeben? Ich muß wissen, wer die Empfänger sind. Und besorge mir bitte eine Liste seiner privaten Kontobewegungen. Ja, inklusive Kreditkarten."
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Pachinco drückte auf das unbeschriftete 15. Schild und antwortete auf das unvermeidliche "Ja bitte?" mit "Kaiser Wilhelm". Carlsens Begrüßung war überschwenglicher denn je und mit Freude bemerkte er, daß Pachinco wieder seinen dezenten Aktenkoffer hereintrug. Pachinco nahm Platz und registrierte unauffällig die Veränderungen in Carlsens Versteck. Die Sonnenblumen waren verschwunden und hatten einem ebenso großen David Hockney Platz gemacht und neben den neu hinzugekommenen zweisitzigen Sofas waren Plastiken aufgestellt, links ein Stier von Masaré, rechts eine grob gehauene Figur mit Aktentasche von Balkenhol. In einer schlanken, hohen Glasvitrine lagen, von winzigen Halogenspots beleuchtet, drei Holzmasken aus Westafrika, außerdem prähistorischer kolumbianischer Schmuck und eine fein gearbeitete Elfenbeinschnitzerei aus Japan. "Nun, lieber Pachi, was führt Dich diesmal her?" fragte Carlsen ungeduldig und warf begehrliche Blicke auf Pachincos Aktenkoffer. "Ich hatte vor, Dir zu Deiner guten Arbeit zu gratulieren." Pachinco legte den Aktenkoffer neben sich auf das Sofa und ließ die Verschlüsse aufschnappen. "Ich wäre schon ein paar Tage früher gekommen, aber ich mußte noch etwas besorgen." Er öffnete den Koffer und stellte eine kunstvoll gearbeitete belgische Silberdose auf den Tisch. Freudestrahlend nahm Carlsen die Kostbarkeit in die Hände und ließ die Fingerspitzen über die filigrane Struktur aus dem 16. Jahrhundert gleiten. "Pachinco, woher wußtest Du, daß..." Abrupt verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht. "Öffne sie ruhig", forderte Pachinco ihn auf. Er schien angespannt, sein Lächeln wirkte heute bemüht und seinen Augen fehlte der Glanz. Mit einem leichten Zittern stellte Carlsen die Dose auf den Tisch, bevor er vorsichtig den Deckel anhob. Die Schatulle war 350 Jahre alt und makellos gearbeitet, dennoch quietschte der Deckel etwas, als er angehoben wurde und er fiel auch nicht wieder herab, als Carlsen ihn losließ und eine Hand an seinen Mund führte, als könne er nicht fassen, was er sah. Der prachtvolle Siegelring aus schwerem Gold mit den schwungvoll herausgeschnittenen Buchstabenkürzeln AH wäre allein Aufmerksamkeit und fassungsloses Staunen wert gewesen, aber er steckte an einem abgerissenen, äußerst gepflegten, erst vor kurzem manikürten Finger, den selbst die inzwischen eingetretene Blässe nicht entstellte. Carlsen erbrach sich auf die Auslegeware. "Habe ich Dir nicht gesagt, daß keine der Überweisungen mit Dir in Zusammenhang gebracht werden darf?" sagte Pachinco und reichte Carlsen ein Stofftaschentuch. Er rutschte auf die andere Seite des Sofas, um das Erbrochene nicht sehen und riechen zu müssen. Carlsen sprang auf und erbrach sich ins Spülbecken der kleinen Teeküche. Ein Zittern lief durch seinen Körper und unzählige Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. "Was ist mit André?" fragte er mit rauher Stimme. "Ein gräßlicher Unfall." Pachinco erhob sich und trat ans Fenster. "Er mußte wegen eines interessanten Angebotes nach Florida. Leider kenterte das Boot. Er hatte keine Chance. Es waren zu viele Alligatoren." "Ihr verdammten Dreckschweine", schrie Carlsen und stürzte sich aus der Teeküche auf Pachinco. Der holte ihn mit einem einzigen Schlag von den Beinen. "Du verdammter Idiot", brüllte er den Liegenden an. "Fast eine ganze Million bekommst Du von uns zu Deiner freien Verfügung, mit meiner ausdrücklichen Aufforderung, Deine repräsentativen Ausgaben nicht zu erhöhen, und statt dessen trägst Du das gesamte Geld zu dieser Schwuchtel." "Natürlich ist André schwul", schluchzte Carlsen in den Teppich, "aber ich habe das Geld nicht für ihn ausgegeben. Dieses persische Schwert war plötzlich auf dem Markt und ich hatte doch das Geld." Er rappelte sich auf und sah Pachinco flehentlich an, als bäte er um Verständnis. "Was weißt denn Du von..." "...von Liebe, willst Du sagen? Ich weiß, daß Du schon mal mit dem Arsch denkst, wenn Dir der richtige über den Weg läuft, aber daß Du komplett den Verstand verlierst, das habe ich nicht erwartet. Hast Du wirklich gedacht, daß die Überweisungen an André Herenveen nicht auffallen würden?" "Es war doch nur eine Überbrückung. Dafür gibt es eine plausible Erklärung", versuchte Carlsen schwach als Verteidigung. "Die ist jetzt nicht mehr nötig", sagte Pachinco. "Diese Kontobewegung haben wir inzwischen bereinigt. Reiß Dich zusammen, es sind noch ein paar wichtige Dinge zu erledigen." Er nahm seinen Aktenkoffer und ging zur Tür. Kurz davor drehte er noch einmal um und ging zurück. Er nahm die Silberdose vom Tisch und legte sie in den Aktenkoffer. "Mach keine Dummheiten", sagte er und verließ das Büro.
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