Home
|
DIE DESTRUKTIVE VARIANTE.
Ein Krimi von
Stefan Lichtblau. Teil 3
14
Der Anruf kam über den Anschluß, der als abhörsicher galt und Pachinco griff zum Hörer.
"Eben kam ein Tip von der Insel", sagte Sandy Glück. "Sie haben Anweisungen erhalten, die ihnen nicht ganz koscher vorkommen. Jeweils 350.000 DM auf drei verschiedene Konten, eines davon in Brasilien."
"Verstehe. Danke, Sandy." Pachinco tippte eine Nummer ein. "Was macht er?" fragte er.
"Er ist nervös. Trinkt zuviel. Hat wieder etwas aus seiner Sammlung unter Preis verscherbelt."
"In Ordnung. Hast Du den Bericht von gestern abgeschickt?"
"Müßte vor ein paar Minuten bei euch eingegangen sein."
"Gut. Bleibe an ihm dran. Ruf Martinez dazu. Wir dürfen ihn jetzt auf keinen Fall verlieren!"
Er drückte den Knopf der Gegensprechanlage und knurrte: "Bernadette, wo bleibt die Depesche aus Deutschland?"
"Der Bote ist gerade gekommen. Ich unterschreibe nur noch den Lieferschein."
"Geben Sie das Kuvert sofort hinein."
Einige Sekunden später öffnete sich die Tür. Bernadette kam herein, legte das Kuvert auf den Tisch und sagte frostig: "Bitte sehr." Ohne zu lächeln verließ sie das Büro.
Pachinco riß den Umschlag auf und überflog den Bericht des gestrigen Tages. Dann nahm er einen Schlüsselbund aus seinem Aktenkoffer und schloß die rechte Schublade seines Schreibtischs auf. Er zog die anderen Berichte heraus und las die einzelnen Seiten. Er übertrug Stichworte aus den markierten Textstellen und griff zum Telefon. Er gab zwei Adressen durchs Telefon.
"In dieser Nacht", sagte er. "Gebt sofort Bescheid, ich bin die ganze Zeit erreichbar."
Er schaltete den Laserdrucker an und markierte mit der Maus auf seinem Bildschirm eine Datei. Fünf Minuten später nahm er die bedruckten Seiten heraus und legte sie mit den Berichten in seinen Aktenkoffer.
"Bernadette, sagen Sie dem Piloten, daß es losgeht. Sie können Feierabend machen."
Eine Viertelstunde später hob der Hubschrauber vom Dach des Bürohauses ab.
Die erste Meldung kam gegen 22.45 Uhr und Pachinco nickte zufrieden. Um 1.00 morgens zwischen Karlsruhe und Mannheim erreichte ihn die zweite Meldung. Pachinco ballte triumphierend eine Faust.
Eine Stunde später landete der Hubschrauber auf dem Parkplatz eines Autokinos. Pachinco sprang heraus und in dem Augenblick, da er die Tür des wartenden Mercedes Vito aufriß, hob sich der Hubschrauber wieder in die Lüfte. Der Wagen fuhr sanft an und bog in die Landstraße nach Bonn.
Pachinco betrachtete die beiden Briefumschläge, die auf dem Tisch des ausgebauten Vito lagen. Sie waren zwar beide mit Siegeln versehen, trotzdem lag der Inhalt der Briefumschläge daneben auf dem Tisch, ohne daß die Siegel beschädigt waren. Die drei Männer, die mit Pachinco im hinteren Teil des Vito saßen, grinsten zufrieden.
Pachinco nahm die beiden Papierstapel, die jeweils 10 Seiten umfaßten und sah sich die ersten Seiten an. Sie waren wie erwartet in Carlsens Muttersprache abgefaßt und begannen wie einer der Reiseberichte von Carlsens Onkel, dem dänischen Reiseschriftsteller Karl Eskelund. Carlsen hatte viel von ihm erzählt, als er mit Pachinco in Dänemark die Kampagne für Gentechnik leitete, die zwar nicht ganz den gewünschten Erfolg hatte, aber immerhin einen zweiten Wahlgang erforderlich machte. Carlsen beschrieb Pachinco mit bitterem Humor wie einen Akteur in einer satanischen Komödie, bestückte die Handlung aber mit gefährlichen Fakten. Pachinco öffnete seinen Aktenkoffer, nahm die Laserdrucke heraus und legte Pachincos Prosa hinein.
Er prüfte noch einmal die beiden Drucke, dann reichte er sie an den grazilsten der drei Männer weiter. Der neben ihm sitzende Mann schlug mit der Hand gegen die Trennwand zum Fahrerraum und wenig später wurde das Fahrzeug sanft gebremst und hielt schließlich an einer Bushaltestelle. Nach 25 Minuten hatte der grazile Mann die Schriftstücke ohne jede Spur einer Manipulation in die Notarumschläge gebracht und nach einem weiteren Schlag gegen die Wand fuhr der Wagen ebenso sanft wieder an. In der Bonner Innenstadt stoppte der Fahrer und die Männer stiegen aus. Sie trugen die Uniformen eines Wachdienstunternehmens namens Securitas, bestiegen einen Opel Vectra dieses Unternehmens und befuhren wie die Nachtkontrolle dieser Firma die Fußgängerzone der Stadt Bonn.
Einige Minuten später erreichte der Vito eine Wohnanlage in Bonn Bad Godesberg, in die sich zahlreiche Firmen des In- und Auslandes eingekauft hatten, um ihren in Bonn tätigen Repräsentanten adäquate Wohnungen zur Verfügung stellen zu können.
Pachinco tippte einen Zahlencode in das Zahlenfeld an der schweren gläsernen Eingangstür. Nach dem Summton durchschritt er das großzügige Entree, betrat den Aufzug und fuhr in den vierten Stock. In der Wohnung öffnete er die Tür zum Balkon und einige Fenster und ließ frische Morgenluft in die stickigen Räume des selten benutzten Apartments. Im Bad wusch er sich mit kaltem Wasser das Gesicht, dann schenkte er sich einen Schwarzimport armenischen Cognacs ein und setzte sich auf ein wuchtiges, aber sehr bequemes Sofa. Er schaltete den Fernseher ein und wechselte von CNN zu ntv und Sky News und wurde schließlich von seinem Handy aus dem Schlaf gerissen.
"Nr. 1 okay", sagte eine Stimme und Pachinco legte zufrieden das Handy auf den Tisch. Timelife warb für die neue Videoreihe 'Die siebziger Jahre' und zeigte Ausschnitte von der Entführung eines Personenzuges durch Molukken in den Niederlanden und von der Einnahme Saigons durch den Vietcong. Pachinco dachte an den jungen Soldaten LeFevre und sah auf die Uhr. Fünfzehn Minuten später sagte die Stimme "Nr. 2 okay" durchs Telefon und Pachinco rief den Auftragsdienst an und bestellte einen Weckruf für 9 Uhr früh. Er schlief tief und fest, als das Frühstücksfernsehen von ARD und ZDF Aufnahmen von einem Schwelbrand im Neusser Hafen zeigte, dessen immense Rauchentwicklung zu einer Evakuierung der anliegenden Wohngebiete und der Sperrung der Autobahn und S-Bahnstrecke zwang.
Morgens nach dem Duschen verabredete sich Pachinco für den nächsten Tag mit Carlsen an jenem 'verschwiegenen Ort' in Köln.
Eine Stunde später berichtete ihm ein Anrufer, daß Carlsen in großer Eile sein Haus verlassen habe und seitdem mehrere Banken aufgesucht hätte. Pachinco bedankte sich und verfolgte in der nächsten Dreiviertelstunde die Sondersendung des WDR vom Brandherd in Neuss, der die Reporter immer wieder zu Rückblicken auf die Brandkatastrophe im Düsseldorfer Flughafen veranlaßte, obwohl im Neusser Hafen nach Informationen der Feuerwehr bisher keine Opfer gefunden worden waren.
Die Sperrung der Autobahn und der S-Bahnstrecke hielt an und führte zu einem Verkehrschaos in Neuss und Düsseldorf und trotz des Einsatzes aller verfügbaren Kräfte war der Brand nicht zu löschen. Die Feuerwehr war fieberhaft bemüht, vom Pächter des Großlagers die Zusammensetzung der Lagerware zu erfahren und sie konnte nicht ahnen, daß bei Achim Mullers Koordinierungsteam eine genaue Aufstellung des in der Halle gelagerten, für die Weiterverarbeitung im Ausland bestimmten Kunststoffmülls des Dualen Systems lag, inklusive einer Analyse der chemischen Reaktion und der Rauchentwicklung, die beim Verglimmen des Kunststoffes, der Lagerhallendämmstoffe und einiger Container Düngemittel erfolgen würde.
Muller wußte auch vom Konkurs des lateinamerikanischen Müllverwertungsunternehmens, weshalb eine derart große Menge des Kunststoffes in der Lagerhalle aufgelaufen war und er wußte, daß die Rechtslage über die Kosten der Lagerung und die Haftung für die gelagerte Ware äußerst kompliziert war, so kompliziert, daß der Pächter, der Verpächter, die lateinamerikanische Entsorgungsfirma, die Spedition und die Manager des Dualen Systems seit drei Wochen von ihren jeweiligen Rechtsabteilungen Schriftstücke aufsetzen und den Gegenseiten zuschicken ließen, ohne daß in der Verantwortlichkeit der Entsorgung bisher irgend eine der Parteien als zuständig benannt werden konnte.
15
Um 13.30 Uhr wurde ein silbermetallicfarbener Volvo-Kombi vor der Wohnanlage in Bad Godesberg geparkt. Der Fahrer stieg aus, drückte dreimal kurz und einmal lang auf der Klingelanlage und warf ein schmales Päckchen in den Briefkasten. Wenige Minuten später nahm Pachinco das Päckchen aus dem Briefkasten, zog daraus die Autoschlüssel hervor und fuhr mit dem Volvo in die Bonner Innenstadt. Er parkte den Wagen in der Tiefgarage am Bahnhof und schlenderte wie ein Tourist durch die Fußgängerzone.
Zur gleichen Zeit verließ Carlsen, während er einen dicken Umschlag in eine elegante Collegemappe steckte, das Lufthansa-Reisebüro und steuerte einen Tisch auf der Außenfläche der Pizzeria Gatteo a Mare am Marktplatz an. Er bestellte Kalbsschnitzel mit Zitronensauce und eine Flasche Pinot Grigio und vertrieb sich die Zeit bis zur Hauptspeise mit Carpaccio und Weißbrot. Er wirkte aufgedreht, scherzte mit Giuseppe, dem Kellner und bestellte, als das Kalbsschnitzel aufgetragen wurde, noch einen halben Liter Wein.
Währenddessen versuchte ein Fahrradkurier im Lufthansa-Reisebüro die Unterlagen abzuholen, die Kent Carlsen für sein Büro bestellt hatte. Die Angestellte des Reisebüros konnte ihm aber glaubhaft versichern, daß der Flug an diesem Abend nach München für Herrn Peter Fleischer zwar gebucht wäre, Herr Carlsen die Tickets aber selbst abgeholt hätte. Der Fahrradkurier verließ, laut über die Unfähigkeit einiger Leute, ihr Büro zu organisieren schimpfend das Reisebüro und war so aufgebracht, daß er auf dem Weg zu seinem Fahrrad mit einem Passanten kollidierte. Der Passant nahm die Entschuldigung des Kuriers an, ging um die nächste Ecke und veranlaßte seine Sekretärin über sein Handy, den Anschlußflug eines Peter Fleischer von München-Riehm herauszufinden, der abends mit einer Lufthansamaschine aus Köln/Bonn eintreffen würde.
"Wahrscheinlich Südamerika", sagte Pachinco und steckte das Handy wieder weg.
Inzwischen ließ Carlsen sich ein Taxi rufen, nachdem auch ein starker Espresso seinen Schwips nicht vertrieben hatte.
Carlsen bezahlte den Taxifahrer und betrat seine kleine Villa in Bonn Bad Godesberg, ging in sein Arbeitszimmer und öffnete einen großen Safe aus den fünfziger Jahren mit grüner Hammerschlaglackierung und einem schwungvollen Metallschild, auf dem "Kellner Tresorschränke" stand. Er entnahm ihm einen bordeauxfarbenen Pilotenkoffer, legte aus dem hinteren Teil des Tresors ein Bündel Banknoten in den Koffer und arretierte dessen Zahlenschloß. Dann nahm er den dicken Lufthansaumschlag aus der Collegemappe und steckte ihn in das vordere Fach des Pilotenkoffers, stellte ihn wieder in den Tresor, verschloß diesen und betrat sein Wohnzimmer.
Drei große Koffer standen neben der Tür und Carlsen ließ seinen Blick über die gepackten Koffer und das Wohnzimmer schweifen, registrierte die hellen Rechtecke der abgehängten Bilder auf den Tapeten, die ausgeräumten Vitrinen und er nickte zufrieden mit dem Kopf, als gefiele ihm, was er sah. Auf Tischen, Regalen und Büfetts fehlte jeder schmückende und zierende Gegenstand und es schien auch so, als wären Möbelstücke verschwunden, denn dem Raum fehlte jegliche Harmonie.
Nach einem Blick auf seine Armbanduhr durchquerte Carlsen das Wohnzimmer und ließ sich im Wintergarten in einen der verbliebenen Teakholzliegestühle fallen. Er streifte die Slipper von den Füßen, stellte den Stuhl in Ruheposition und nach wenigen Minuten fiel sein Kopf zur Seite und seinem geöffneten Mund entwichen gleichmäßige, röchelnde Atemgeräusche.
Der Dreiklang seiner Türglocke riß ihn aus dem Schlummer und benommen wankte er in den Flur und betrachtete auf dem Monitor neben der Eingangstür den Störenfried, der in eine khakifarbene UPS-Monitur gekleidet war und ein kleines Päckchen in die Kamera hielt.
"Ja bitte?" fragte Carlsen.
"Ich habe hier eine Eilsendung für einen Kent Carlsen", sagte der Bote.
"Für Kent Carlsen oder für eine Firma namens EVdU? Falls es für die Firma ist, müßten Sie es meinem Assistenten in die Büroräume bringen, dann ist dies hier die falsche Adresse."
"Nein, es steht ausdrücklich 'Herrn Kent Carlsen persönlich' drauf", erwiderte der Bote. "Persönlich ist übrigens falsch geschrieben, aber bei einem Päckchen aus Brasilien sollte man nicht so genau sein."
"Brasilien? Kommen Sie bitte herein." Carlsen drückte den Türöffner und holte seine Lesebrille aus dem Arbeitszimmer. Als es an der Tür klopfte, öffnete er und sah sich einem hünenhaften UPS-Boten gegenüber. Ein Mann hinter dem Boten sagte freundlich:" Na Kent, schon im Reisefieber?" Pachinco schob die Tür weiter auf und betrat noch vor dem UPS-Boten das Haus. "Hatte ich Dir nicht gesagt, Du solltest keinen Unsinn machen?"
Der Bote legte das Päckchen auf die Garderobenablage neben der Tür und als es aus seinen Händen glitt, konnte man erkennen, daß es gar nicht so klein war, sondern die Hände des Boten extrem groß und kräftig waren. Behutsam schloß er die Eingangstür und ging auf Carlsen zu.
Peter Fleischer schob den bordeauxfarbenen Pilotenkoffer unter seinen Sitz und ließ sich von der Stewardeß einen Cognac bringen, als die Maschine nach München ihre Flughöhe erreicht hatte. Er stellte das Glas auf das Klapptischchen vor sich, und blätterte in einem Rio de Janeiro Reiseführer, und während das samtige Aroma des Cognacs seinen Gaumen umschmeichelte, drückte er mit seiner riesigen Hand einen Knopf an der Armlehne, der seinen Sitz weich nach hinten neigte. Mit einem prächtigen Abendrot versank die Sonne hinter dem Horizont und weit unter dem Flieger lag die Autobahn Köln Frankfurt, ein flimmernd leuchtendes Band.
16
Das Treffen fand während der Eröffnung der großen Max-Ernst-Retrospektive in der Villa Hügel statt, deren Zustandekommen der Unterstützung eines französischen Kulturkonsortiums zu verdanken war. Diesem Konsortium war es gelungen, Privatleute und französische Museen zu Leihgaben ihrer Max-Ernst-Werke zu bewegen, da es über ausgezeichnete Kontakte zu Sammlern und zu vielen Leitern französischer Institute verfügte, was auf die langjährige gute Arbeit und vor allen Dingen auf das prallgefüllte Portefeuille der Organisation zurückzuführen war. Die Kuratoren und Direktoren der französischen Museen wählten zuallererst die Telefonnummer des Konsortiums, wenn sie wieder einmal ein leidlich interessantes, aber wahnsinnig teures Projekt ins Auge fasten. Die Verantwortlichen des Kuratoriums waren für ihre strenge Bewertung der Exposés bekannt, aber auch für ihre flexible Handhabung und rückhaltlose Unterstützung einmal bewilligter Projekte und niemand ahnte, daß vorrangig die Konzeptionen unterstützt wurden, die es der Organisation ermöglichte, informelle Kontakte zu ansonsten schwer zugänglichen Gesprächspartnern aufzubauen.
Pierre-Henri Longjaloux bedankte sich mit einem Kopfnicken für die Rede, in der der Projektleiter der Retrospektive das Wirken des Konsortiums gebührend gewürdigt hatte und setzte sich in seinem eigentümlich staksigen Gang in Bewegung, um wie zufällig dem Staatssekretär Schmittheinrich über den Weg zu laufen.
"Monsieur Longjaloux, ich muß Sie unbedingt dem Minister vorstellen! Ich habe Herrn Herford selten so angetan von einer Ausstellung erlebt. Wußten Sie, daß er ein großer Max-Ernst-Verehrer ist?"
Longjaloux verneinte überrascht und selbst ein sensiblerer Beobachter hätte ihm dieses entzückte Erstaunen über das überraschende Kunstinteresse des nordrheinwestfälischen Wirtschaftsministers abgenommen, obwohl Longjaloux selbstverständlich von Herfords Begeisterung für diesen rheinisch-französischen Künstler wußte. Wissen war die wesentliche Grundlage seiner Tätigkeit. Er gehörte zu den wenigen, die über jene Phase in Herfords Abiturientenleben informiert waren, in der der ansonsten so sachliche und pragmatische junge Mann mit seinem Motorroller die französischen Lebensstationen Max Ernsts abgefahren war, unentschlossen zwischen dem vernünftigen Studium der Volkswirtschaft und dem Neigungsstudium der Kunstgeschichte schwankend. Natürlich hatte sich die Vernunft durchgesetzt, doch sein Interesse für Leben und Werk dieses Künstlers der heiteren Grazie, dem es dennoch nicht an Energie und Schwungkraft gefehlt hatte, ließ nie nach.
"Minister Herford, wenn ich gewußt hätte, daß Sie dem Werk Max Ernst's so zugetan sind, hätte ich Sie damals in Bonn nicht mit meinen Vorstellungen der Restrukturierung verödeter Industrielandschaften gelangweilt."
"Monsieur Longjaloux, Sie haben mich keineswegs gelangweilt, im Gegenteil, ich habe Ihre Ideen mit großem Interesse verfolgt. Ich bin sogar geneigt, angesichts des Spektrums Ihrer Interessen," Herfords Arm wies auf die Ausstellungsräume," Ihre Anregungen viel intensiver zu überdenken."
"Das freut mich, Herr Minister. Ich wäre inzwischen sogar in der Lage, meine damaligen theoretischen Überlegungen mit praktizierbaren Vorschlägen zu unterlegen." Longjaloux besaß ein ausgeprägtes taktisches Gespür und er wußte, daß der Minister über ein phänomenales Gedächtnis verfügte, das selbst Randinformationen speicherte und blitzschnell hervorrief, wenn sie der Forcierung seiner Pläne dienlich sein konnten.
"Schmittheinrich, arrangieren Sie bitte meine Abfahrt in circa einer Stunde. Ich denke, Sie werden auch einen gemütlichen Raum finden, in dem mir Herr Longjaloux die Beteiligung seines Konsortiums an Zustandekommen dieser Ausstellung erläutern kann."
"Ich werde inzwischen den Veranstaltern Ihre Freude an der Ausstellung übermitteln" sagte Longjaloux und gesellte sich zu der Gruppe der Veranstalter und Sponsoren.
Baltes, dachte er, war ein Mann mit Zukunft. Geschickt hatte er bei dem Kongreß 'Innovation für Deutschland - Wege aus der Krise' arrangiert, daß der Mann, der bei den Mahlzeiten zwischen Longjaloux und dem Minister gesessen hatte, wegen einer Magenkolik den Arzt hatte aufsuchen müssen. Der Rest war für Longjaloux mit seiner Erfahrung auf dem internationalen Parkett kein Problem. Menschen, die an die Macht wollten, reagierten schnell auf seine dezenten Hinweise, wenn sie jene Befähigung besaßen, die für ihren Erfolg unabdingbar war - den Riecher für ihre Chance.
"Ich denke, ich werde Ihre Anstrengungen für das Zustandekommen dieser grandiosen Ausstellung als Ihre persönliche Anstrengung betrachten, eine längst überfällige Darstellung der rheinisch-französischen Prägung des Künstlers Max Ernst anzuregen. Ebenso sollte ich wohlwollend unser zufälliges Zusammentreffen in Bonn dem gastritischen Malheur unseres Tischnachbarn geschuldet akzeptieren, nicht wahr? Daß es sich dabei um ein listiges Arrangement handeln könnte, erinnerte denn doch zu sehr an eine Räuberpistole aus einem schrulligen französischen Film, was meinen Sie, Monsieur Longjaloux?" Herford hatte den Staatssekretär vor die Tür beordert und am Rauchertisch im Herrenzimmer Platz genommen.
Longjaloux lächelte. Er hatte seine Auftraggeber gewarnt, den ehrgeizigen Politiker nicht zu unterschätzen und genoß es, dem Spiel dieses Mannes beizuwohnen. Soeben hatte der Minister ihm angedeutet, daß er die Zufälligkeit ihrer Begegnungen bezweifle und schon eine überzeugende Verteidigungsstrategie ausgearbeitet hatte, falls zu irgendeinem Zeitpunkt die Kontaktaufnahme publik werden würde.
"Die französische Journaille bezeichnet mich als einen polyglotten Humanisten mit einem schnurrigen Faible für die Vertiefung der deutsch-französischen Freundschaft, Herr Minister. Ich erwähne dies nur, damit sie verstehen, daß auch ich keinerlei Interesse am Aufkommen irgendwelcher Gerüchte habe. Außerdem ist mein Interesse am Gelingen dieser Ausstellung keinesfalls sekundär. Meinen interessierten Landsleuten ist bekannt, daß ich seit Jahrzehnten Werke von Max Ernst besitze, unter anderem eine sehr frühe, nicht ganz gelungene Grattage und eine kleine, aber sehr schöne bidhauerische Arbeit aus den 30er Jahren."
"'Das Kreisen der Vogesen', ich weiß," sagte der Minister. "Die Grattage sollten Sie übrigens sehr gut verstecken, sie ist gänzlich mißlungen." Schmunzelnd lehnte der Minister sich zurück, nachdem er die Asche seines Zigarillos abgeklopft hatte. Er liebte solche überraschenden Stiche. Sie ließen sein Gegenüber wissen, daß er wesentlich mehr über sie wußte, als ihnen lieb sein konnte und sehr viel besser vorbereitet war, als sie vermuten durften. Longjaloux akzeptierte den Schlag mit einem anerkennenden Kopfnicken. Der Mann hatte Format, das hatte er seinen Geldgebern schon nach seinem ersten Kontakt mit ihm gesagt, aber sie glaubten nach wie vor, daß sie nur mit einem Provinzfürsten herumspielten.
"Nun mal zur Sache, Monsieur Longjaloux. Sie haben dieses ganze Theater doch nicht auf sich genommen, um mit mir über Max Ernst zu plaudern."
"Wenn Sie es wünschen, kommen wir direkt zur Sache. Eine Gruppe französischer Industrieller ist sehr daran interessiert, in der Bundesrepublik Fuß zu fassen und sieht in Nordrhein-Westfalen trotz oder gerade wegen der Strukturprobleme eine interessante Perspektive. Man beobachtet mit Interesse die Entwicklung vor der Landtagswahl und sieht Sie durchaus in der Lage, in diesem Land einen innovativen Schub auszulösen."
"Sie wissen, daß ich der gleichen Meinung bin, aber Sie wissen auch, daß die letzten Meinungsumfragen von nicht so optimi-stischen Wählern sprechen."
"Die öffentliche Meinung registrieren meine Gesprächspartner zugegebenermaßen mit Sorge, sie können sich aber auch vorstellen, daß die Wähler Investitionen einer ausländischen Unternehmensgruppe in Ihr Bundesland als einen Erfolg des Gestaltungswillens ihres Wirtschaftsministers, des Ministerpräsidentenkan-didaten, werten werden."
"Ihre Gesprächspartner wissen, daß ich Investitionen in mein Land rückhaltlos begrüße, seien sie meinen Ambitionen förderlich oder nicht."
"Ich kann dieser Gruppe nicht vorgreifen, aber ich bin sicher, daß sie bei einer Regierung mit einer klaren politischen Linie und einer entgegenkommenderen Haltung zur Wirtschaft und Entwicklung zu verstärkten Investitionen bereit ist."
"Ihre Freunde repräsentieren ja nicht die CARITAS, Monsieur Longjaloux, die nach Nordrhein-Westfalen kommen will, um Almosen zu verteilen, sondern um nicht ganz uneigennützig in einem gewachsenen Wirtschaftsstandort zu expandieren. Wir sind ein Land mit einer hervorragend ausgebildeten Arbeitnehmerschaft, einem trotz der prekären Arbeitsmarktlage interessanten Nachfragepotential und einer sehr guten Infrastruktur, haben also durchaus etwas anzubieten, das gewisse Begehrlichkeiten auslö-sen kann. Meine Einstellung zu Wirtschaft und Politik ist bekannt und sehr klar in unserem Wahlprogramm herausgearbeitet worden. Da Sie mir gegenübersitzen, kann ich davon ausgehen, daß meine Politik von Ihren Freunden nicht gerade abgelehnt wird. Daß ich eine klare Sprache spreche, hat mir in den letzten Jahren eine Menge Auseinandersetzungen gebracht. Ihren Freunden sollte also klar sein, daß ich bei einem Wahlsieg diese klare Linie nicht verlassen werde."
"Das ist meinen Auftraggebern bekannt. Aber Sie wissen auch aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre, daß Koalitionen einer geradlinigen politischen Entwicklung nicht förderlich sind."
"Eine Koalition ist nicht gerade das, auf das mein Wahlkampf ausgerichtet ist, obwohl die letzten Umfragen eine solche Ent-wicklung befürchten lassen."
"Das sehen meine Gesprächspartner ähnlich. Sie sehen allerdings auch Möglichkeiten, diese Situation zu verhindern."
"Monsieur Longjaloux, Sie können sich vorstellen, daß meinem Büro täglich hunderte von gefragten und ungefragten Empfehlungen zur Wahltaktik auf den Tisch flattern. Ich glaube nicht, daß wir an weiteren theoretischen Strategiepapieren interessiert sind."
"Ich glaube nicht, daß meine Gesprächspartner an theoretische Modelle gedacht haben."
"Und ich glaube, es ist besser, wenn ich noch nie etwas von französischen Investoreninteressen gehört habe, Monsieur Longjaloux." Der Minister drückte energisch den Zigarillo aus. Das Gespräch war beendet. Longjaloux knöpfte sein Jackett zu und erhob sich. Mit einem unverbindlichen Lächeln drückte er dem Minister zum Abschied die Hand. Sein Auftrag war erfüllt. Der Fisch saß an der Angel.
17
"Wilhelm, hier ist ein Gespräch für Dich. Ich lege es auf Zimmer 2, in Ordnung?" Der Wirt mußte sich nicht sonderlich anstrengen, um seinem Gast die Mitteilung zuzurufen. Er hatte eine modulationsfähige, tiefe Stimme, bei deren Erklingen alle Gäste leiser sprachen oder verstummten. Außerdem war der gemütliche Schankraum so klein, daß nur ein großer Stammtisch und vier kleine Tische darin Platz hatten.
"In Ordnung, Fränkie. Übernimmst Du die Karten?" Der Minister drückte dem Wirt die Schafkopfkarten in die Hand, nahm den eben angezündeten Zigarillo aus dem Ascher und verließ den verqualmten Schankraum.
"Ja bitte?"
"Hat Ihr Referent Sie über unsere Planungen informiert?"
"Sie hätten die Telefonnummer nicht bekommen, wenn er mir nicht Bericht erstattet hätte."
"Ihre Vorsicht in allen Ehren, Herr Minister, aber wir hätten es vorgezogen, Ihnen unsere Vorschläge detailliert, umfangreich und vor allem persönlich darzulegen."
"Was Sie wollen und was ich möchte, das sind zur Zeit zwei verschiedene Paar Schuhe. Aber Sie hatten ja Gelegenheit, dies alles meinem Referenten zu unterbreiten."
"Wie ist Ihre Meinung dazu?"
"Nun, das ganze ist im Grunde nichts Neues, es ist lediglich viel größer als bisher üblich. Der breite Widerstand gegen solche Projekte ist Ihnen wie mir ebenfalls bekannt und bei einem Projekt dieser Größenordnung dürfte mit dem energischen Protest der unterschiedlichsten Interessengruppen zu rechnen sein."
"Vom üblichen weicht unser Projekt nicht nur in der Größe, sondern auch inhaltlich ab, Herr Minister. Wir offerieren hier ein Dienstleistungskonzept, wie es der europäische Verbraucher noch nie gesehen hat. Produktion und Handel, Wissens- und Erlebniswelten, Info- und Entertainment, Arbeitsleben und Freizeitspaß in einem konzeptionellen Zusammenhang..."
"Das hat Ihre Werbeagentur wirklich schön ausgearbeitet."
"Nein, Herr Minister, das stammt aus der Feder Ihrer Berater. So ähnlich liest sich Ihr Programm "NRW 2000", auch wenn es Ihnen plötzlich fremd erscheint. Daß es erstaunliche Überschneidungen zwischen unserem Unternehmensprofil und Ihrer Wahlplattform aufzeigt, ist einer der Gründe, weshalb wir an Sie herangetreten sind."
"Sprechen Sie für eine Unternehmensgruppe oder für einen wohltätigen Verein? Lassen Sie das Salbadern und kommen Sie bitte zur Sache!"
"Gern, Herr Minister. Ich repräsentiere einen Unternehmensverband französischer Industrieller mit starken Expansionsbestrebungen, wie ich Ihrem Referenten schon dargelegt habe. Sie propagieren in Ihrem Zukunftsprogramm die Förderung neuer Technologien, neuer Arbeitsmodelle, neuer Behördenstrukturen und planen eine grundlegende Verwaltungsvereinfachung. Wir nehmen Sie beim Wort. Wir sind willens und in der Lage, unser Projekt, das, alle Bereiche zusammengefaßt, mit einem Investitionsvolumen von ca. 5,5 Milliarden Mark alle Strukturwandelmodelle Ihres Bundeslandes, einschließlich der Errichtung des OPEL-Werkes und des Centro in den Schatten stellt, innerhalb von 2 Jahren zu realisieren und mindestens 12.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Das sind Fakten, die Wähler überzeugen. Unternehmungen dieser Größenordnung erzeugen zwangsläufig Widerstand, Herr Minister, das haben Sie bei dem Garzweiler-Desaster erleben müssen."
"Dann können Sie meine Skepsis sicherlich nachempfinden."
"Natürlich. Doch im Unterschied zu Garzweiler handelt sich hier um ein letztendlich selbsttragendes Zukunftsmodell und nicht um die Zementierung überholter Berechnungen zur Schaffung von Subventionsruinen."
"Diese Argumente hat man für den Schnellen Brüter seinerzeit auch mit beeindruckender Überzeugungskraft heruntergebetet."
"Ihr Referent hat Ihnen das Zahlenmaterial vorgelegt. Sie wissen also, daß wir nicht mit wilden Prognosen und nebulösen Schätzungen arbeiten, sondern uns an soliden kaufmännischen Grundsätzen und sorgfältig recherchierten Betriebsvergleichen orientieren. Natürlich ist es ein gigantisches Vorhaben, das Skeptiker aufscheuchen wird und ohne eine starke Regierung nicht durchzuführen ist. Eine Koalitionsregierung wäre dazu sicher nicht in der Lage, wie Sie aus leidvoller Erfahrung wissen."
Der Minister lachte. "Alles, was ich tun müßte, um Sie glücklich zu machen, wäre, die absolute Mehrheit zu gewinnen."
"Ich denke, das würde beide Seiten erfreuen, nicht wahr?"
"Sie überschätzen die Position eines Ministerpräsidenten, junger Mann. Natürlich wäre eine Investition in dieser Größenordnung mehr als wünschenswert für mein Land. Aber selbstverständlich könnte der Bewilligungsvorgang für dieses Projekt nicht anders als demokratisch sein. Demokratisch über alle hierarchischen Ebenen und durch alle Bewilligungsstufen. Eine Beschleunigung dieses Verfahrens widerspräche den demokratischen Regeln. Andererseits ständen Ihnen natürlich alle demokratischen Strukturen zur Durchsetzung Ihres Vorhabens offen."
"Natürlich. Ich denke, daß Ihre Fachleute für Verwaltungsvereinfachung sich ernsthaft und intensiv mit Bewilligungsverfahren beschäftigen sollten. In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen versichern, daß sich unser Expertenteam ebenso ernsthaft und intensiv mit der Analyse von deutschen Wahlkämpfen beschäftigt hat. Auf dieser Grundlage konnten Sie überzeugende Strategien ausarbeiten, um zum Beispiel eine Landtagswahl zu gewinnen."
"Zu schade, daß ich diesen Blödsinn bisher von jedem Unternehmen gehört habe, daß sich meiner Partei für eine Kampagne angeboten hat."
"Wir sind innovativ, Herr Minister und wir haben wirklich eine gute PR-Abteilung. Sie hören von uns."
Der Minister sog an seinem Zigarillo. Die Tür zum Nachbarzimmer öffnete sich und sein Referent trat ein.
"Was hältst Du davon?" fragte der Minister.
"Es wäre zu schön, um wahr zu sein. Mit dieser Investition hätten wir den richtigen Start und den ersten Eintrag ins Geschichtsbuch."
"Aber sie haben uns am Wickel, wenn wir uns zu weit vorwagen."
"Das hast Du abgebogen. Das Gespräch verlief im völlig legalen Rahmen und endete im Unverbindlichen." Der Referent hielt eine Minikasette hoch. "Wir haben es dokumentiert, wie Du es gewünscht hast."
"Gut. Wie ist also die Lage? Wir wären verrückt, wenn wir auf dieses Geschäft verzichten würden. Die Franzosen interessieren sich für 80 Millionen deutsche Käufer und brauchen uns als Sprungbrett in den Osten."
"Sie spekulieren auf eine kulante politische Haltung, wenn sie uns in den Steigbügel helfen und wahrscheinlich freuen sie sich schon auf kleine Erpressungen. Wir müssen verdammt vorsichtig sein." sagte der Referent.
"Habt ihr schon einen Hinweis, wer bei ihnen alles im Boot sitzt?"
Der Referent schüttelte den Kopf. "Unsere bisherigen Gesprächspartner haben entweder mit Unternehmerverbänden gearbeitet wie Longjaloux oder gehören wie Rousseau Kanzleien an, die halb Frankreich vertreten." Der Referent deutete auf das Telefon, meinte also den Gesprächspartner des Ministers.
"Versucht es weiter. Ich tappe nicht gern blind herum. Außerdem werden wir umdisponieren. Du ziehst Dich aus dem Frontbereich zurück. Die Gespräche sollte jetzt ein unverdächtiger Vertreter führen. Was hältst Du von Schimmel?"
"Wenn er nicht bei Mendes&Partner säße, wäre er der Beste. Mendes würde aber nicht stillhalten. Er ist zu wild darauf, in die Politik zu kommen. Erst recht, seit er mit Möllemann aufs falsche Pferd gesetzt hat."
"Was will Schimmel denn bei Mendes? Er ist doch kein Vollblutjurist. Er langweilt sich zu Tode."
"Reich werden. Ab 10 Millionen oder spätestens mit 50 will er sich wieder seinen Hobbys widmen. Politik oder Fußball. Also beides, wie wir ihn kennen."
"Wie alt ist er?"
"Achtunddreißig. Aber keine Angst, Du brauchst nicht mehr allzulange zu warten, denn er ist schon an die 6 Millionen schwer. Die Krupp/Thyssen-Geschichte hat er fast im Alleingang abgewickelt und jetzt ist HochTief an ihm dran. In drei Jahren hat er wahrscheinlich 20 Millionen und Kieferschmerzen vom Gähnen. Bis dahin würde ich Schmelzinger vorschlagen. Er ist jetzt Kompagnon bei Thelen-Treuhand. Unverdächtiger geht es fast nicht mehr."
"In Ordnung. Leite das bitte in die Wege. Die Franzosen sollten jetzt ein wenig Flagge zeigen. Wir brauchen etwas mehr als eine Geste, wenn sie uns beweisen wollen, ob sie a) nicht ein krummes Ding vorhaben und b) potent genug sind, so ein Projekt überhaupt durchzuziehen."
Der Referent gab dem Minister Feuer und der Minister verließ das Zimmer. Eine halbe Minute später öffnete er wieder die Tür.
"Longjaloux hat doch bei diesem Kongreß in Bonn neben mir gesessen. Überprüft doch noch einmal, wer für die Sitzordnung zuständig war. Vielleicht können wir da ansetzen."
18
Die Frau stellte Ihr Bordcase auf den Gepäckkuli und informierte sich am Monitor, auf welchem Rollband das Gepäck des Transatlantikfluges WA 4701 von New York nach Frankfurt abgefertigt wurde.
Ein eifriger Mittvierziger hob ihre beiden Koffer auf den Wagen und bot ihr an, sie mit seinem AVIS-BMW in die Frankfurter Innenstadt zu bringen. Sie bedankte sich für seine Hilfe und lehnte die Mitfahrgelegenheit ab, beides wie immer mit einem freundlichen Lächeln und inzwischen dreißigjähriger Routine. Seit der Kindergartenzeit trug immer irgend jemand irgend etwas hinter ihr her, wollte sie mit dem Tretroller, Moped oder Auto irgendwohin kutschieren und erhoffte sich die schönste Belohnung. Sie wunderte sich nicht mehr, obwohl sie schönere Frauen gesehen hatte, denen so etwas nie passiert war. Inzwischen war sie eher erstaunt, wenn es länger dauerte, ehe jemand ihr Kavalier sein wollte.
Sie war ein 36jähriges brünettes Abenteuer, mittelgroß und auf eine aufregende Weise attraktiv, sprach vier Sprachen und zwei Dialekte und hatte die Kunst, andere Menschen das tun zu lassen, was sie wollte, über die Jahre in jeder Hinsicht zur Perfektion entwickelt. Der Mittvierziger schob ihren Wagen bis zum Meeting Point und zog lächelnd von dannen, als wäre heute sein Glückstag, obwohl sie auch seine zweite Einladung abgelehnt hatte. Die Frau warf seine Visitenkarte in den Papierkorb und sah sich nach demjenigen um, der sie nach Köln bringen sollte, doch niemand schien sich für sie zu interessieren. Verstimmt nestelte sie ein Zigarettenetui aus ihrer Handtasche und legte sich schon einmal die Worte zurecht, die sie dem offensichtlich vertrottelten Fahrer um die Ohren schlagen würde.
Eine Hand mit einem brennenden Feuerzeug näherte sich von der Seite, aber sie war jetzt nicht in der Stimmung, höflich bedient und angebaggert zu werden. "Danke, ich habe selbst genug Feuer", sagte sie giftig, dann fiel ihr Blick auf das alte Dunhill-Feuerzeug.
"Verdammt", sagte sie und warf die Zigarette fort, "ich hätte wissen müssen, daß Du dahinter steckst!" Verärgert sah sie in das Gesicht, das sie so oft abgeküßt hatte, bevor die Zeit gekommen war, in der sie es am Liebsten zerkratzt hätte und sich geschworen hatte, es nie mehr sehen zu wollen.
"Ist das Ganze nur eine miese Finte, um mich herzulocken?" Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf. "Du willst wohl nicht kapieren, daß ich nichts mehr mit Dir zu tun haben will. Hast Du das in den drei Jahren immer noch nicht begriffen?"
"Drei Jahre ist es erst her? Kommt mir viel länger vor." Pachinco drehte sich um und ging zum Ausgang.
"Momentchen, Pachinco. War es das? Guten Tag und Auf Wiedersehen, hast Dich schön verarschen lassen?"
Pachinco kehrte zurück. "Bist Du immer noch so unter Strom, Rita? Entscheide Dich bitte. Willst Du nach Köln oder willst Du zurückfliegen?"
"Ich bleibe hier stehen, bis ich weiß, was eigentlich gespielt wird."
"Hast Du den Scheck bekommen?"
"Sonst wäre ich nicht hier."
"Du wirst all die anderen Schecks ebenfalls bekommen, genau wie es Dir am Telefon erzählt wurde. Das allein wäre Grund genug, nach Köln zu fahren."
"Was ist mit dem Job?"
"Du hast alle Informationen bekommen. Rita, damit das klar ist: das hier ist eine geschäftliche Angelegenheit und Du bist hier, weil wir Dich brauchen und nicht, weil ich Dir an die Wäsche will. Diese Geschichte ist vorbei und damit basta. Können wir uns darauf einigen? Geschäftlich und nichts weiter?"
"Okay. Was ist mit den Koffern?"
"Weiß ich nicht. Brauchst Du sie?"
"Natürlich."
"Dann nimm sie mit."
"Du glaubst doch nicht, daß ich den schweren Wagen schiebe."
"Du wirst schon jemanden finden, der ihn für Dich schiebt." Pachinco grinste mürrisch.
"Manche Dinge haben Bestand. Du bist immer noch das gleiche Arschloch wie damals."
"Und ich sorge schon wieder dafür, daß Du aus dem Schlamassel kommst. Du mußt nur Deinen hübschen Hintern in Bewegung setzen."
Pachinco hob die Koffer in den Renault Megane Scenic und schob den Gepäckkuli auf den Bürgersteig. Dann setzte er den Scenic zurück und fuhr auf den Autobahnzubringer.
"Welche Rolle spielst Du bei dieser Unternehmung?" fragte Rita.
"Grob gesagt bin ich für die Koordination zuständig."
"Und im Detail?"
"Ich leite den Bereich. Es geht, wie bei Deinen letzten Tätigkeiten um eine ganz einfache Sache - wir sorgen dafür, daß jemand eine Wahl gewinnt. Wir haben ein schlagkräftiges Team, beste Informationen und sogar reichlich Kapital zur Verfügung. Sieh bitte ins Handschuhfach."
Rita nahm einen Schnellhefter aus dem Fach.
"Ich habe einen flüchtigen Entwurf für verschiedene Kampagnen geschrieben, der auf unseren bisherigen Informationsstand basiert. Er ist aber nicht mehr als normales Handwerkszeug. Du wirst den Pfiff hineinbringen, aber nicht nur das: Du wirst nach der Analyse der Fakten eigene Operationen starten. Du sagst mir, was Du brauchst und ich werde alles Notwendige besorgen."
Rita blätterte in den Papieren und las verschiedene Absätze an. "Pachinco, das wenige, das ich bisher gelesen habe, sieht aber nicht wie eine der mehr oder weniger üblichen Wahlkampfunterstützungen aus."
"Kluges Mädchen. Ich habe mich nicht in Dir getäuscht." Pachinco beschleunigte rasant und überholte einen qualmenden polnischen Kleintransporter. "Dies wird eine wunderbare Aufgabe für Dich, mit allen erdenklichen Höchstschwierigkeiten, keine Nullachtfünfzehn-Wahlkampfunterstützung. Unser Auftrag ist leicht auf den Punkt zu bringen: 'unsere' Partei muß bei der Wahl die absolute Mehrheit erzielen. Wenn Du meinst, das allein wäre anspruchsvoll genug, dann warte ab, bis ich Dir von der Steigerung des Schwierigkeitsgrades erzähle! Problem Nummer Eins: die Partei, der wir zur absoluten Mehrheit verhelfen sollen, wird nicht mit uns zusammenarbeiten, sie weiß gar nicht, daß ihr jemand beim Wahlkampf hilft. Das ist gleichzeitig auch das zweite Handicap: niemand wird und niemand darf erfahren, daß es uns überhaupt gibt."
"Du sagst das mit einer Begeisterung, als handele es sich hier um ein amüsantes Frühlingsabenteuer. Ich wundere mich jedenfalls nicht mehr, daß der Scheck auf so einen hohen Betrag ausgestellt war."
"So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Du hast in den Staaten eine knallharte Schule durchgemacht. Du wirst Dich wundern, wie hier Wahlkampf gemacht wird. Amerikanische PEPSI-COLA-Reklame ist schmutzig dagegen. Ich glaube, Du wirst Dich köstlich amüsieren."
Rita blickte von den Papieren auf. Pachinco sah in den Rückspiegel, bevor er auf die Überholspur zog und Rita erkannte dieses kalte Grinsen wieder, das ihr damals soviel Sorgen gemacht hatte. Schweigend fuhren sie einige Kilometer, Pachinco konzentrierte sich auf den Verkehr am Wiesbadener Kreuz und Rita blätterte nachdenklich in den Unterlagen.
"Was sollte das eigentlich heißen, daß Du wieder einmal dafür sorgen würdest, daß ich aus dem Schlamassel komme?" fragte sie plötzlich.
"Du warst in letzter Zeit nicht gerade überbeschäftigt."
"Mein Vertrag lief aus. Das ist kein Schlamassel, sondern ganz normal in dem Geschäft."
"Vorzeitig aufgelöste Verträge sind auch in diesem Geschäft immer noch die Ausnahme. Besonders, wenn die Abfindung so lächerlich gering ist."
"Eine kleine Pechsträhne, das kommt schon mal vor, das weißt Du ja wohl aus eigener Erfahrung. Wieso rede ich eigentlich mit Dir darüber? Das ist alleine meine Angelegenheit, halt Dich da raus. Wieso weißt Du davon?"
"Reiner Zufall. Ich habe Kuczynski in Zürich getroffen. Du weißt ja, daß er Gott und die Welt kennt und gern und ausgiebig klatscht."
Pachinco wechselte auf die mittlere Spur und nahm ein wenig Gas weg, bis er die Geschwindigkeit auf 140 Stundenkilometer heruntergebracht hatte. Aus den Augenwinkeln prüfte er Ritas Reaktion. Sie entspannte sich und lehnte den Kopf zurück. Kuczynski machte seit der MIGROS-Affäre einen Riesenbogen um die Schweiz, aber das wußte sie nicht, weil sie Menschen mied, die sie nicht mochte. Das war einer ihrer Fehler. Pachinco hatte Kuczynski seit Jahren nicht mehr gesprochen, aber das hatte andere Gründe.
Teil 1
Teil 2
Teil 4
Lichtblau Startseite
|